SG Hildesheim

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Zitieren als:
SG Hildesheim, Beschluss vom 25.05.2005 - S 34 AY 8/05 ER - asyl.net: M6605
https://www.asyl.net/rsdb/M6605
Leitsatz:

Keine rechsmissbräuchliche Verlängerung des Aufenthalts durch mangelhafte Mitwirkung bei der Passbeschaffung, wenn die Ausländerbehörde nicht auf konkret vorzunehmende Mitwirkungshandlungen hingewiesen hat.

 

Schlagwörter: D (A), Makedonien, Bosnien-Herzegowina, Roma, Asylbewerberleistungsgesetz, SGB XII, Aufenthaltsdauer, Rechtsmissbrauch, Passbeschaffung, Mitwirkungspflichten, Eilbedürftigkeit, Einstweilige Anordnung, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; AufenthG § 82
Auszüge:

Keine rechsmissbräuchliche Verlängerung des Aufenthalts durch mangelhafte Mitwirkung bei der Passbeschaffung, wenn die Ausländerbehörde nicht auf konkret vorzunehmende Mitwirkungshandlungen hingewiesen hat.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Den Antragstellern ist ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten, da die derzeit bewilligten Leistungen nach §§ 1, 3 AsylbewLG deutlich geringer sind als die Leistungen nach § 2 AsylbewLG i. V. m. dem SGB XII. Nach Auffassung des Gerichts ist in diesem Zusammenhang insbesondere zu berücksichtigen, dass ausweislich der Gesetzesbegründung zum Asylbewerberleistungsgesetz der für den Personenkreis des § 1 Abs. 1 AsylbewLG a. F. vorgesehene deutlich abgesenkte Leistungsumfang, der ein Leben ermögliche, das durch Sicherung des Mindestunterhalts dem Grundsatz der Menschenwürde gerecht werde, nur für eine vorübergehende Zeit als zumutbar angesehen werden kann (GK zum Asylbewerberleistungsgesetz, Stand: Dez. 2004, § 2, Rdn. 16 m. w. N.).

Aus der Begründung zum Gesetzesentwurf ergibt sich weiterhin, dass bei einem längeren (über 36 Monate andauernden) Aufenthalt in der Bundesrepublik nicht mehr auf einen geringeren Bedarf abgestellt werden kann, der bei einem kurzen vorübergehenden Aufenthalt besteht. Insoweit seien auch Bedürfnisse anzunehmen, die auf bessere soziale Integration gerichtet seien (GK zum AsylbewLG, Stand: Dez. 2004, § 2, Rdn. 16 m. w. N.). Das bedeutet, dass die Beschränkung auf die deutlich geringeren Leistungen nur insoweit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wie die Voraussetzung für den Bezug von Leistungen nach § 2 AsylbewLG nicht vorliegen. Bei ausreichend langer Aufenthaltsdauer widerspricht es jedoch dem Integrationsgedanken des Asylbewerberleistungsgesetzes, den Antragstellern Leistungen vorzuenthalten, die ihnen glaubhaft zustehen. Daher ist die Verweisung auf die Entscheidung in der Hauptsache für die Antragsteller insoweit unzumutbar. Insoweit schließt sich das Gericht der bisherigen Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 8. Februar 2001, 4 ME 3889/00, zitiert nach JURIS) an.

Die Antragsteller zu 1. bis 7. haben auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach § 2 Abs. 1 AsylbewLG ist abweichend von den § 3 - 7 des Asylbewerberleistungsgesetzes das 12. Buch Sozialgesetzbuch auf Leistungsberechtigte entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Da die Antragsteller zu 1. bis 7. die zeitlichen Voraussetzungen nach § 2 AsylbewLG erfüllen, ist zwischen den Beteiligten allein streitig, ob sie die Dauer ihres Aufenthalts in Deutschland rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 2 Asylbewerberleistungsgesetz n. F. beeinflussen. Nach der Gesetzesbegründung zur Neufassung von § 2 AsylbewLG (Bundestagsdrucksache 15/420 [121] Gesetzesentwurf - Zuwanderungsgesetz zu Nr. 3) soll zwischen denjenigen Ausländern unterschieden werden, die unverschuldet nicht ausreisen können und denjenigen, die ihrer Ausreispflicht rechtsmissbräuchlich nicht nachkommen. Darüber hinaus enthält die Gesetzesbegründung Hinweise auf Beispiele, in denen ein solcher Rechtsmissbrauch anzunehmen ist, nämlich bei der Vernichtung des Passes und bei Angabe einer falschen Identität. Schließlich findet sich noch der Hinweis, dass die Bestimmung über die Folgen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens an den Entwurf einer Richtlinie des Rates der Europäischen Union zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern anknüpft. Insoweit werden in Artikel 16 des Entwurfes Formen negativen Verhaltens zusammengefasst, die auf nationaler Ebene eine Einschränkung von Leistungen erlauben. In diesem Zusammenhang geht es insbesondere um Einschränkungen bei der Verletzung von Meldepflichten und Auflagen zum Aufenthaltsort sowie das Verschweigen von finanziellen Mitteln. Aus der Gesamtschau dieser Vorschriften ergibt sich, dass eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts durch den Antragsteller dann anzunehmen ist, wenn er seinen Pass vernichtet, Angaben einer falschen Identität macht, eine der in Artikel 16 der Richtlinie genannte Verhaltensweise aufweist oder eine den vorgenannten Verhaltensweisen vergleichbare Handlung vornimmt, die entsprechend missbräuchlich ist.

Vorliegend wird den Antragstellern weder vorgeworfen, dass sie ihre Pässe vernichtet haben, noch, dass sie falsche Angaben zur Identität gemacht haben, sondern der Antragsgegner legt ihnen vielmehr eine fehlende Mitwirkung bei der Beschaffung von Identitätsdokumenten zur Last und beruft sich dabei auf das Fehlen von Bemühungen im Sinne von § 82 AufenthG. Das Gericht geht zwar grundsätzlich davon aus, dass die fehlende Mitwirkung bei der Beschaffung von Identitätsdokumenten bzw. Reisedokumenten auch die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts der Bundesrepublik rechtfertigen kann. Allerdings vermag das Gericht auf der Grundlage des bisherigen Vertrags und der beigezogenen Sozialamts- und Ausländerakten nicht erkennen, dass den Antragstellern tatsächlich eine fehlende Mitwirkung im Sinne einer rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Dauer ihres Aufenthalts in Deutschland vorgeworfen werden kann.

Dass es die Botschaft der Republik Makedonien dann mit Schreiben vom 17.01.1997 ablehnte, für die Antragstellerin zu 2. sowie für die Deutschland geborenen Antragsteller zu 5. bis 7. Passersatzpapiere auszustellen und darauf verwies, dass diese keine Staatsangehörigen der Republik Makedonien seien, dürfte weder von der Antragstellerin zu 2. noch von den Antragstellern zu 5. bis 7. zu verantworten sein. Weitere eigene Bemühungen des Antragsgegners, die Beschaffung von Passersatzpapieren für die Antragstellerin zu 2. und die Antragsteller zu 5. bis 7. durch entsprechende Anfragen bei der Vertretung der Republik Bosnien-Herzegowina voranzutreiben sowie die entsprechende Bitte um Unterstützung durch die Bezirksregierung Braunschweig aus dem Februar 1998 blieb im Ergebnis offenkundig auch erfolglos.

Angesichts der Erfolglosigkeit der eigenen Bemühungen des Antragsgegners stellt sich bereits die Frage, warum eigenständige Bemühungen um die Beschaffung der Passersatzpapiere durch die Antragstellerin zu 2. und die Antragsteller zu 5. bis 7. mehr Erfolg hätten haben können oder müssen. Zudem ist für das Gericht auch nicht erkennbar, dass für die Antragsteller selbst hinreichend klar war, dass sie selbst weitere Mitwirkungshandlungen zur Beschaffung von Identitätspapieren erbringen sollten. Abgesehen davon, dass es angesichts der oben dargestellten Probleme in der Kommunikation mit der Vertretung Bosnien-Herzegowinas schon nicht ohne Weiteres erkennbar ist, welche konkreten Handlungen seitens der Antragsteller das Verfahren zur Erteilung von Passersatzpapieren beschleunigt hätten, lässt sich den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners auch nicht entnehmen, dass die Antragsteller selbst explizit aufgefordert wurden, entsprechende Mitwirkungshandlungen zu erbringen. Soweit der Antragsgegner im gerichtlichen Verfahren behauptet hat, dass es ständige Praxis seines Ausländeramtes sei, dass die Antragsteller bei der Verlängerung der Duldung auf die entsprechenden Mitwirkungspflichten (mündlich) hingewiesen werden, ist dies jedenfalls nicht aktenkundig und wird so auch von den Antragstellern bestritten. Darüber hinaus dürfte es dem Antragsgegner auch zuzumuten gewesen sein, die Antragsteller in dem Zeitraum zwischen 1997 (Fehlschlagen der Erteilung der Passersatzpapiere bei der Botschaft der Republik Makedonien) und dem Beginn des gerichtlichen Verfahrens Anfang 2005 auf die bekannt gewordenen Probleme hinzuweisen und konkret um Mitwirkung durch persönliche Vorsprache in der Vertretung Bosnien-Herzegowinas zu bitten, falls dies - angesichts einer möglichen bosnischen Staatsangehörigkeit der Antragstellerin zu 2. - vom Antragsgegner als erfolgsversprechendere Maßnahme im Vergleich zu den eigenen Bemühungen angesehen wurde. Dass dies geschehen ist, wird auch von dem Antragsgegner nicht behauptet. Nach Auffassung des Gerichts kann auch nicht angenommen werden, dass die Vorschrift des § 82 AufenthG eine konkret nachweisbare, an die Antragsteller gerichtete Aufforderung des Antragsgegners, sich binnen einer bestimmten Frist aktiv durch Vorsprache bei bestimmten Behörden oder Vorlage von Unterlagen oder Angabe von fehlenden Daten um die Beschaffung von Passersatzpapieren zu bemühen, ersetzen kann. Dies ergibt sich einmal daraus, dass schon nach § 82 Abs. 3 AufenthG eine Pflicht zum Hinweis auf entsprechende Mitwirkungsverpflichten des Ausländers statutiert wird ("Der Ausländer soll auf seine Pflichten .... hingewiesen werden. Im Fall der Fristsetzung ist er auf die Folgen der Fristversäumung hinzuweisen."). Zum anderen wird gerade bei komplizierter gelagerten Sachverhalten - wie in dem vorliegenden Fall - nicht ohne Weiteres davon auszugehen sein, dass der Ausländer selbst weiß, bei welcher Behörde er welche Dokumente beantragen kann oder vorzulegen hat, so dass eine Konkretisierung der Mitwirkungspflichten geradezu geboten erscheint. Schließlich dürfte auch der Behörde selbst der Nachweis dafür, dass der Ausländer seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt, leichter fallen, wenn entsprechende Aufforderungen an den Ausländer zu konkreten Mitwirkungshandlungen innerhalb bestimmter Fristen auch aktenkundig gemacht werden. Dass der Antragsgegner im vorliegenden Fall nur pauschal auf Mitwirkungspflichten im Hinblick auf die Ausreisepflicht verweist, ohne erkennbar zu machen, welche Mitwirkungshandlungen der Antragsteller zum Erfolg hätten führen können, führt nach Ansicht des Gerichts dazu, dass jedenfalls von einer fehlenden Mitwirkung der Antragsteller im Sinne der rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung ihres Aufenthaltes nicht die Rede sein kann. Daher spricht derzeit Überwiegendes für einen Anspruch der Antragsteller zu 1. bis 7. auf Leistungen nach § 2 AsylbewLG.