Bei der Prüfung, ob ein strafbares Verhalten im Sinne der §§ 92 Abs. 1 Nr. 1 und 6, 92 a Abs. 1 AuslG bzw. der §§ 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3, 96 Abs. 1 AufenthG vorliegt, gebietet es das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, allein auf eine formell wirksame Einreise- oder Aufenthaltsgenehmigung (Visum) abzustellen.
Ausländerrechtlichen Erlaubnissen kommt daher in den verwaltungsakzessorischen Tatbeständen des Ausländergesetzes und des Aufenthaltsgesetzes Tatbestandswirkung zu.
Bei der Prüfung, ob ein strafbares Verhalten im Sinne der §§ 92 Abs. 1 Nr. 1 und 6, 92 a Abs. 1 AuslG bzw. der §§ 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3, 96 Abs. 1 AufenthG vorliegt, gebietet es das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, allein auf eine formell wirksame Einreise- oder Aufenthaltsgenehmigung (Visum) abzustellen.
Ausländerrechtlichen Erlaubnissen kommt daher in den verwaltungsakzessorischen Tatbeständen des Ausländergesetzes und des Aufenthaltsgesetzes Tatbestandswirkung zu.
(Amtliche Leitsätze)
b) Wegen Einschleusens von Ausländern machte sich gemäß § 92 a AuslG strafbar, wer einem anderen zu einem nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG unerlaubten Aufenthalt Hilfe leistete. Tathandlung des § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG ist das Verbleiben des Ausländers im Bundesgebiet nach der Einreise, ohne über die nach § 3 AuslG erforderliche Aufenthaltsgenehmigung oder eine Duldung nach § 55 AuslG zu verfügen. Auch die Frage der verwaltungsrechtlichen Genehmigungspflichtigkeit beurteilt sich nach dem zur Tatzeit geltenden Recht und damit nach dem Ausländergesetz (BGH, Beschl. vom 7. April 2005 - 2 StR 524/04).
c) Unerlaubt hält sich jedoch nur derjenige im Inland auf, der nicht über die "erforderliche" Aufenthaltsgenehmigung i.S. der §§ 3 Abs. 1, 58 Abs. 1 AuslG verfügt. Wann dies der Fall ist, ist in der strafrechtlichen Rechtsprechung, der verwaltungsrechtlichen Literatur und der obergerichtlichen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte umstritten.
aa) Die Oberverwaltungsgerichte und die Mehrheit der ausländerrechtlichen Kommentarliteratur vertreten in Fortführung der Rechtsprechung zum Ausländergesetz 1965 einen materiell-rechtlichen Standpunkt. Danach ist die Einreise - und damit auch der sich daran anschließende Aufenthalt - eines mit einem Touristenvisum zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit eingereisten Ausländers unerlaubt, wenn die für den tatsächlichen Zweck erforderliche Aufenthaltsgenehmigung fehlt. Beabsichtigt ein Ausländer bereits bei der Einreise die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, ist die im Sinne von § 58 Abs. 1 Nr. 1 AuslG "erforderliche Aufenthaltsgenehmigung" das für den angestrebten konkreten Aufenthaltszweck notwendige, mit Zustimmung der Ausländerbehörde gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 DVAuslG erteilte Visum (VGH Kassel EZAR 622 Nr. 20 [S. 4]; NVwZ-RR 1993, 213; InfAuslR 1993, 369; 1994, 349; 1996, 142 mit ablehnender Anmerkung Lüdke InfAuslR 1996, 276; OVG Münster InfAuslR 1991, 232; 1994, 138; DVBl 2001, 1007 = NVwZ-RR 2001, 538; Beschl. vom 24. Februar 1998 - 18 B 177/97 [S. 2]; OVG Schleswig InfAuslR 1992, 125 [zu § 69 Abs. 2 Nr. 1 AuslG]; VGH Mannheim InfAuslR 1993, 14, 15; OVG Hamburg EZAR 622 Nr. 12; VG Darmstadt InfAuslR 2004, 97, 98; Renner, Kommentar zum Ausländerrecht 7. Aufl. [1999] § 58 Rdn. 5; derselbe in NVwZ 1993, 729, 731; Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländerrecht [Juli 2003] § 58 Rdn. 5, 7; Funke-Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, Bd. II § 58 Rdn. 6 f., 19; Lauer NStZ 2000, 661, 662 = Anm. zu BGH, Beschl. vom 11. Februar 2000 - 3 StR 308/99).
bb) Demgegenüber stellen die strafrechtliche Rechtsprechung (BGH NJW 2000, 1732 = NStZ 2000, 657; BGH, Beschl. vom 5. November 1997 - 2 StR 513/97; Beschl. vom 18. Oktober 2001 - 3 StR 247/01; Beschl. vom 20. April 2004 - 4 StR 67/04) und einige Verwaltungsgerichte sowie Stimmen in der Literatur (VG Düsseldorf InfAuslR 1993, 371; BayObLG NStZ-RR 2000, 344, 346; NJW 2002, 1282, 1283; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze AuslG § 92 Rdn. 4b f., 21; Hailbronner, Ausländerrecht [Stand September 2004] § 58 Rdn. 5; Westphal/Stoppa, Ausländerrecht für die Polizei S. 364, 506 f.; dieselben in NJW 1999, 2137, 2140; Westphal in Huber, Handbuch des Ausländer- und Asylrechts Band II [Stand 1. Mai 2003] § 58 Rdn. 26; Hofmann InfAuslR 1991, 351; Lorenz NStZ 2002, 640, 643; Lüdke InfAuslR 1996, 276; Ott ZAR 1994, 76 ff.; Pfaff ZAR 1992, 117, 120) auf rein formale Gesichtspunkte ab. Eine unerlaubte Einreise und ein unerlaubter Aufenthalt scheiden danach bereits dann aus, wenn irgendeine Aufenthaltsgenehmigung erteilt wurde, unabhängig von ihrer materiell-rechtlichen Richtigkeit. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage, soweit ersichtlich, bisher nicht entschieden, sondern sie ausdrücklich offengelassen (BVerwG NVwZ 1997, 189 = BVerwGE 100, 287).
d) Der letztgenannten formellen Betrachtung ist für die Beurteilung strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen der Vorzug zu geben.
aa) Bereits die Prinzipien des allgemeinen Verwaltungsrechts sprechen für eine formale Betrachtungsweise. Die erschlichene Aufenthaltsgenehmigung ist als Verwaltungshandeln wirksam, solange sie nicht zurückgenommen wurde. Nichtig ist sie als begünstigender Verwaltungsakt nur in den in § 44 VwVfG genannten Fällen, nämlich wenn sie an schweren und offensichtlichen Fehlern leidet (§ 44 Abs. 1 VwVfG), besondere in § 44 Abs. 2 VwVfG ausdrücklich bezeichnete Nichtigkeitsgründe vorliegen oder wenn in anderen Gesetzen eine ausdrückliche Regelung dazu getroffen wird. In allen anderen Fällen ist sie lediglich rechtswidrig, insbesondere auch bei Mängeln in der Willensbildung, die auf arglistiger Täuschung durch falsche Angaben beruhen (vgl. OLG Frankfurt StV 1999, 95; BVerwG DVBl 1985, 624; Kopp/Ramsauer, VwVfG 8. Aufl. § 44 Rdn. 19) oder wenn die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist (vgl. § 44 Abs. 3 Nr. 4 VwVfG). In diesen Fällen kann die Aufenthaltsgenehmigung lediglich gemäß § 48 VwVfG zurückgenommen werden (Kloesel/Christ/Häußer aaO § 43 Rdn. 1 b).
bb) Die formale Sichtweise entspricht auch der Verwaltungspraxis, die auf der vom Bundesinnenministerium erlassenen Ausführungsverordnung zum Ausländergesetz (AuslG-VwV) beruht. Nach Nummer 58.1.1.3.2 AuslG-VwV liegt keine unerlaubte Einreise vor, wenn der Ausländer mit einem Visum einreist, das aufgrund seiner Angaben ohne die erforderliche Zustimmung der Ausländerbehörde zu der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (§ 11 DVAuslG) erteilt worden ist, obwohl er bereits bei der Einreise einen Aufenthaltszweck beabsichtigt, für den er ein Visum benötigt, das nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde erteilt werden darf (so auch BGH NJW 2000, 1732, 1733 = NStZ 2000, 657, 658). Das Bundesministerium des Inneren hatte bereits in seinem Rundschreiben vom 20. Mai 1996 (InfAuslR 1996, 317) ausdrücklich darauf hingewiesen, daß für § 1 Abs. 1 DVAuslG ein objektiver Maßstab gilt, d.h. die Befreiung nicht vom subjektiven Willen hinsichtlich Dauer und Zweck abhängig sein soll. In dem Rundschreiben heißt es weiter, daß auch der Negativstaater, der ein Touristenvisum besitzt, zweifellos nicht den Tatbestand der unerlaubten Einreise nach § 58 Abs. 1 Nr. 1 AuslG erfüllt, auch wenn bei der Einreise bereits feststeht, daß er einer Auflage im Visum zuwider eine Erwerbstätigkeit aufnehmen will.
cc) Für das Abstellen nur auf formale Gesichtspunkte spricht nunmehr auch das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz, durch das das Ausländergesetz aufgehoben und durch das Aufenthaltsgesetz ersetzt worden ist. Nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist die Einreise unerlaubt, wenn der Ausländer keine nach § 4 AufenthG erforderliche Aufenthaltsgenehmigung vorweisen kann. In der Begründung zu den Gesetzentwürfen heißt es dazu durchgehend, daß sich die Erforderlichkeit des Aufenthaltstitels nach objektiven Kriterien und nicht nach dem beabsichtigten Zweck bemißt. Der Gesetzgeber beabsichtigte hiermit eine Klarstellung angesichts der unterschiedlichen Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (14. Wahlperiode: Gesetzentwurf der Bundesregierung BRDrucks. 921/01 S. 151; Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen BTDrucks. 14/7387 S. 68; 15. Wahlperiode: Gesetzentwurf der Bundesregierung BRDrucks. 22/03 S. 164; BTDrucks. 15/420 S. 73).
dd) Für einen formalen Maßstab spricht über die Entscheidung des Bundesgerichtshofs NJW 2000, 1732 hinausgehend auch die zunehmende Überlagerung des deutschen Ausländerrechts durch internationale Vereinheitlichungen, insbesondere durch die Erteilung von Schengen-Visa. Damit wird die Einreise aus einem anderen Schengen-Land nach Deutschland unabhängig von nationalen Verfahren oder Feinsteuerungsmöglichkeiten (z.B. Auflagen oder Bedingungen) ausdrücklich erlaubt. Auch dies gebietet es, die Frage der unerlaubten Einreise nach objektiven Kriterien zu beurteilen (Westphal in Huber aaO § 58 Rdn. 35).
e) Ausschlaggebend für die strafrechtliche Beurteilung der Einreise und des Aufenthalts von Ausländern nach objektiven Kriterien ist jedoch das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, dem bei der Auslegung von Straftatbeständen Rechnung getragen werden muß. Tatbestände, die für ein unerlaubtes und deshalb strafbares Handeln oder Unterlassen das Fehlen einer verwaltungsrechtlichen Erlaubnis vorsehen, bedürfen eines eindeutigen Auslegungsmaßstabs in Bezug auf ihre verwaltungsrechtlichen Vorgaben. Würden - verborgene - materiell-rechtliche Mängel, etwa infolge von Täuschung oder sonstiger mißbräuchlicher Verhaltensweisen des Erlaubnisadressaten, zum Abgrenzungskriterium des strafbaren und nicht strafbaren Verhaltens gemacht, so wären deren Voraussetzungen und Grenzen im allgemeinen ungewiß, weil im Einzelfall von zufällig nachweisbaren und nicht nachweisbaren Tatumständen abhängig. Deshalb muß eine nach verwaltungsrechtlichen Vorschriften wirksam erteilte Aufenthaltsgenehmigung im Strafrecht grundsätzlich Tatbestandswirkung entfalten, auch wenn sie rechtsmißbräuchlich erlangt wurde. Etwas anders kann nur dort gelten, wo das Gesetz durch Täuschung erschlichenen oder durch Drohung oder Bestechung erlangten Erlaubnissen, wie etwa in § 330 d Nr. 5 StGB oder § 34 Abs. 8 AWG, die Wirksamkeit abspricht (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. Vor § 324 Rdn. 8 f.; Steindorf, Waffenrecht 7. Aufl. Vor § 52 a Rdn. 34 f.). Diesen Weg ist der Gesetzgeber im Ausländerrecht bisher nicht gegangen. Zwar hat er in § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG bzw. § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG die Art und Weise der Beschaffung einer Aufenthaltsgenehmigung, soweit diese durch unvollständige oder falsche Angaben erlangt worden ist, unter Strafe gestellt, jedoch ohne den so erlangten Erlaubnissen als solchen die formelle Wirksamkeit abzusprechen. Hieraus folgt, daß das Gesetz auch bei der erschlichenen Einreise- oder Aufenthaltsgenehmigung von ihrer formellen Bestandskraft ausgeht. Wären schon die Einreise oder der Aufenthalt mit einem erschlichenen Visum als "unerlaubt" strafbar, wären die Tatbestandsalternativen des § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG bzw. des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG zudem überflüssig.
f) Auch aus Sinn und Zweck der strafrechtlichen Tatbestände ergeben sich gegen die formale Sichtweise keine durchgreifenden Bedenken. Diese Auslegung führt zwar in Fällen der vorliegenden Art zu einer Verneinung der Strafbarkeit nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 6 AuslG, der Ausländer macht sich allerdings durch Erschleichen einer Aufenthaltsgenehmigung und das Gebrauchen dieser Urkunde nach § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG bzw. § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG strafbar, der dazu Hilfe leistende Dritte insoweit wegen Einschleusens gemäß § 92 a Abs. 1 AuslG bzw. § 96 Abs. 1 AufenthG. Zu Strafbarkeitslücken führt die formale, allein auf das Vorliegen einer Aufenthaltsgenehmigung abstellende Betrachtung allerdings beim Gehilfen des Negativstaaters in den Fällen, in denen der Hilfeleistende weder an der unredlichen Erlangung des Visums noch an der damit unternommenen Einreise beteiligt, sondern lediglich bei der Arbeitsaufnahme behilflich ist. Darin liegt zwar eine Besserstellung des Gehilfen des mit einem Touristenvisum eingereisten Negativstaaters gegenüber demjenigen des Positivstaaters. Denn der Positivstaater benötigt für die Einreise kein Visum, darf aber nicht ohne entsprechende Erlaubnis arbeiten. Tut er es dennoch, macht er sich wegen unerlaubten Aufenthalts strafbar. Derjenige, der ihn dabei unterstützt, macht sich wegen Beihilfe strafbar. Die den Gehilfen betreffende Besserstellung folgt jedoch unmittelbar aus § 92 a AuslG bzw. § 96 AufenthG, die nur einzelne Tathandlungen des § 92 Abs. 1 AuslG bzw. § 95 AufenthG als Anknüpfungspunkt für ein strafbares Einschleusen ansehen. Diese Lücken zu schließen, ist Aufgabe des Gesetzgebers.