OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 11.03.2005 - 4 Bf 64/02 - asyl.net: M6563
https://www.asyl.net/rsdb/M6563
Leitsatz:

Die Staatenlosigkeit als solche stellt kein gegenüber der Ausländerbehörde feststellungsfähiges Rechtsverhältnis dar.

 

Schlagwörter: D (A), Berufungszulassungsantrag, Staatenlose, Staatenlosenübereinkommen, Rechtsverhältnis, Feststellungsinteresse, Feststellungsantrag, Grundsätzliche Bedeutung, Duldung, Ausweisersatz, Staatsangehörigkeit, Abschiebungshindernis, Duldung
Normen: VwGO § 124; AG-StlMindÜbk Art. 2
Auszüge:

Die Staatenlosigkeit als solche stellt kein gegenüber der Ausländerbehörde feststellungsfähiges Rechtsverhältnis dar.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Aus den Darlegungen des Klägers im Zulassungsantrag, auf die sich die Prüfung grundsätzlich beschränkt (§ 124 a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO), ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit - des Ergebnisses - der Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§§ 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO).

Mit seinem Antrag zu 1) hat der Kläger, der offenbar weder - was ersichtlich allein in Betracht kommt - die estnische noch die russische Staatsangehörigkeit besitzt, die Feststellung seiner Staatenlosigkeit bzw. des Fehlens der estnischen oder russischen Staatsangehörigkeit begehrt. Das Verwaltungsgericht hat diesen Feststellungsantrag für unzulässig gehalten, weil es an einem feststellungsfähigem Rechtsverhältnis fehle. Das begegnet aus den im Zulassungsantrag dargelegten Gründen keinen Zweifeln. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, sind unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft deren eine der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht. Dagegen bilden Tatbestandsmerkmale, von deren Vorliegen die Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten abhängen, kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis (BVerwG, Urt. v. 20.11.2003, NVwZ-RR 2004, 253, 254, m.w.N.). Die Staatenlosigkeit des Klägers, die festgestellt werden soll, stellt ein solches Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten nicht dar. Es handelt sich bei ihr vielmehr um eine Eigenschaft des Klägers, die eine Tatbestandsvoraussetzung für verschiedene spezielle Rechtsverhältnisse darstellt, deren Feststellung jedoch nicht beantragt worden ist.

Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, dass es sich bei der Staatenlosigkeit, also dem Fehlen einer Staatsangehörigkeit, um eine Eigenschaft handele, die zugleich eine Vorfrage für weitere Verwaltungsakte oder schlichtes Verwaltungshandeln darstelle. Seine Rechtsbeziehungen zur Beklagten würden dadurch bestimmt, dass er keine Staatsangehörigkeit besitze. Dies wirke sich aus etwa bei Maßnahmen zum Vollzug der Ausreisaufforderung, bei der Vorbereitung der Passbeschaffung, der Abschiebung, bei Aufforderungen zur Ausstellung von Passantragsformularen und zu Botschaftsvorsprachen, bei Anordnungen zum persönlichen Erscheinen bei der Ausländerbehörde, bei der Befristung der Duldung sowie der Eintragung der Staatsangehörigkeit in die Duldungs-Bescheinigung. Durch die Staatenlosigkeit würde seine besondere Schutzbedürftigkeit festgestellt. Hiermit verweist der Kläger auf verschiedene Regelungen des Ausländer- bzw. jetzt des Aufenthaltsgesetzes und auch des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen, bei denen jeweils das Bestehen oder Nichtbestehen einer Staatsangehörigkeit eine Rolle spielen kann. Diese Eigenschaft als "Ausländer ohne Staatsangehörigkeit" ist jeweils eine Vorfrage, von der die konkreten rechtlichen Beziehungen abhängen können. Derartige Eigenschaften bzw. Vorfragen stellen jedoch nach den oben genannten Maßstäben selbst regelmäßig noch keine Rechtsverhältnisse dar (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 5.12.2000, DVBl. 2001, 393, 394; Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 43 Rdnr. 28).

Derartige Eigenschaften können ausnahmsweise dann bereits selbst als feststellungsfähige Rechtsverhältnisse anzusehen sein, wenn mit ihnen Statusrechte oder andere Rechtsbeziehungen unmittelbar einhergehen. Das z.B. bei der Beamteneigenschaft oder der Rechtsstellung als anerkannter Kriegsdienstverweigerer, aber auch beim Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit oder der Eigenschaft als sog. Statusdeutscher (Deutscher ohne deutsche Staatsangehörigkeit) der Fall. Die Eigenschaft stellt in derartigen Fällen lediglich eine "abgekürzte" Bezeichnung für ein Bündel von Berechtigungen und/oder Verpflichtungen dar (vgl. Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 43 Rdnr. 31, m.w.N.). Hiermit ist die geltend gemachte Staatenlosigkeit jedoch nicht zu vergleichen. Auch bei einem solchermaßen weit verstandenen Begriff des Rechtsverhältnisses (vgl. hierzu: Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 43 Rdnr. 16) genügt die Staatenlosigkeit allein noch nicht den Anforderungen, die nach den eingangs genannten Maßstäben an ein Rechtsverhältnis zu stellen sind. Aus der Staatenlosigkeit ergeben sich nicht unmittelbar rechtliche Beziehungen zwischen dem Kläger und der beklagten Ausländerbehörde. Von ihr hängen nicht unmittelbar Rechte und Pflichten des Klägers und/oder der Beklagten ab. Vielmehr stellt sie allein ein Tatbestandsmerkmal für unterschiedliche, sich aus verschiedenen Rechtsnormen ergebende Rechtsbeziehungen dar. So ergeben sich entgegen der Annahme des Klägers aus der Staatenlosigkeit keine unmittelbaren Folgen für eine Pflicht der Beklagten, ihn weiterhin zu dulden. Die Staatenlosigkeit kann zwar zu einem tatsächlichen Abschiebungshindernis nach § 60 a Abs. 2 AufenthG führen, muss es aber nicht, etwa wenn ein Staat bereit ist, den Kläger trotz seiner Staatenlosigkeit aufzunehmen und die Abschiebung dorthin dem Kläger zugemutet werden kann. Die Staatenlosigkeit spielt eine Rolle bei der Frage, ob der Kläger nach § 3 Abs. 1 AufenthG und § 4 Abs. 1 AufenthV seiner Passpflicht genügt oder genügen kann. Doch folgt aus ihrem Bestehen unmittelbar noch nichts. Die Staatenlosigkeit bewirkt insbesondere nicht bereits, dass dem Kläger nach Artikel 28 des Übereinkommens vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen (BGBl. II S. 559) ein Reiseausweis zu erteilen wäre. Vielmehr liegt dies gem. Art. 28 Satz 2 im Ermessen der zuständigen Behörde, was auch bereits Gegenstand einer Klage des Klägers war (19 VG 4586/98; 4 Bf 99/99). Auch bei der Frage, ob dem Kläger nach § 25 Abs. 5 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, kommt es auf die Staatenlosigkeit nur mittelbar an; die genannte Regelung stellt hierauf nicht ausdrücklich ab. Die Staatenlosigkeit des Klägers kann sich nach alledem in unterschiedlicher Art und Weise auf verschiedene Rechtsbeziehungen, die sich aus unterschiedlichen Normen ergeben, auswirken. Für sich genommen begründet sie jedoch noch keine rechtlichen Beziehungen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart, auf die sich der Kläger ausdrücklich beruft (Urt. v. 21.3.2001, InfAuslR 2001, 522, 526). Das Verwaltungsgericht hat nicht etwa - was der Kläger aber annimmt - in der Staatenlosigkeit als solcher ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis gesehen. Das der Feststellung nach § 43 Abs. 1 VwGO zugängliche Rechtsverhältnis hat das Gericht vielmehr speziell in der Staatenlosigkeit im Sinne von Art. 2 des Gesetzes zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 29.6.1977 (BGBl. I S. 1101) gesehen. Es hat damit auf die rechtlichen Beziehungen abgestellt, die sich aufgrund dieser öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis zwischen dem Kläger jenes Verfahrens und den zuständigen Behörden ergaben. An einem derartigen Rechtsverhältnis fehlt es aber gerade, wenn allein auf die Staatenlosigkeit abgestellt wird. Dem Vorbringen des Klägers lässt sich auch nicht entnehmen, dass er in Wahrheit jedes einzelne der beispielhaft aufgezählten rechtlichen Beziehungen, die sich aus den verschiedenen Regelungsbereichen aufgrund seiner Staatenlosigkeit oder unter Berücksichtigung dieses Umstandes ergeben, festgestellt wissen will. Insbesondere lässt sich seinen Ausführungen nicht entnehmen, dass er seine Staatenlosigkeit im Sinne der Art. 1 und 28 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen festgestellt wissen will. Zwar macht er geltend, dass es sich bei der Staatenlosigkeit um einen Rechtsbegriff handele, an den in diesem Übereinkommen Rechtsfolgen geknüpft würden, und dass die Staatenlosigkeit im Sinne dieses Übereinkommens auch in der Verwaltungspraxis als feststellungsfähig angesehen werde. Für die Feststellungsfähigkeit einer Staatenlosigkeit im Sinne dieses Übereinkommens spricht, dass hiervon der Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 28 Satz 1 oder - wie im Falle des Klägers im Vorprozess entschieden - ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung nach Art. 28 Satz 2 abhängt. Gleichwohl lässt sich nicht erkennen, dass es dem Kläger speziell um die Feststellung der Staatsangehörigkeit im Sinne dieses Übereinkommens oder anderer Regelungen geht. Hiergegen spricht bereits der eindeutige, sich allein auf die Staatenlosigkeit als solche beschränkende Wortlaut seines Antrages. Hiergegen spricht auch, dass der Antragsteller die verschiedenen Rechtsbeziehungen, die mit der Staatenlosigkeit zusammenhängen können, nur beispielhaft angeführt hat. Schließlich sei erwähnt, dass er für ein Begehren, speziell die Staatenlosigkeit im Sinne der Art. 1 und 28 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen festzustellen, kaum ein Feststellungsinteresse geltend machen könnte und auch nicht geltend macht, nachdem seine auf diese Normen gestützte Verpflichtungsklage auf Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose erfolglos geblieben ist und die Gerichte hierbei - teilweise ausdrücklich - von einer entsprechenden Staatenlosigkeit des Klägers ausgegangen sind. Soweit der Kläger schließlich geltend macht, die Feststellung seiner Staatenlosigkeit schließe ein, dass er zu keinem Staat mehr in einem ein Loyalitätsverhältnis stehe, beschreibt er überdies keine rechtlichen Beziehungen zur Beklagten.