OVG Hamburg

Merkliste
Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 10.02.2004 - 3 Bf 238/03 - asyl.net: M5810
https://www.asyl.net/rsdb/M5810
Leitsatz:

Das Kindschaftsverhältnis zum Vater entfällt bei einer erfolgreichen Anfechtung der Vaterschaft mit Rückwirkung auf den Tag der Geburt des Kindes.

Die erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft durch den deutschen Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der ausländischen Mutter des Kindes verheiratet ist, führt ohne Verstoß gegen Art. 16 Abs. 1 GG zu einem Fortfall des auf § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG gestützten Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit von Anfang an.(Amtliche Leitsätze)

 

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeit, Deutsche Staatsangehörigkeit, Kinder, Gemischt-nationale Ehen, Vaterschaftsanfechtung, Fortfall der deutschen Staatsangehörigkeit, Feststellungsklage, Berufungszulassungsantrag
Normen: GG Art. 16 Abs. 1; RuStAG § 4 Abs. 1 S. 1; StAG § 4 Abs. 1 S. 1; EGBGB Art. 19 Abs. 1; BGB § 1599 Abs. 1; BGB § 1592 Nr. 1
Auszüge:

Der Kläger hat die deutsche Staatsangehörigkeit nach der im Zeitpunkt seiner Geburt geltenden Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 1 Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (in der Fassung des Gesetzes v. 30.6.1993, BGB!. I S. 1062, 1072 - RuStAG -; mit unverändertem Text nunmehr § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG) nicht erworben, weil es an der Voraussetzung fehlt, dass ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Die Mutter des Klägers ist Albanerin. Der deutsche Staatsangehörige H. J. B. , auf den der Kläger den Staatsangehörigkeitserwerb stützt, ist nicht "Elternteil" im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG. Der Staatsangehörigkeitserwerb ist nach dieser Vorschrift nicht an die Ehe der (ausländischen) Mutter mit einem deutschen Staatsangehörigen im Zeitpunkt der Geburt, sondern an die Abstammung von einem deutschen Elternteil geknüpft. Das Staatsangehörigkeitsrecht überantwortet die Frage nach den Eltern des Kindes dem Zivilrecht. H. J. B. ist nach der gemäß Art. 19 Abs. 1 EGBGB für die Abstammung des Klägers maßgebenden deutschen Rechtsordnung nicht dessen Vater. Dies steht auf Grund des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts Hamburg im Verfahren auf Anfechtung der Vaterschaft nach § 1599 Abs. 1 BGB (in der Fassung des Kindschaftsreformgesetzes v. 16.12.1997, BGBI. I S. 2942, die nach Art. 224 § 1 Abs. 2 EGBGB anwendbar ist) mit Wirkung für und gegen alle (§ 640 h ZPO) fest. Die Bestimmung des § 1592 Nr. 1 BGB, wonach Vater eines Kindes der Mann ist, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, gilt gemäß § 1599 Abs. 1 BGB nicht, wenn auf Grund einer Anfechtung rechtskräftig festgestellt ist, dass der Mann nicht der Vater ist. Das Kindschaftsverhältnis zum Vater entfällt bei einer erfolgreichen Anfechtung der Vaterschaft nach allgemeiner Ansicht mit Rückwirkung auf den Tag der Geburt des Kindes (BGH, Urt. v. 2.11.1971, BGHZ 57 S. 229, 235 zur Feststellung der Nichtehelichkeit; Urt. v. 20.5.1981, NJW 1981 S. 2183 zur Zurückforderung geleisteten Unterhalts; Palandt-Diederichsen, 63. Auflage 2004, § 1599 Rdnr. 7; MüKo-Mutschler, 3. Aufl. 1992, § 1593 Rdnr. 31). Diese Rückwirkung bedeutet, dass die Erwerbsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG für den Kläger schon im Zeitpunkt der Geburt nicht vorgelegen haben.

Die erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung führt zu keiner Entziehung und keinem Verlust einer erworbenen deutschen Staatsangehörigkeit im Sinne des Art. 16 Abs. 1 GG, sondern zu der Feststellung ex post, dass ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit in Wahrheit nicht stattgefunden hat.

Der Kläger meint demgegenüber, schon der bis zur rechtskräftigen Feststellung der fehlenden Vaterschaft bestehende staatsangehörigkeitsrechtliche Status des Kindes sei verfassungsrechtlich vor Entziehung und Verlust geschützt. Dies trifft nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu. Weil allerdings die Bestimmung des § 1592 Nr. 1 BGB bis zur rechtskräftigen Feststellung nach § 1599 Abs. 1 GG zunächst galt, ist aus der Sicht ex ante für die Geltungsdauer der Vaterschaft des Mannes, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Kindesmutter verheiratet war, ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG für den Kläger ausgelöst gewesen. Erfolgt eine Anfechtung der Vaterschaft nicht, wird eine solcher Erwerb ungeachtet der wahren biologischen Abstammung rechtlich vollgültig. Auch ist im Stadium bis zur rechtskräftigen Feststellung der fehlenden Vaterschaft der Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 GG eröffnet. Mit der erfolgreichen Anfechtung der Vaterschaft entfällt der geschützte vorläufige Status aber. Weil die Abstammung des Kindes von einem bestimmten Vater im Zeitpunkt der Geburt nicht definitiv feststeht, die Geltung des § 1592 Nr. 1 BGB vielmehr das Ausbleiben einer erfolgreichen Anfechtung der Vaterschaft voraussetzt, ist das Fortbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit von vornherein mit der Schwäche behaftet, dass dieser erst " vorläufige Status" mit der Feststellung einer fehlenden biologischen Abstammung hinfällig wird. Die deutsche Staatsangehörigkeit ist, solange die Vaterschaft angefochten werden kann, in Bezug auf diese Möglichkeit nicht vollgültig erworben. Verwirklichen sich die immanenten Wirksamkeitsschwächen des an die Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 BGB anknüpfenden Staatsangehörigkeitserwerbs, ist der Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 GG weder in der Abwehrrichtung gegen eine Entziehung nach Satz 1 noch gegen einen Verlust nach Satz 2 berührt.

Der Kläger wendet ohne Erfolg ein, dass die Staatsangehörigkeit ein Status sei, der nicht "auflösend bedingt" bestehen könne. Ob die Wirkung einer nachträglichen Feststellung der fehlenden Vaterschaft des deutschen Mannes damit rechtskonstruktiv zutreffend gekennzeichnet ist, kann dahin stehen. Wenn der Staatsangehörigkeitserwerb wie im Falle des § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG an einen deutschen Elternteil anknüpft und sich die Abstammung nach den zivilrechtlichen Vorschriften richtet, teilt der staatsangehörigkeitsrechtliche Status von seinen Entstehungsbedingungen her die familienrechtliche Schwäche der Anfechtbarkeit der Vaterschaft.