VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Urteil vom 26.11.2004 - 6 A 459/04 - asyl.net: M5945
https://www.asyl.net/rsdb/M5945
Leitsatz:

1. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ist nicht befugt, die in einem rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Urteil erfolgte Feststellung des Abschiebungsverbotes nach § 51 Abs. 1 AuslG zu widerrufen. Es darf in einem solchen Fall aber neu entscheiden, wenn sich die Sachlage seit dem Erlass des Urteils entscheidungserheblich geändert hat (im Anschluss an BVerwG, Urt. vom 23.11.1999, BVerwGE 110, 111).

2. Die "humanitäre Härteklausel" des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist in diesem Fall auch nicht analog anwendbar. (amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Albaner, Konventionsflüchtlinge, Flüchtlingsanerkennung, Widerruf, Änderung der Sachlage, Verwaltungsgericht, Feststellungsurteil, Rechtskraft, Bindungswirkung, Neue Sachentscheidung, Fortbestehende Schutzbedürftigkeit, Analogie
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AsylVfG § 73; AuslG § 53; VwGO § 121
Auszüge:

1. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ist nicht befugt, die in einem rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Urteil erfolgte Feststellung des Abschiebungsverbotes nach § 51 Abs. 1 AuslG zu widerrufen. Es darf in einem solchen Fall aber neu entscheiden, wenn sich die Sachlage seit dem Erlass des Urteils entscheidungserheblich geändert hat (im Anschluss an BVerwG, Urt. vom 23.11.1999, BVerwGE 110, 111).

2. Die "humanitäre Härteklausel" des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist in diesem Fall auch nicht analog anwendbar. (amtliche Leitsätze)

 

Zu Recht ist das Bundesamt davon ausgegangen, dass es nicht befugt ist, die prozessrechtlich als Feststellungsurteil inkorrekte, aber rechtskräftig gewordene Entscheidung der 7. Kammer nach § 73 AsylVfG zu widerrufen. Ein solcher Widerruf wäre schon im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gewaltenteilungsprinzip, die grundsätzliche Bindungswirkung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen nach § 121 VwGO und dem Wortlaut des § 73 AsylVfG rechtswidrig (vgl. BVerwG, Urt. vom 23.11.1999, BVerwGE 110, 111, 113). Auch ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG durch das Bundesamt wäre nicht zulässig gewesen, weil dafür jedenfalls ein Antrag erforderlich wäre und ein Wiederaufgreifen im Übrigen nur dann in Betracht kommt, wenn - anders als hier - ein früher ergangener Verwaltungsakt geändert oder aufgehoben werden soll.

Das Bundesamt durfte über das Abschiebungsverbot aber erneut entscheiden. Nach den allgemeinen Regeln darf die Behörde nach dem Abschluss eines Verfahrens bei veränderter Sachlage neu in der Sache entscheiden, wenn die in dem Verfahren früher getroffene Entscheidung ausschließlich auf die dem damaligen Entscheidungszeitpunkt bestehende Sach-und Rechtslage bezogen ist (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., § 49 Rn. 6). Dies gilt auch dann, wenn in dem früheren Verfahren wie hier - ein (inkorrektes) verwaltungsgerichtliches Feststellungsurteil ergangen und rechtskräftig geworden ist: Auch rechtskräftige Urteile entfalten bei veränderter Sachlage keine Bindungswirkung mehr. Das Bundesverwaltungsgericht hat dementsprechend entschieden, dass das Bundesamt bei veränderter Sachlage auch dann eine neue Feststellung über den Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG treffen darf, wenn ein solches Abschiebungshindernis vom Verwaltungsgericht selbst festgestellt worden war (s. BVerwG, aaO., S. 114 ff.). Für den vorliegenden Fall eines verwaltungsgerichtlichen Feststellungsurteils zu § 51 AuslG gilt nichts anderes. Ein solches Urteil hat keine weiterreichende Bindungswirkung.

Der angegriffenen Entscheidung des Bundesamtes steht nicht entgegen, dass es über ein Abschiebungsverbot grundsätzlich erst nach einem Antrag des Ausländers entscheiden darf (§ 13 Abs. 2 AsylVfG) und ein solcher neuer Antrag nicht gestellt wurde. Das Bundesamt hat eine neue Entscheidung über den bereits der Entscheidung in dem vorangegangenen Asylverfahren zu Grunde liegenden Antrag der Kläger getroffen. Ein weiterer Antrag war dafür nicht erforderlich.

Der neuen Entscheidung des Bundesamtes zu § 51 AuslG steht auch die Regelung in § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG nicht entgegen. Die Vorschrift gilt nur für den Fall eines Widerrufs. Eine solche Entscheidung hat das Bundesamt hier jedoch aus den dargelegten Gründen nicht getroffen. Auch eine analoge Anwendung der Vorschrift kommt nicht in Betracht. Es gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Regelungslücke, d. h. eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes.

§ 73 AsylVfG enthält eine Sonderregelung für die Aufhebung von Sachentscheidungen nach § 31 AsylVfG. Dass der Gesetzgeber auch den Fall einer nach einem Feststellungsurteil eintretenden Sachlagenänderung regeln wollte, ist nicht ersichtlich, weil hierfür die allgemeinen Regelungen des Prozessrechts, insbesondere die Vorschrift über die Bindungswirkung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen in § 121 VwGO eine ausreichende Grundlage enthalten. Für die Regelung dieser Fälle bestand im Übrigen kein Anlass, weil ein verwaltungsgerichtliches Feststellungsurteil zu § 51 AuslG nach den Regelungen des AsylVfG und unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Gewaltenteilungsgrundsatzes unzulässig und ein hiergegen gerichteter Widerruf rechtswidrig ist.