OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.01.2005 - 21 A 3093/04.A - asyl.net: M6114
https://www.asyl.net/rsdb/M6114
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Berufungszulassungsantrag, Rechtliches Gehör, Traumatisierte Flüchtlinge, Psychische Erkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung, Glaubwürdigkeit, Fachärztliche Stellungnahmen, Richterliche Überzeugungsbildung, Eigene Sachkunde, Sachverständigengutachten, Sri Lanka, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Existenzminimum, Grundsätzliche Bedeutung
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3; VwGO § 138 Nr. 3
Auszüge:

Der Vorwurf, die richterliche Überzeugungsbildung sei schlechthin unvertretbar und damit objektiv willkürlich, lässt sich jedoch gegenüber der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht erheben. Es obliegt grundsätzlich den Gerichten, zu beurteilen, ob das von einem Asylbewerber behauptete Geschehen sich tatsächlich zugetragen hat, was vorliegend die Frage beinhaltet, ob das erforderliche A-Kriterium nach der lCD-10 (der Umstand, dass der oder die Betreffende einem Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt war, das nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde) für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung erfüllt ist.

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers zum Wesen der richterlichen Rechtsfindung gehört. Auch in schwierigen Fällen sind die Tatsachengerichte daher berechtigt und verpflichtet, in eigener Verantwortung festzustellen, ob der Asylbewerber glaubwürdig und seine Darlegungen glaubhaft sind. Ob sich die Gerichte dabei der sachverständigen Hilfe insbesondere eines in Bezug auf die Aussagepsychologie Fachkundiger bedienen wollen, haben sie nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.In aller Regel wird kein Ermessensfehler vorliegen, wenn die Tatsachengerichte sich die zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung notwendige Sachkunde selbst zutrauen und auf die Hinzuziehung eines Fachpsychologen verzichten (zu den vorstehenden Grundsätzen vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2001 - 1 B 118.01 -, DVBl. 2002,53; OVG NRW, Beschluss vom 30. März 2001 - 8 A 5585/99.A -,NVwZ 2001, Beilage Nr. I 9, 109, m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. Dezember 1994 - A 13 S 2638/94 -, InfAuslR 1995, 84, 85 f.).

Werden von dem Ausländer konkrete Anhaltspunkte vorgebracht oder sind solche sonst erkennbar, die eine Beeinflussung seines Aussageverhaltens durch eine erlittene Traumatisierung jedenfalls ernsthaft möglich erscheinen lassen, muss sich das Gericht damit auseinander setzen und mit besonderer Sorgfalt prüfen, ob es die zur Beurteilung des Sachvortrags erforderliche Sachkunde seIbst besitzt oder sachverständiger Hilfe bedarf, also entweder ein Gutachten einholen oder in den Entscheidungsgründen nachvollziehbar darlegen, weshalb es sich dennoch in der Lage sieht, ohne

Zuhilfenahme eines Sachverständigen die Glaubhaftigkeit der Aussagen und die Glaubwürdigkeit des Ausländers insgesamt zu beurteilen (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2001 - 1 B 118.01 -, a.a.O.; OVG NRW, Beschluss vom 30. März 2001, a.a.O.).

Diesen Anforderungen hat das Verwaltungsgericht genügt. Besondere Überzeugungskraft kommt dabei der selbständig tragenden Erwägung des Verwaltungsgerichts zu, dass die von der Klägerin nunmehr behauptete Verhaftung, die im Mai 1996 in Kilinochchi erfolgt sein soll, nicht nur mit ihren eigenen Angaben und denen ihres Ehemanns nicht in Einklang steht, sondern sich zudem aufgrund der seinerzeit gegebenen, vom Verwaltungsgericht im Einzelnen geschilderten Verhältnisse in Sri Lanka nicht wie behauptet zugetragen haben kann. Dabei erscheint es in hohem Maß unwahrscheinlich, dass diese demnach unzutreffenden Angaben mit auf eine posttraumatische Belastungsstörung zurückgehenden Erinnerungsschwächen - Dr. P. nennt in seiner Bescheinigung vom 13. November 2003 die "Fragmentierung des Gedächtnisses"- begründet werden könnten.

Entgegen der Auffassung der Klägerin bedurfte es zur Bewertung der vorgelegten Bescheinigungen auch keiner besonderen ärztlichen Sachkunde, die das Verwaltungsgericht darzulegen gehabt hätte. Denn im Vordergrund steht vorliegend die Würdigung des Vorbringens der Klägerin.

Im Übrigen sind Bedenken hinsichtlich des angegriffenen Urteils auch nicht gerechtfertigt, soweit das Verwaltungsgericht implizit die vorgelegten psychologischen Stellungnahmen bewertet hat, indem es für unglaubhaft erachtet hat, dass sich das von der Klägerin behauptete traumatisierende Geschehen zugetragen hat. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung geltend gemacht, ist es Aufgabe des Gerichts, sachverständige Äußerungen nicht einfach zu übernehmen, sondern die darin getroffenen Feststellungen und Schlussfolgerungen im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung unter Berücksichtigung aller Umstände, der eigenen Sachkunde und der allgemeinen Lebenserfahrung selbstverantwortlich auf ihre Schlüssigkeit hin zu überprüfen und nachzuvollziehen.

Die Würdigung ärztlicher Atteste insbesondere zum Vorliegen psychischer Erkrankungen von Asylbewerbern ist dabei eine sich in der verwaltungsgerichtlichen Praxis immer wieder stellende Aufgabe. Gerade aufgrund der dadurch gewonnenen Erfahrung ist das Gericht regeImäßig befähigt, ärztliche Bescheinigungen jedenfalls - wie hier - in methodischer Hinsicht zu hinterfragen und daraufhin zu überprüfen, ob sie anerkannten wissenschaftlichen Standards genügen (vgl. nur OVG NRW, Beschuss vom 9. Juni 2004 - 21 A 2588/03.A -; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14. Oktober 2002 - 4 L 200/02 -, NVwZ 2003, Beilage Nr. I 10, 86). Ein besondere medizinische Sachkunde ist dafür regelmäßig nicht erforderlich.