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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - asyl.net: M5915
https://www.asyl.net/rsdb/M5915
Leitsatz:

Der Tatbestand der Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG ist auch dann erfüllt, wenn der Ausländer wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. (Amtlicher Leitsatz)

 

Schlagwörter: D (A), Iraner, Asylberechtigte, Ausweisung, Straftäter, Drogendelikte, Freiheitsstrafe, Gesamtfreiheitsstrafe, Tatmehrheit, Ist-Ausweisung, Besonderer Ausweisungsschutz, Regelausweisung, Strafaussetzung zur Bewährung, Generalprävention, Spezialprävention, Atypischer Ausnahmefall, Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Schutz von Ehe und Familie, Deutschverheiratung, Befristung, Wirkungen der Ausweisung, Verhältnismäßigkeit
Normen: AuslG § 8 Abs. 2; AuslG § 47 Abs. 1 Nr. 2; AuslG § 47 Abs. 3; AuslG § 48 Abs. 1 S. 2; GG Art. 6; EMRK Art. 8
Auszüge:

Die Vorinstanzen und die Beklagte sind zu Recht davon ausgegangen, dass im Falle des Klägers die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erfüllt sind.

Entgegen der Ansicht der Revision hat der Kläger mit seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen zweier vorsätzlicher Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten den Tatbestand dieser Vorschrift erfüllt. Dies folgt allerdings nicht, wie die Beklagte meint, bereits aus der Formulierung "wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz". Ihre Auffassung, das Wort "einer" sei in § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG nicht als Zahlwort gemeint, sondern als unbestimmter Artikel zu verstehen, weshalb ohne weiteres schon nach dem Wortlaut auch mehrere Straftaten erfasst seien, ist so nicht richtig. Wie die Revision zutreffend ausführt, zeigt der Vergleich mit § 47 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AuslG, wo jeweils von einer Verurteilung "wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten" die Rede ist, dass der Gesetzgeber zwischen der Verurteilung wegen einer Straftat und wegen mehrerer Straftaten durchaus unterschieden hat. Der Wortlaut des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG, der nur von "einer" Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz und nicht von "einer oder mehreren" solchen Straftaten spricht, deutet daher eher auf eine bewusste, auch zahlenmäßige Begrenzung hin. Auch das weitere Argument der Beklagten, der Gesetzgeber habe die Alternative einer Verurteilung wegen mehrerer Straftaten in § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG deshalb nicht berücksichtigen müssen, weil bereits jede Freiheitsstrafe wegen eines Betäubungsmitteldelikts - unabhängig von der Höhe - und deren Nichtaussetzung zur Bewährung für die Verwirklichung des Tatbestands genüge, greift zu kurz. Denn zumindest für den Fall der Verurteilung "zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren" ist es wiederum von entscheidender Bedeutung, ob die Strafe in der gesetzlich vorgesehenen Höhe auf der Verurteilung wegen eines Betäubungsmitteldelikts oder wegen mehrerer Betäubungsmitteldelikte beruhen muss. Das alles spricht indessen nicht gegen die von der Beklagten im Ergebnis zu Recht geforderte Anwendung des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG auf Fälle wie den vorliegenden. Auch eine am Wortgebrauch orientierte "enge" Auslegung dieser Vorschrift im Sinne einer auch zahlenmäßigen Begrenzung, die stets die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat im Sinne des Strafrechts nach dem Betäubungsmittelgesetz voraussetzt, wirkt sich im Ergebnis nicht zugunsten des Klägers aus.

Lediglich bei der Anwendung der Vorschrift auf jugendliche Straftäter mag der von der Revision gezogene Schluss gerechtfertigt sein, dass eine Verurteilung wegen mehrerer Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren nicht ausreicht, zumal nach § 31 Abs. 1 JGG stets nur ein einheitliches Strafmaß festgesetzt wird (vgl. auch Nr. 47.1.2.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz - AuslGVwV -vom 28. Juni 2000, GMBl S. 618).

Bei einer Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht genügt es dagegen, wenn eine Freiheitsstrafe wegen einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz verhängt und" die Vollstreckung der (Einzel- oder Gesamt-) Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Auf die Gründe, weshalb die Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, kommt es nach dem Wortlaut des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG grundsätzlich nicht an. Insbesondere stellt das Gesetz nicht darauf ab, dass die wegen des (mindestens einen) Betäubungsmitteldelikts verhängte Freiheitsstrafe schon von Gesetzes wegen - bei einer Höhe von mehr als zwei Jahren (§ 56 Abs. 2 StGB) - nicht zur Bewährung hätte ausgesetzt werden können. Vielmehr knüpft es die Rechtsfolge der zwingenden Ist-Ausweisung allein an den Ausspruch einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung durch das Strafgericht im jeweiligen Einzelfall. Ihrem Wortlaut nach ist die Vorschrift deshalb nicht nur dann anwendbar, wenn der Ausländer wegen eines einzigen Rauschgiftdelikts zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt worden ist. Sie gilt vielmehr ohne weiteres auch dann, wenn - wie hier - im Rahmen einer Gesamtstrafenbildung wegen mehrerer Straftaten eine Freiheitsstrafe für nur ein vorsätzliches Betäubungsmitteldeliktals Einsatzstrafe festgesetzt und die Gesamtstrafe - und damit auch die in ihr enthaltene Einzelstrafe - nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Ob und in welchem Umfang eine einschränkende Auslegung in den Fällen geboten ist, in denen es sich - anders als hier - bei den weiteren mit der Gesamtstrafe abgeurteilten Straftaten nicht um solche nach dem Betäubungsmittelgesetz handelt und die Nichtaussetzung zur Bewährung auch auf der Mitverurteilung wegen dieser anderen Straftaten beruht, braucht hier nicht entschieden zu werden (vgl. hierzu etwa VGH Mannheim, Beschluss vom 26. März 2003 - 11 S 525/03 - NVwZ-RR 2003, 595, m.w.N.; vgl. auch Hailbronner, Ausländerrecht, § 47 AuslG Rn. 12 a; Vormeier in: GK-AusIR, § 47 AuslG Rn. 27). Denn jedenfalls bei einer allein auf vorsätzlichen Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz beruhenden Gesamtfreiheitsstrafe besteht für eine Einschränkung des Anwendungsbereiches der Vorschrift kein Anlass (im Ergebnis ebenso außer dem hier zugrunde liegenden Berufungsurteil: VGH Mannheim, Beschluss vom 26. März 2003, a.a.O.; OVG Hamburg, Beschluss vom 12. September 2002 - 3 Bf 277/99 - InfAuslR 2003, 420; vgl. auch - allerdings ohne nähere Begründung - das Urteil des Senats vom 26. Februar 2002 - BVerwG 1 C 21.00 - BVerwGE 116,55; a.A. VG Düsseldorf, Beschluss vom 6. März 2002 - 24 L 2826/01 - InfAuslR 2002, 301).

Das Berufungsgericht hat ferner ohne Rechtsfehler angenommen, dass bei dem Kläger keine Ausnahme vom Regelfall im Sinne des § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG vorliegt. Soweit die Revisions sich in diesem Zusammenhang auf die negativen Auswirkungen der Ausweisung auf die Erwerbstätigkeit des Klägers als Fernfahrer beruft, begründet dies keine eine Ermessensentscheidung gebietende atypische Fallgestaltung. Abgesehen davon, dass er diese Tätigkeit nach eigenen Angaben erst nach der Ausweisungsverfügung und damit in Kenntnis der zu erwartenden Einschränkungen seiner aufenthaltsrechtlicheh Situation aufgenommen hat, ist es gerade der Zweck der Ausweisung, durchaus auch spürbare und deutliche Beeinträchtigungen der Aufenthaltsposition des Ausländers zu bewirken.

Der weitere Vortrag der Revision, dass der Kläger nach Abschluss des Berufungsverfahrens seine deutsche Lebensgefährtin geheiratet habe und dieser Umstand im Hinblick auf Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - und die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil vom 31. Oktober 2002 - Beschwerde - Nr. 37295/97 - Yildiz - InfAuslR 2003, 126) im Revisionsverfahren berücksichtigt werden und zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung führen müsse, greift nicht durch. Das ergibt sich schon daraus, dass neue Tatsachen im Revisionsverfahren nach deutschem Prozessrecht grundsätzlich nicht geltend gemacht werden können (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO). Allein der Umstand, dass die Eheschließung nach Abschluss der letzten Tatsacheninstanz unstreitig ist, reicht für eine Ausnahme (vgl. Urteil vom 20. Februar 2001 - BVerwG 9 C 20.00 - BVerwGE 114, 16 25 f.> nicht aus. Im Übrigen ist auch fraglich, ob überhaupt ein Eingriff in das Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK in Betracht kommt, obwohl der Kläger voraussichtlich auf absehbare Zeit im Bundesgebiet bleiben wird und das gemeinsame Eheleben in Deutschland durch die Ausweisung als solche deshalb nicht berührt ist. Es ist auch nicht erkennbar, dass dem Kläger und seiner Ehefrau erhebliche Nachteile von ähnlichem Gewicht zugemutet werden, wie sie im Falle einer Abschiebung drohen. Dass mit einer Änderung der politischen Verhältnisse in seinem Heimatland und mit einem Widerruf seiner Asylberechtigung sowie einem Wegfall des Abschiebungsschutzes zu rechnen wäre, macht der Kläger selbst nicht geltend.