VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 09.02.2005 - 7 E 1985/04.A(1) - asyl.net: M6318
https://www.asyl.net/rsdb/M6318
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Flüchtlingsfrauen, Ehebruch, Situation bei Rückkehr, Menschenrechtswidrige Behandlung, Steinigung, Strafverfolgung, Hadd-Strafen, Tazir-Gesetz, Glaubwürdigkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3; iran. StGB Art. 63; iran. StGB Art. 64; Tazir-Gesetz Art. 101
Auszüge:

Das Gericht ist aufgrund der Angaben und Aussagen der Klägerin zu 1), der beigezogenen Akten und nach Auswertung aller in das Verfahren eingeführten Dokumente zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin zu 1) gegen die Beklagte einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 AufenthG hat. Der Klägerin zu 1) droht im Fall ihrer Abschiebung in den Iran wegen des gegen sie bestehenden Vorwurfs des Ehebruchs nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK die konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung staatlicherseits.

Die Überzeugung, dass der Klägerin zu 1. eine Strafe wegen Ehebruchs droht, gründet sich vor allem auf die ausführlichen und übereinstimmenden Schilderungen, die sie im Laufe des Asylverfahrens abgegeben hat. Für das Gericht steht deshalb fest, dass die Klägerin am 09.04.2003 bei einem Treffen mit ihrem Freund von ihrem Schwager überrascht wurde und daraufhin der Vorwurf des Ehebruchs gegen sie erhoben wurde. Die Klägerin zu 1. hat weiterhin nachvollziehbar vorgetragen, dass sie bei den Pasdaran vorgeladen wurde. Entsprechende Ladungsformulare wurden ihrem Mann ausgehändigt. Sie ist auch weiter zeitnah nach diesen Geschehnissen ausgereist.

Auf der Grundlage des danach feststehenden Sachverhalts geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin zu 1. im Falle ihrer Abschiebung in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit der Verhängung einer erniedrigenden Strafe wegen des Vorwurfs des Ehebruchs zu rechnen hätte.

Die hier in Betracht kommende Strafbarkeit ist im 2. Buch des Gesetzes über die islamischen Strafen (die Hadd-Strafen) 1. Kapitel - die Hadd-Strafen für unerlaubten Geschlechtsverkehr - geregelt. Nach Art. 63 dieses Islamischen Strafgesetzbuches - StGBI - ist unerlaubter Geschlechtsverkehr die geschlechtliche Vereinigung eines Mannes mit einer Frau, mit der ihm dieses verboten ist. Nach Art. 64 StGB zieht der unerlaubte Geschlechtsverkehr eine Hadd-Strafe nach sich, wenn beim Täter bzw. bei der Täterin folgende Eigenschaften vorlagen: Mündigkeit, geistige Gesundheit, Freiwilligkeit, Kenntnis der Vorschriften und der Tatsachen. Für eine Verurteilung ist nach Art. 68, 69 und 70 II IStGB entweder ein viermaliges Geständnis oder nach Art. 74 IStGB der Zeugenbeweis von vier männlichen Zeugen oder drei männlichen Zeugen und zwei weiblichen Zeugen erforderlich. Nach Art. 83 ist als Hadd-Strate im Falle einer Verurteilung die Steinigung vorgesehen. Dies gilt sowohl in dem Fall des Buchstaben A für den unerlaubten Geschlechtsverkehr eines verheiraten Mannes als auch nach Buchstabe B für eine Frau, die unerlaubten Geschlechtsverkehr hat und ihrerseits verheiratet ist, nämlich einen ständigen Ehemann hat, der mit ihr die Ehe vollzogen hat und die die Möglichkeit hat, mit ihrem Mann Geschlechtsverkehr zu haben (vgl. Deutsches Orient-Institut, Auskunft vom 04.11.1998 an das VG Augsburg).

Unabhängig von der Frage, ob der Zeugenbeweis für eine Strafbarkeit nach den genannten Vorschriften geführt werden kann, kommt eine Strafbarkeit nach Art. 101 des Tazir in Betracht. Diese Vorschrift lautet:

"Wenn ein Mann oder eine Frau, zwischen denen kein Eheverhältnis besteht, eine noch nicht als Ehebruch einzustufende sittenwidrige Handlung begehen, sich z.B. küssen oder in ein gemeinsames Bett legen, ist die Strafe bis zu 99 Peitschenhieben. Geschieht die Handlung durch Nötigung, wird nur derjenige bestraft, der den Zwang ausgeübt hat."

Somit droht der Klägerin zu 1. zumindest eine sogenannte Erziehungsstrafe durch Züchtigung. Im Bereich der Tazir-Strafen, die nicht Gottesrecht, sondern Menschenrecht sind, und in dem daher menschliches Ermessen zulässig ist, ist die Beweisführung vereinfacht. Nach der Einschätzung des Deutschen Orient-Instituts ist praktisch zu unterstellen, dass ein iranischer Richter auf diese Vorschrift zurückgreifen würde, wenn sich der Ehebruch nicht nach Maßgabe der islamischen Beweisregelungen beweisen lässt (Deutsches Orient-Institut, Auskunft vom 23.11.1995 an VG Wiesbaden).