OVG Berlin

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Zitieren als:
OVG Berlin, Beschluss vom 17.06.2004 - OVG 8 S 70.04 - asyl.net: M5952
https://www.asyl.net/rsdb/M5952
Leitsatz:

Keine Duldung, wenn die familiäre Lebensgemeinschaft auch im gemeinsamen Herkunftsland hergestellt werden kann. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Ghanaer, Ausländer, Duldung, Nichteheliche Kinder, Beistandsgemeinschaft, Gemeinsames Sorgerecht, Schutz von Ehe und Familie, Familienangehörige, Aufenthaltserlaubnis, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AuslG § 55 Abs. 2; GG Art. 6; AuslG § 53 Abs. 4; EMRK Art. 8; VwGO § 123
Auszüge:

Das Beschwerdevorbringen des Antragstellers beschränkt sich darauf, dass seiner Abschiebung Artikel 6 GG entgegenstehe, da er mit seiner ghanaischen Lebensgefährtin und seinen drei nicht ehelichen Kindern, für die er die gemeinsame Personensorge ausübe, in einer "Begegnungsgemeinschaft" (gemeint ist eine Beistandsgemeinschaft) lebe. Aus diesem Vorbringen lässt sich ein Anordnungsanspruch zur Erteilung einer Duldung nicht herleiten.

Rechtlich unmöglich ist die Abschiebung, wenn sie aus rechtlichen Gründen nicht durchgeführt werden darf, weil ein Abschiebungsverbot (§ 51 Abs. 1 AuslG) oder ein zwingendes Abschiebungshindernis nach § 53 AuslG oder auf Grund vorrangigen Rechts, namentlich der Grundrechte gegeben ist. Ein zwingendes Abschiebungshindernis liegt insbesondere auch dann vor, wenn es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Beziehungen durch Ausreise zu unterbrechen (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1997 - 1 C 19.96 - InfAuslR 1998, 213, 214). Ein solches Abschiebungshindernis besteht hier nicht.

Artikel 6 Abs. 1 GG, der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt, kann unter bestimmten Voraussetzungen zu einem Abschiebungshindernis im vorbezeichneten Sinne führen.

In Anwendung dieser Grundsätze verstößt eine Abschiebung des Antragstellers nicht gegen Artikel 6 GG. Der vollziehbar ausreisepflichtige Antragsteller hält sich seinen eigenen Angaben zufolge seit 22. September 2003 wieder in Deutschland auf und führt seit der Geburt seines dritten Kindes am (...) eine familiäre Lebensgemeinschaft mit seinen drei nicht ehelichen Kindern, für die er seit 3. November 2003 die gemeinsame Personensorge ausübt. Da seine drei nicht ehelichen Kinder und deren Mutter - ebenso wie der Antragsteller selbst - ghanaische Staatsangehörige sind, ist es ihnen mangels entgegenstehender Anhaltspunkte zuzumuten die vor kurzem aufgenommene familiäre Lebensgemeinschaft gegebenenfalls in Ghana weiterzuführen.

Die im (...) geborenen Zwillinge, deren Vaterschaft der Antragsteller erst am 18. September 2003 anerkannte, und die im (...) geborene Tochter des Antragstellers besitzen ebenso wie ihre Mutter, die Lebensgefährtin des Antragstellers, kein Daueraufenthaltsrecht in Deutschland, sondern nur eine bis zum 31. Dezember 2004 befristete Aufenthaltserlaubnis. Die Mutter der Kinder reiste nach dem Inhalt der Ausländerakte im (...) in die Bundesrepublik ein, um mit einem ghanaischen Staatsangehörigen, von dem sie zwischenzeitlich geschieden ist, die eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen. Anhaltspunkte dafür, dass die Mutter mit den nicht ehelichen Kindern des Antragstellers nicht nach Ghana zurückkehren könnte, um dort die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Antragsteller herzustellen, sind nicht vorgetragen.

Auch aus § 53 Abs. 4 AuslG, der auf die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952, II S. 686, 953/1954 II S. 14) - EMRK - verweist, ergibt sich nicht, dass eine Abschiebung des Antragstellers unzulässig wäre. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist geklärt, dass Artikel 8 EMRK die Ausweisung oder Abschiebung eines Familienangehörigen nicht schlechthin untersagt, sondern - bei einem engen und tatsächlich gelebten (wirklichen) Familienleben - lediglich an die Voraussetzung knüpft, dass diese nur zu einem der in Artikel 8 Abs. 2 EMRK zugelassenen Ziele und nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit erfolgen darf. Zu den danach gebilligten Zielen gehören der Schutz der öffentlichen Ordnung und das wirtschaftliche Wohl des Landes (vgl. EGMR, Urteile vom 18. Februar 1991 <Moustaquim>, InfAuslR 1991, 149 und vom 20. März 1991 <Cruz Varas> InfAuslR 1991, 217). Damit verleiht der in Artikel 8 EMRK normierte Schutz des Privat- und Familienlebens letztendlich ebenso wie Artikel 6 GG dem Träger dieses Rechts einen Anspruch darauf, dass die Behörden bei Eingriffen in die Ausübung dieses Rechts die geschützten Belange in ihrer Entscheidung einbeziehen und insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren.

Die Frage der Verhältnismäßigkeit ist hier wie bereits bei Artikel 6 GG dargelegt zu beantworten. Hinzu kommt, dass auch nach der Rechtsprechung des EGMR (Urteil vom 19. Februar 1996, InfAuslR 1996, 245, 246) Artikel 8 EMRK nicht dahingehend ausgelegt werden kann, dass er den Staat generell dazu verpflichtet, die Wahl des ehelichen Wohnsitzes eines Ehepaares im Inland zu respektieren und eine Familienzusammenführung in seinem Staatsgebiet zu bewilligen; um den Umfang der staatlichen Verpflichtungen zu bestimmen, müssen die Tatsachen des einzelnen Falles berücksichtigt werden. Das Gleiche gilt, wenn - wie hier - eine Mutter mit ihren nicht ehelichen Kindern den Wohnsitz im Inland wählt und der nicht eheliche Vater die Familieneinheit im Inland herstellen will, obwohl es für die gesamte Familie keine Hindernisse gibt, das Familienleben im gemeinsamen Heimatland zu entwickeln.