OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.11.2004 - 21 A 580/99.A - asyl.net: M6128
https://www.asyl.net/rsdb/M6128
Leitsatz:

Zur Verfolgung von Tamilen in Sri Lanka. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Sri Lanka, Tamilen, LTTE, Verdacht der Mitgliedschaft, Festnahme, Verhöre, Misshandlungen, Narben, Verfolgung durch Dritte, Mittelbare Verfolgung, Zwangsrekrutierung, Glaubwürdigkeit, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Antragstellung als Asylgrund, Situation bei Rückkehr, Grenzkontrollen, Emergency certificate, Identitätsfeststellung, Einreisebestimmungen, Ausreisebestimmungen, Strafverfolgung, Folter, Terrorismusbekämpfung, Exilpolitische Betätigung, Überwachung im Aufnahmeland, Colombo, Razzien, Gruppenverfolgung, Verfolgungsprogramm, Verfolgungsdichte, Gebietsgewalt, Quasi-staatliche Verfolgung, Interne Fluchtalternative, Existenzminimum, Bürgerkrieg, Politische Entwicklung, Menschenrechtslage
Normen: AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Sowohl die zuletzt genannten Vorbehalte hinsichtlich der Menschenrechtssituation als auch die weiterhin nicht als hinreichend stabil einzuschätzende politische Lage verbieten es nach Überzeugung des Senats (noch), die Situation in Sri Lanka schon als so günstig zu beurteilen, dass selbst einem vorverfolgt ausgereisten Tamilen eine Rückkehr in sein Heimatland wegen dort herrschender Sicherheit vor (erneuter) politischer Verfolgung zugemutet werden kann. Der Senat sieht sich in seiner vorsichtigen Einschätzung nicht zuletzt durch die innenpolitischen Ereignisse in Sri Lanka seit November 2003 bestätigt. Auch die daraus für den weiteren Fortgang des Friedensprozesses resultierenden Unsicherheiten in der Prognose der zukünftigen Entwicklung bieten andererseits derzeit keinen Ansatzpunkt für die Annahme, die gegenüber dem Stand von Herbst 2001 signifikant verbesserte Situation für Tamilen könne sich wieder derart verschlechtern, dass zu befürchten wäre, Angehörigen dieser Volksgruppe oder irgendeiner Untergruppe könnte in absehbarer Zeit politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Es kann unentschieden bleiben, ob der LTTE - wofür Vieles spricht - in den von ihr beherrschten Gebieten eine auf einer organisierten, effektiven und stabilisierten territorialen Herrschaftsmacht beruhende und damit eine staatsähnliche Gebietsgewalt zukommt, von der politische Verfolgung ausgehen kann (vgl. dazu BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2001 - 9 C 20.00 -, BVerwGE 114, 16 und - 9 C 21.00 -, BVerwGE 114, 27 f. ).

Eine solche Gebietsgewalt wäre auf die von der LTTE beherrschten Gebiete im Norden und Osten beschränkt. Ein srilankischer Staatsangehöriger wäre in den übrigen Landesteilen, in die er ausweichen kann (AA 30.03.2004 S. 15) und in denen die LTTE keinerlei Staatsgewalt innehat, durch die srilankischen Sicherheitskräfte geschützt und jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von politischer Verfolgung durch die LTTE bedroht.

Individuelle Anknüpfungspunkte für eine politische Verfolgung insbesondere in der Person des Beigeladenen liegende und in seinem Einzelfall zu würdigende Anknüpfungspunkte für eine bis zum Maß einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit gesteigerte Gefahr politischer Verfolgung sind nicht gegeben. Der Beigeladene weist zwar verschiedene Merkmale auf, die die Wahrscheinlichkeit eines ersten Zugriffs zur Identitätsabklärung durch die Sicherheitskräfte erhöhen können; sie tragen aber nicht den Schluss, dass ihm dabei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine asylerhebliche längerfristige Inhaftierung und/oder körperliche Misshandlungen drohen. Mit Blick auf die Risikofaktoren fehlender Ausweispapiere, möglicherweise unzureichender Sprachkenntnisse, Alter und Herkunft teilt der Beigeladene das Schicksal einer Vielzahl nach Sri Lanka zurückkehrender tamilischer Asylbewerber, deren Lebensalter unter 35 bis 40 Jahren liegt, deren Geburts- oder Herkunftsort auf der Jaffna-Halbinsel oder im übrigen Norden Sri Lankas liegt, die die singhalesische und englische Sprache nicht beherrschen und die bei ihrer Rückkehr nicht über gültige Ausweispapiere verfügen, ohne dass es bei diesem Personenkreis, wie bereits zur allgemeinen Sicherheitslage im Großraum Colombo ausführlich dargelegt, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu asylrelevanten Übergriffen kommt. Zwar kommt bei dem Beigeladenen als potentiell risikoerhöhender Umstand hinzu, dass er erkennbar gehbehindert ist und Narben aufweist. Das allein führt jedoch nicht dazu, dass für ihn ein beachtliches Risiko von Misshandlungen oder längerfristigen Inhaftierungen durch srilankische Sicherheitskräfte anzunehmen wäre. Denn einerseits dürfte eine Vielzahl srilankischer Bürger aufgrund des Bürgerkriegsgeschehens bleibende Verletzungsfolgen aufweisen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass sich der Beigeladene seit nunmehr fast neun Jahren nicht mehr in Sri Lanka aufgehalten hat und sein Aufenthalt in Deutschland ohne Weiteres nachweisbar ist. Auch im Übrigen fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass sich die Sicherheitsbehörden wegen einer Verwandtschaft mit LTTE-Angehörigen, eines in Polizeiberichten oder sonstigen Unterlagen der Sicherheitskräfte festgehaltenen Verdachts einer LTTE- Mitgliedschaft oder einer Identifikation als LTTE-Mitglied durch Informanten der Sicherheitskräfte für ihn interessieren könnten. Selbst wenn er - was nach dem oben Dargelegten allerdings nicht glaubhaft ist - in Sri Lanka einmal verhaftet worden sein sollte, erschiene es höchst unwahrscheinlich, dass ihm diese Inhaftierung, die nach seiner Darstellung wegen eines zu Unrecht gehegten Verdachts der LTTE-Zugehörigkeit erfolgt wäre und die mit seiner Freilassung geendet hätte, bei der Rückkehr nach Ablauf von mittlerweile fast neun Jahren überhaupt noch - insbesondere unter Berücksichtigung der bereits dargelegten aktuellen Entwicklung - entgegengehalten würde.