OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Beschluss vom 30.03.2005 - 1 Q 11/05 - asyl.net: M6420
https://www.asyl.net/rsdb/M6420
Leitsatz:

Integration schließt Widerruf nicht aus.

 

Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Kosovo, Albaner, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Berufungszulassungsantrag, Änderung der Sachlage, Grundsätzliche Bedeutung, Integration, Zwingende Gründe, Genfer Flüchtlingskonvention, Zumutbarkeit, UNHCR-Richtlinie
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 3; GFK Art. 1 C Nr. 5 S. 2
Auszüge:

Integration schließt Widerruf nicht aus.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger, dessen Flüchtlingsanerkennung im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit den kriegerischen Auseinandersetzungen in seiner Heimat im Jahre 1999 stand, wirft die Frage auf, "ob sich im Kosovo eine solch grundlegende Änderung der Verhältnisse ergeben hat", dass sich ein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung (§ 73 AsylVfG) rechtfertigt.

Dieser Vortrag rechtfertigt die begehrte Rechtsmittelzulassung offensichtlich nicht. Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung (auch) des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes (vgl. bereits OVG des Saarlandes, Beschluss vom 6.8.1999 - 3 Q 125/99 -, SKZ 2000, 108, Leitsatz Nr. 79, Urteil vom 20.9.1999 - 3 R 29/99 -, SKZ 2000, 110, Leitsatz Nr. 96, seither ständige Rechtsprechung), dass nach dem im Gefolge des Militärabkommens zwischen der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien und dem Nordatlantischen Bündnis (Nato) vom 3.6.1999 sowie der Resolution des Weltsicherheitsrats der Vereinten Nationen (UNO) vom 10.6.1999 erfolgten vollständigen serbischen Rückzug und dem Einmarsch der internationalen Friedenstruppe in die Provinz mangels staatlicher Machtausübung durch jugoslawische Stellen von einer aktuellen Gefahr politischer (staatlicher) Verfolgung für ethnische Albaner im Verständnis des § 51 Abs. 1 AuslG (nunmehr § 60 Abs. 1 AufenthG (vgl. das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG), Art. 1 des Zuwanderungsgesetzes vom 30.7.2004 (BGBl. I, 1950 ff.)) ungeachtet der künftigen völkerrechtlichen Situation des Kosovo nicht mehr ausgegangen werden kann.

Die Rechtssache hat ferner keine grundsätzliche Bedeutung, soweit der Kläger darüber hinaus mit Blick auf § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG die Frage aufwirft, ob "Integrationsleistungen des Ausländers im Aufnahmeland Einfluss darauf haben können, ob eine Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung weiter bestehen bleibt". Eine ausdrückliche Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes zu dieser Detailfrage im Anwendungsbereich des § 73 AsylVfG liegt zwar bisher ersichtlich nicht vor; sie lässt sich indes mit Blick auf den Wortlaut der damit angesprochenen so genannten "Humanitätsklausel" eindeutig, und zwar im Sinne des angegriffenen Urteils des Verwaltungsgerichts negativ beantworten. Der Durchführung eines Berufungsverfahrens eigens zur Klärung dieser Frage bedarf es nicht.

Nach dem durch das Zuwanderungsgesetz (vgl. dazu Art. 3 Nr. 46 des Zuwanderungsgesetzes vom 30.7.2004, a.a.O., BGBl. I 2004, 1994) unveränderten, im Wortlaut an den Art. 1 C Nr. 5 Satz 2 der Genfer Konvention (GK) (vgl. das durch Zustimmungsgesetz vom 1.9.1953 (BGBl. II, 559) in deutsches innerstaatliches Recht überführte internationale "Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" vom 28.7.1951) angelehnten § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist vom Widerruf der Flüchtlingsanerkennung trotz Fortfalls der Anerkennungsvoraussetzungen (Satz 1) abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf der früheren Verfolgung beruhende Gründe berufen kann, um eine Rückkehr in den Heimatstaat abzulehnen. Damit soll nach der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur besonderen Belastungen im Heimatland schwer Verfolgter, insbesondere psychisch und/oder körperlich gefolterter Flüchtlinge Rechnung getragen werden, die unter den Nachwirkungen derartiger qualifizierter Verfolgungsumstände dauerhaft leiden (vgl. zu der Vorschrift im einzelnen etwa Renner, Ausländerrecht, 7. Auflage 1999, § 73 AsylVfG, RNrn. 10 bis 13; Marx, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, 5. Auflage 2003, § 73 RNrn. 105 ff., jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen). Davon kann bei dem Kläger nach eigenem Vorbringen nicht die Rede sein und das wird von ihm auch nicht geltend gemacht. Der Wortlaut des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG, nach dem insoweit nur auf der (ehemaligen) Verfolgung im Heimatland "beruhende" Gründe in den Blick genommen werden dürfen und die sich aus § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ergebende Pflicht der Behörde zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nach Wegfall der Voraussetzungen entfallen lassen können, lässt es indes nicht zu, aus sich aus einem längeren Auslandsaufenthalt im Rückkehrfall als solchem, unabhängig von den Gründen der Ausreise, ergebenden Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in die wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten des Herkunftsstaates eine Unzumutbarkeit im Sinne der Vorschrift herzuleiten (vgl. hierzu etwa Renner, a.a.O., RNr. 13, wonach auch ein grundsätzlicher Neu- oder Wiederaufbau einer wirtschaftlichen Existenz im Heimatland nicht "von vomeherein unzumutbar" ist). Ob insoweit in besonders gelagerten Fällen, etwa bei sehr lange dauernder Abwesenheit und zusätzlich einem zwischenzeitlich erreichten hohen Lebensalter des Betreffenden in Ausnahmefällen (vgl. hierzu etwa Marx, a.a.O., RNr. 114) etwas anderes gelten kann, bedarf jedenfalls aus Anlass des Falls des Klägers, eines 28-jährigen jungen Mannes mit Berufsausbildung und ohne - jedenfalls nach Akteninhalt und Sachvortrag - einschränkende körperliche Gebrechen, keiner Vertiefung. Das Verwaltungsgericht hat im erstinstanzlichen Urteil zu Recht darauf hingewiesen, dass mit dieser Regelung oder vielmehr der Rückkehr in die Heimat verbundene "Härten" von dem Ausländer regelmäßig hinzunehmen sind (vgl. hierzu die Ausführungen auf Seite 9 des erstinstanzlichen Urteils vom 27.1.2005 - 10 K 315/03.A -). Den in dem vom Kläger angeführten Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt/Main (vom 22.2.2002 - 5 E 30748/99.A (3) -, InfAuslR 2002, 371) angesprochenen konkret existenzbedrohenden Gefährdungen im Heimatland lässt sich - so sie denn vorliegen - zielstaatsbezogen im Rahmen des § 53 Abs. 6 AuslG (nunmehr § 60 Abs. 7 AufenthG) Rechnung tragen.

Nichts anderes kann für die vom Kläger in dem Zusammenhang ebenfalls als eine Unzumutbarkeit seiner Rückkehr in den Kosovo begründenden "Integrationsleistungen" in der Bundesrepublik Deutschland gelten. Auch dabei handelt es sich nicht um "Fortwirkungen" einer Verfolgung des Klägers, der im Übrigen bereits 1995 nach Deutschland einreiste und dessen Flüchtlingsanerkennung auf der sich erst danach durch serbische Nachstellungen gegenüber ethnischen Albanern in der Provinz zuspitzenden Konfliktlage beruhte. Wollte man in dem Umstand einer im Einzelfall weit reichenden Eingliederung des Flüchtlings in die sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten in Deutschland einen zwingenden, auf einer früheren Verfolgung "beruhenden" Grund erblicken, so würde der Tatbestand des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG entgegen der in seinem Wortlaut durch diese Einschränkung deutlich erkennbar gewordenen Intention des Gesetzgebers uferlos zu einer allgemeinen Härte- beziehungsweise Unzumutbarkeitsklausel hinsichtlich der Rückkehrmöglichkeiten im Einzelfall - unabhängig von der konkret erlittenen Verfolgung des Betroffenen - ausgeweitet. Dass dies weder der Wille noch die Intention des Gesetzgebers ist, macht die Formulierung indes ohne weiteres deutlich. Den von dem Kläger unter Verweis auf "Richtlinien" des UNHCR aus dem Jahre 2003 (vgl. die vom Kläger auf Seite 3 der Antragsbegründung, Blatt 84 der Akte, in Bezug genommenen Richtlinien zum internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Art. 1 C (5) und (6) GFK ("Wegfall der Umstände"-Klauseln)) angesprochenen Aspekten eines "umfassenden Flüchtlingsschutzes" und einer "dauerhaften Lösung" sowie der dadurch aus seiner Sicht notwendigen Berücksichtigung eines längeren Aufenthalts, der regelmäßig zu sozialen, familiären und wirtschaftlichen Bindungen im Aufnahmeland führt, lässt sich im Rahmen der Widerrufsregelung (§ 73 Abs. 1 AsylVfG) nicht Rechnung tragen. Mit Blick auf die durch eine weit reichende Integration des Flüchtlings in Deutschland bestehenden Belange bedarf es dessen im Übrigen nicht. Diesen Gesichtspunkten wird gegebenenfalls im Einzelfall durch das Ausländerrecht und die dadurch vermittelten Bleiberechte Rechnung getragen.