VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 13.10.2004 - 1 A 271/04 - asyl.net: M5815
https://www.asyl.net/rsdb/M5815
Leitsatz:

1.Die psychische Erkrankung eines Asylbewerbers stellt für sich genommen grundsätzlich keinen humanitären Grund von vergleichbarem Gewicht i.S.d. § 51 Abs. 1 AsylVfG dar, wenn die Erkrankung hauptsächlich auf die typischerweise vorliegende Fremdheit der neuen Kultur und Umgebung zurückzuführen ist.

2.Wenn sich aber die psychische Erkrankung von dieser typischen Situation unterscheidet und beim Verbleib in der gegenwärtigen Situation eine Verfestigung oder gar Verschlechterung der Erkrankung zu erwarten ist, und durch die Aufnahme bei einem Familienangehörigen als ständige Bezugsperson die seelischen und therapeutischen Belastungen des Asylbewerbers vermindert werden und das sich positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken kann, muss dem bei der Entscheidung über die Umverteilung Rechnung getragen werden.(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Afghanen, Asylbewerber, Umverteilung, Länderübergreifende Umverteilung, Psychische Erkrankung, Familienangehörige, Betreuung, Humanitäre Gründe, Ermessen
Normen: AsylVfG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Im vorliegenden Fall stellt sich allein die Umverteilung der Klägerin nach Hamburg als einzige ermessensgerechte Entscheidung nach § 51 Abs. 1 AsylvfG dar. Denn sie kann sich auf humanitäre Gründe berufen, die von vergleichbarem Gewicht sind wie jene, die in 51 Abs. 1 AsylVfG explizit als Regelbeispiele genannt sind. Daran, dass die Klägerin an einer psychischen Erkrankung von einigem Gewicht leidet, besteht angesichts ihrer Ausführungen und der vorgelegten ärztlichen Atteste des sie behandelnden Facharztes für Psychiatrie kein Zweifel. Des Weiteren ist deutlich geworden, dass die Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung auf ihre Mutter sowie ihre Geschwister als ständige Bezugspersonen angewiesen ist. Nach dem Attest des sie behandelnden Arztes ist sie im Alltag krankheitsbedingt völlig überfordert und benötigt ständige und kontinuierliche Entlastung sowie emotionale Unterstützung gerade durch ihre in Hamburg lebenden Verwandten. Daran, dass diese tatsächlich die leiblichen Verwandten der Klägerin sind, hat der Einzelrichter keinen Zweifel. Diese sind auch in der Lage und willens, der Klägerin praktischen und seelischen Beistand zu leisten. Hinzu kommt, dass sie sich seit längerem in der Behandlung des genannten Facharztes befindet, der seine Praxis in Hamburg hat und der ihre Muttersprache spricht. Dieser Umstand ist gerade bei einer Gesprächstherapie von wesentlicher Bedeutung. Deshalb kann der Klägerin auch kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass sie die erforderliche Gesprächstherapie nicht an dem bisherigen Ort ihrer Zuweisung in Niedersachsen begonnen hat. Angesichts der Gesamtumstände ist die vom Landkreis Harburg als bisher für die Klägerin zuständige Ausländerbehörde erteilte monatliche Verlassenserlaubnis für jeweils eine Woche nicht ausreichend, um den Heilungsprozess im nötigen Umfang zu bewirken.