OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.01.2005 - 18 B 15/05 - asyl.net: M6277
https://www.asyl.net/rsdb/M6277
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Jugoslawen, Psychische Erkrankung, Traumatisierte Flüchtlinge, Posttraumatische Belastungsstörung, Fachärztliche Stellungnahmen, Glaubwürdigkeit, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Retraumatisierung, Reisefähigkeit, Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Duldung, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AuslG § 53 Abs. 6; AufenthG § 60 Abs. 7; AufenthG § 60a Abs. 2
Auszüge:

Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung, die sich ausschließlich auf die Erkrankung der Antragstellerin zu 2. erstrecken, sind nicht ausreichend um ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 SatZ 1 des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz -AufenthG -) vom 30. Juli 2004 - BGBl I, S. 1950 - substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen.

Das zur näheren Erläuterung der Erkrankung der Antragstellerin zu 2. vorgelegte Attest des Dr. (YU) V. Q. , Facharzt für Neurologie/Psychiatrie und Psychotherapie, vom 1. Dezember 2004 genügt schon in tatsächlicher Hinsicht nicht, um Art und Schwere der Erkrankung der Antragstellerin zu 2. sowie ihr bei einer Rückkehr in ihr Heimatland drohende damit zusammenhängende spezifische Risiken nachvollziehbar darzulegen. Denn es ist diesem Attest nicht zu entnehmen, auf welcher konkreten Tatsachengrundlage der attestierende Arzt zu seiner Bewertung gelangt ist. Auch das zuvor von Dr. (YU) Q. ausgestellte Attest vom 11. Juli 2002 ist insoweit ohne Aussagegehalt, worauf das Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom 2. November 2004 zutreffend hingewiesen hat. Soweit demgegenüber in dem ersten von den Antragstellern vorgelegten Attest des Dr. (YU) Q. vom 5. Februar 2002 davon die Rede ist, die bei der Antragstellerin zu 2. vorliegende Angstsymptomatik sei höchstwahrscheinlich Folge von belastenden Ereignissen im ehemaligen Jugoslawien, wo die Antragstellerin zu 2. und ihre Familie aufgrund der politischen Konflikte verfolgt und von der Polizei schikaniert worden sei, ist dies weder von dem behandelnden Arzt noch den Antragsteller näher konkretisiert worden. Die allgemein gehaltenen Formulierungen sind auch deshalb nicht ohne weiteres plausibel, weil die behauptete Erkrankung der Antragstellerin zu 2. jahrelang selbst angesichts drohender Abschiebung nicht zur Begründung des wiederholt begehrten Abschiebungsschutzes angeführt worden ist.

Von daher ist die in der Beschwerdebegründung aufgestellte Behauptung, eine Rückführung der Antragstellerin zu 2. würde bei dieser eine Retraumatisierung auslösen, schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil die Antragsteller eine konkrete Tatsachengrundlage, bezüglich einer im Heimatland erlittenen Traumatisierung der Antragstellerin zu 2. nicht substantiiert dargelegt haben. Zwar kann es Einzelfälle geben, in denen traumatisierende Erlebnisse zunächst in der Erinnerung verdrängt und im ausländerrechtlichen Verfahren zunächst nicht geschildert werden, es aber zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Wiederaufleben traumatischer Erinnerungen kommt. Dann bedarf es jedoch grundsätzlich einer aussagekräftigen, nachvollziehbaren, regelmäßig durch ärztliche Bescheinigungen zu belegenden Darstellung, dass und warum ein solcher Ausnahmefall vorliegt und unter welchen Umständen es zum Wiederaufleben der traumatischen Erinnerung gekommen ist (vgl. Beschluss vom Senats vom 24. Juni 2002 -,18 B 965/02 -).

Dafür geben die von den Antragstellern vorgelegten ärztlichen Atteste nichts her.

Im Übrigen wird die Behauptung, eine posttraumatische Belastungsstörung könne im Heimatland generell nicht erfolgreich behandelt werden, weil die Ursachen für die Erkrankung dort lägen, in der Beschwerdebegründung nur allgemein behauptet, nicht aber konkret und nachvollziehbar dargelegt. Unabhängig davon spricht gegen die inhaltliche Richtigkeit einer solchen allgemeinen Behauptung dass Serbien und Montenegro (vgl. die vom Verwaltungsgericht im Urteil vom 2. November 2004 zitierten Auskünfte) verschiedentlich Personen, die unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, psychotherapeutisch und auf andere Weise behandelt werden und nicht bekannt ist, dass diese Behandlungen allgemein schon deshalb ohne therapeutischen Erfolg bleiben, weil die Ereignisse, die zur Traumatisierung der Betroffenen geführt haben, dort geschehen sind.

Die Antragstellerin zu 2. kann sich schließlich nicht mit Erfolg auf ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis in Form einer Reiseunfähigkei berufen, das zu einer vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung (Duldung) gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG führen könnte. Denn nicht jede mit der Erkenntnis eines aussichtslosen Bleiberechts für Deutschland und einer bevorstehenden Rückkehr ins Heimatland einhergehende, mithin also letztlich abschiebungsbedingte Verschlechterung des Gesundheitszustandes führt zu einer Aussetzung der Abschiebung wegen Reiseunfähigkeit, der im Übrigen vielfach durch ärztliche Hilfe bis hin zu einer Flugbegleitung begegnet werden kann. Indem das Aufenthaltsgesetz, ebenso wie zuvor das Ausländergesetz, die Abschiebung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht, nimmt es in diesem Zusammenhang vielfach zu erwartende Auswirkungen auf den gesundheitlichen, insbesondere psychischen Zustand der Betroffenen in Kauf und lässt eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung erst dann zu, wenn eine Reiseunfähigkeit gegeben ist bzw. wenn - was hier aus den oben genannten Gründen nicht der Fall ist - eine Gesundheitsstörung droht, die den in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorgegebenen Gefährdungsgrad erreicht. Soweit in dem Attest des Dr. (YU) Q. vom 1. Dezember 2004 davon die Rede ist, die Antragstellerin zu 2. sei nicht rückführungsfähig, steht diese Aussage inhaltlich im Zusammenhang mit der von dem Atzt angenommenen Notwendigkeit einer Fortsetzung der psychotherapeutischen Behandlung in Deutschland wegen der von ihm diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung. Dieser Gesichtspunkt ist aber aus den oben dargelegten Gründen unbeachtlich und demzufolge nicht ausreichend, eine Reiseunfähigkeit der Antragstellerin zu 2. zu begründen.