VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.07.2004 - 13 S 1532/04 - asyl.net: M5855
https://www.asyl.net/rsdb/M5855
Leitsatz:

1. Wird eine Aufenthaltserlaubnis (ohne Sofortvollzug) zurückgenommen und ist hiergegen eine Anfechtungsklage anhängig, so fehlt das Bescheidungsinteresse an einer denselben Zeitraum betreffenden Verpflichtungsklage auf Aufenthaltserlaubnis.

2. Zur Frage, wann ein Ausländer in einem solchen Fall noch eine Aufenthaltserlaubnis im Sinn des § 24 AuslG "besitzt".

3. Zum Rechtscharakter von Bescheinigungen nach Nr. 69.09.2 der VwV zum AuslG.

4. Zur Problematik der Rückwirkung von Aufenthaltserlaubnissen.(Amtliche Leitsätze)

 

Schlagwörter: Ausländer, Deutschverheiratung, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, Rücknahme, Sofortvollzug, eigenständiges Aufenthaltsrecht, Ehebestandszeit, Ehebestandszeit, Aufenthaltsdauer, Duldung, Erlaubnisfiktion, Illegale Einreise, Regelversagungsgründe, Unbefristete Aufenthaltserlaubnis, Rückwirkung einer Aufenthaltserlaubnis, Anfechtungsklage, Verpflichtungsklage, Bescheidungsinteresse, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AuslG § 19 Abs. 1; AuslG AuslG § 24 Abs. 1; AuslG § 69 Abs. 3; AuslG § 92 Abs. 2 Nr. 2; LVwVfG § 48
Auszüge:

Was ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 19 Abs. 1 AuslG angeht, so kann der Senat offen lassen, ob die Erwägung des Verwaltungsgerichts zutrifft, die Antragstellerin habe bereits seit der Eheschließung am (...) und damit schon vor der Begründung eines gemeinsamen Wohnsitzes am (...) in ehelicher Lebensgemeinschaft mit ihrem deutschen (damaligen) Ehegatten gelebt; auf diese Frage kommt es im vorliegenden Verfahren nicht an, da selbst bei der - ausnahmsweise durchaus möglichen - Annahme einer ehelichen Lebensgemeinschaft trotz räumlicher Trennung die gesetzlich erforderliche rechtmäßige Ehebestandszeit von zwei Jahren (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AuslG n.F.; zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf den vorliegenden Fall siehe VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 04.12.2002 - 13 S 2194/01 -, InfAuslR 2003, S. 190 m.w.N.) hier nicht erreicht ist. Das Gesetz verlangt nämlich in § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AuslG, dass die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens zwei Jahren "rechtmäßig" im Bundesgebiet bestanden hat; es kommt also insoweit nicht nur auf die Dauer der Lebensgemeinschaft, sondern auch auf den aufenthaltsrechtlichen Status der Betroffenen an (s. etwa Hailbronner, AuslR, RdNr. 5 zu § 19). Die Antragstellerin war seit ihrer Einreise im Jahre (...) ausländerrechtlich geduldet; sie war sogar bestandskräftig - verbunden mit einer Abschiebungsandrohung - zur Ausreise aufgefordert worden (Verfügung der Antragsgegnerin vom 29.05.1995). Daraus folgt, dass der rechtmäßige Aufenthalt der Antragstellerin erst mit dem Zeitpunkt der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltserlaubnis (07.11.1996) und damit nicht schon am 30.7.1996 (so das Verwaltungsgericht) beginnt. Die Lebensgemeinschaft endete jedoch bereits im September oder spätestens im (...), so dass die erforderliche Zeitspanne nicht erreicht ist. Eine für die Antragstellerin günstigere "Vorverlegung" des Anfangszeitpunktes auf den des Aufenthaltserlaubnisantrags (9.8.1996) kommt hier nicht in Betracht. Zwar ist nach der - u.U. auch auf befristete Aufenthaltserlaubnisse übertragbaren - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die rückwirkende Erteilung einer (im Fall des Bundesverwaltungsgerichts: unbefristeten) Aufenthaltserlaubnis mit Wirkung für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt nach der Antragstellung möglich (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 29.09.1998 - 1 C . 14/97 -, NVwZ 1999, S. 306, siehe auch BVerwG, Urteil vom 24.05.1995 - 1 C 7/94 -, NVwZ 1995, S. 1131, 1133 und Urteil vom 01.03.1983, - 1 C 14/81 -, NVwZ 1983, S. 476, 477); eine derartige rückwirkende Aufenthaltserlaubnis ist durch die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall aber nicht erteilt worden, da die Aufenthaltserlaubnis ausdrücklich den Gültigkeitsvermerk "07.11.1996 bis 06.11.1999" enthält. Daran ändert es auch nichts, dass der Antragstellerin bereits bei der Antragstellung am 9.8.1996 formularmäßig bestätigt wurde, ihr Aufenthalt gelte aufgrund ihres Aufenthaltserlaubnisantrags gemäß § 69 Abs. 3 AuslG vorläufig als erlaubt. Zwar würde eine Aufenthaltserlaubnisfiktion nach § 69 Abs. 3 S. 1 AuslG zur Annahme eines "rechtmäßigen" Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft für die Dauer dieser Fiktion ausreichen, sofern sie nicht später wieder entfallen ist (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 22.01.2002 - 1 C 6.01 -, NVwZ 2002, S. 867, 868 und Hailbronner a.a.O.); eine solche Fiktionswirkung ist hier aber nicht eingetreten. Die Antragstellerin ist nämlich nicht mit einem mit Zustimmung der Ausländerbehörde erteilten Visum eingereist und hat sich auch nicht seit mehr als sechs Monaten rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, wie es § 69 Abs. 3 S. 1 AuslG voraussetzt. Hiervon abgesehen würde eine Fiktionswirkung auch an der Vorschrift des § 69 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 (un)erlaubte Einreise) bzw. Nr. 2 (Ausreisepflicht) AuslG scheitern: Gegen die als Bürgerkriegsflüchtling eingereiste Antragstellerin erging im Jahr 1995 eine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung. Die Tatsache, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin (inhaltlich zu unrecht) die Bescheinigung ausgestellt hat, wonach die Fiktionswirkung des § 69 Abs. 3 AuslG eingetreten sei, führt zu keinem anderen Ergebnis; eine solche Bescheinigung hat keine konstitutive Wirkung (siehe dazu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.11.1995, - 11 S 2986/94 -, AuAS 1996, S. 50, 52 und Thüringisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.02.1996, BWVPr 1996, S. 213 - LS sowie BSG, Urteil vom 2.10.1997 -14 REg 1/97, NVwZ 1998, S. 1110, 1111). Der Behörde war darüber hinaus zum damaligen Zeitpunkt durchaus bekannt, dass ein gemeinsamer Wohnsitz noch nicht begründet war (s. Akten der Antragsgegnerin S. 43). Dass die Behörde die Ausstellung der Bescheinigung im behördeninternen Bearbeitungsblatt als "Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung/Duldung" deklariert hat, ändert daran nichts; diese fehlerhafte Einschätzung der Bescheinigung ist nach außen hin nicht deutlich geworden (vgl. auch jetzt auch Ziff. 69.09.2 der VwV zu § 69 vom 28.06.2000, GMBI 618, und dazu VG Potsdam, Beschluss vom 07.01.2004 - 14 L 991/03 -, AuAS 2004, S. 54, 55).

Was den noch verbleibenden Antrag der Antragstellerin auf vorläufigen Rechtsschutz hinsichtlich der Verlängerung der zuletzt erteilten Aufenthaltserlaubnis angeht, greift die Antragsgegnerin die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu Recht an. Dass mangels eigenständigen Aufenthaltsrechts die in § 19 Abs. 1 bis 4 AuslG angelegte Systematik zugunsten der Antragstellerin nicht eingreift, ist bereits ausgeführt worden, und es ist auch sonst nicht ersichtlich, inwiefern die Ablehnung der Verlängerung rechtlichen Bedenken unterliegen könnte. Eine Vorschrift, die der Antragstellerin einen Anspruch auf weitere Aufenthaltserlaubnis einräumen könnte, kommt auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht in Betracht. Die in der angefochtenen Entscheidung für einschlägig gehaltene Ermessensvorschrift des § 19 Abs. 2 S. 2 AuslG scheidet - wie dargelegt - wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AuslG ebenfalls aus. Der Senat folgt dem Verwaltungsgericht im Übrigen auch nicht darin, dass kein Regelversagungsgrund nach § 7 Abs. 2 AuslG vorliegt; die Antragstellerin hat nämlich durch ihre offenkundig unrichtigen Angaben - unabhängig davon, dass das Strafverfahren nach § 153 a Abs. 2 StPO eingestellt worden ist - den Ausweisungsgrund des § 46 Nr. 1 und Nr. 2 AuslG i. V.m. § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG verwirklicht. Diese Angaben im Zusammenhang mit dem Aufenthaltserlaubnisantrag vom 12.10.2000 sind für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vom gleichen Tag auch kausal geworden (zur Frage der Kausalität s. auch VG Berlin, Urteil vom 29.01.2004 - 11 A 905/03 -, InfAuslR 2004, S. 204).

Die Antragstellerin hat wohl auch keinen Anspruch auf eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 AuslG; nach der Rücknahme der ihr erteilten Aufenthaltserlaubnisse ist sie jedenfalls nicht (mehr) "seit fünf Jahren" im "Besitz" einer Aufenthaltserlaubnis. Die aufschiebende Wirkung der von ihr erhobenen Klage gegen die Rücknahmeentscheidung ändert hieran nichts (zu einer vergleichbaren Fallgestaltung s. auch BVerwG, Urteil vom 24.5.1995 -1 C 7/94 -, NVwZ 1995, S. 1131, 1132). Sie bewirkt insbesondere nicht, dass die zurückgenommenen Aufenthaltserlaubnisse weiterhin rechtlich existent wären; der Suspensiveffekt eines Rechtsbehelfs führt nur zu einem Vollzugshindernis und beseitigt nicht die Wirksamkeit der angegriffenen Verfügung (ständige Rechtsprechung, s. schon BVerwG, Urteil vom 27.10.1982 - 3 C 6/82 -, NJW 1983, S. 776, 777 m.w.N. und die auf dieser Rechtsprechung beruhende Vorschrift des § 72 Abs. 2 S. 1 AuslG; zum Streitstand und zur Gegenmeinung siehe insbesondere Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, RdNr. 73 f., 96 zu § 80).