VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 17.02.2005 - A 9 K 12522/03 - asyl.net: M6525
https://www.asyl.net/rsdb/M6525
Leitsatz:
Schlagwörter: Togo, Drittstaatenregelung, Vorverfolgung, Glaubwürdigkeit, Situation bei Rückkehr, Festnahme, Haft, Folter, Regimegegner, Situation bei Rückkehr, A.T.L.M.C., UFC, Oppositionelle
Normen: AsylVfG § 26a; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf die Feststellung, dass in seinem Fall die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG gegeben sind.

Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Togo mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ausgesetzt sein wird. Er ist als politisch Verfolgter, der Zwangsmaßnahmen, die den Schutzanspruch des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG von ihrem Umfang und ihrer Intensität her zu begründen vermögen, bereits erlitten hat, ausTogo ausgereist und muss bei einer Rückkehr in sein Heimatland nach Lage der Dinge erneut mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen rechnen. Der Kläger ist aus einer durch erlittene Verfolgungsmaßnahmen hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen (vgl. hierzu allgemein BVerfGE 74, 51 ff. und BVerwGE 87, 52 ff.). Insoweit kann bei einer Rückkehr zumindest nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass es zu einer Verfolgung kommen wird.

Dass der Kläger - erneut - mit politisch motivierter Verfolgung rechnen muss, ergibt sich aus einer verständigen Würdigung der gesamten Umstände seines Falles, seinen insoweit schlüssigen und - aufgrund der namentlich in der mündlichen Verhandlung gegebenen nachvollziehbaren Version - glaubhaft gemachten Angaben über sein Verfolgungsschicksal, wobei dies insbesondere vor dem Hintergrund der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen bezüglich der Verhältnisse in Togo zu sehen ist. Der Kläger hat danach das Gericht davon überzeugt, dass er - persönlich - als politischer Gegner das in seinem Heimatland herrschende Regime dort öffentlich in Erscheinung getreten und überdies nachhaltig in das Visier der Sicherheitsorgane geraten ist. Dabei ist der Kläger - nach seiner Abschiebung - nur einen Tag nach der Ankunft festgenommen worden. Der Kläger hat glaubhaft gemacht, dass er von den togoischen Behörden ersichtlich als ernstzunehmender Gegner des Regimes angesehen wurde und demgemäß offensichtlich bereits am Flughafen Lomé aufgrund des dort üblichen Personenfeststellungsverfahrens (vgl. hierzu die Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 16.01.1998 an das VG Bremen, vom 17.02.1998 an das VG Hamburg, vom 11.03.1998 an das VG Augsburg und vom 27.04.1998 an das VG Schleswig sowie dem Lagebericht vom 07.06.2004) identifiziert wurde. Dies hatte dann - nur einen Tag später - eine Inhaftierung zur Folge. Während der Haft ist der Kläger - wie er namentlich bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und plausibel dargestellt hat - mit schwersten Repressalien überzogen worden. Er hat glaubhaft gemacht, während der mehrwöchigen Haft immer wieder massiv misshandelt worden zu sein und dabei erhebliche Verletzungen davongetragen zu haben. Der Kläger hat weiterhin anschaulich geschildert, dass die Folterungen ihn schließlich derart erkranken ließen, dass er in ein Häftlingskrankenhaus verbracht wurde. Dass in der Haft togoischer Sicherheitskräfte Folter und unmenschliche Behandlung durchaus zu gewärtigen sind, wird in allen vorliegenden Erkenntnisquellen bestätigt (vgl. statt aller den jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 07.06.2004). Das Gericht ist insgesamt von der Wahrheit des klägerischen Vorbringens überzeugt, wonach dieser ersichtlich auf nachhaltige Weise in das Visier der Sicherheitsorgane geraten und als erkannter Regimegegner, dessen man sich bereits bemächtigt hatte, zuletzt, d.h. unmittelbar vor seiner Ausreise, erneut in eine Situation geraten war, die mit einer akuten Gefährdung seines Lebens verbunden war. Das Gericht nimmt dem Kläger ab, dass er nach dem Aufenthalt im Krankenhaus nochmals für kurze Zeit in seine Zelle zurückgebracht wurde, um dann unter der Auflage, auf weitere politische Aktivitäten zu verzichten, freigelassen zu werden. In der Folgezeit ist der Kläger nach Lage der Dinge - namentlich in Bezug auf seine (fortgesetzte) politische Tätigkeit - observiert worden, was zuletzt dazu führte, dass am 17.03.2003 eine Durchsuchung seiner Wohnung und deren Zerstörung erfolgte. Der Kläger musste zwingend davon ausgehen, dass, nachdem seine politischen Aktivitäten, die er als Mitarbeiter des Vorsitzenden der A.T.L.M.C. ... weiterbetrieben hatte, offensichtlich von den Sicherheitskräften bemerkt worden waren, ein erneuter Zugriff auf seine Person unmittelbar bevorstand. Der Kläger wurde ersichtlich in die Gruppe der oppositionellen Personen eingereiht, die immer wieder das Ziel tätlicher Angriffe der Sicherheitskräfte sind; solche Personen werden je nach Einzelfall verbal eingeschüchtert, bedroht, geschlagen, von ihrem Wohnsitz vertrieben, gefoltert und zum Teil auch ermordet (vgl. die Lageberichte des Auswärtigen Amts, v. 07.06.2004 und v. 15.08.2003 sowie die Auskünfte des Auswärtigen Amts v. 21.08.2002 an das VG Schwerin, v. 26.10.2001 an das VG Aachen u. v. 14.09.2000 an das VG München; vgl. ferner die Stellungnahmen des Instituts für Afrikakunde v. 12.03.2003 an das VG Kassel u. v. 11.04.2000 an das VG Greifswald). Dem zu erwartenden (zweiten) Zugriff auf seine Person konnte der Kläger - wie er ebenfalls glaubhaft dargelegt hat - nur durch glückliche Umstände entgehen, indem er - auf die rechtzeitige Warnung seines Nachbarn hin - unverzüglich einen Freund aufsuchte und sich dort (bis zu seiner endgültigen Ausreise) versteckt hielt.

Aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen über die politische Situation in Togo (hier insbesondere die obengenannten Lageberichten des Auswärtigen Amtes) ist das Gericht auch der Überzeugung, dass die Verfolgungslage, aus der heraus der Kläger seinerzeit sein Heimatland verlassen hat, nach wie vor besteht (§ 77 Abs. 1 AsylVfG). Als eine Person, die von den togoischen Machthabern als ausgewiesener Regimegegner angesehen wurde und von entsprechenden Verfolgungsmaßnahmen betroffen sowie von weiteren, nach Lage der Dinge noch nachhaltigeren und vor allem lebensgefährdenden unmittelbar bedroht war, muss der Kläger im Falle einer Rückkehr nach wie vor mit gezielten Zwangsmaßnahmen durch die Sicherheitsorgane rechnen. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass solche Maßnahmen auch eine Intensität erreichen würden wie diejenigen, die der Kläger durch seine seinerzeitige Verhaftung bereits erlitten hat bzw. denen er durch seine ihm zuletzt gelungene Flucht gerade noch entgangen ist. In jedem Fall ist bei einer Rückkehr des Klägers nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, dass er mit Verhaftung und weiteren damit verbundenen - noch schwerwiegenderen - Repressalien rechnen muss (vgl. zum - auch bei politischer Verfolgung gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG wie bisher bei § 51 Abs. 1 AuslG a. F. geltenden - insoweit herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerfGE 54, 341; BVerwGE 70, 169 sowie Urt. v. 03.11.1992, a. a. O.).