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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 25.08.2004 - 1 C 22.03 - asyl.net: M5710
https://www.asyl.net/rsdb/M5710
Leitsatz:

Offenkundig keine Verfolgungsgefahr durch das Baath-Regime mehr; Widerruf auch bei von Anfang an bestehender Fluchtalternative im Nordirak.

 

Schlagwörter: Irak, Konventionsflüchtlinge, Flüchtlingsanerkennung, Widerruf, Rechtswidrige Anerkennung, Änderung der Sach- und Rechtslage, Nordirak, Interne Fluchtalternative, Amnestie, Politische Entwicklung
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AuslG § 51 Abs. 1; Irak Dekret Nr. 110 vom 28.06.99
Auszüge:

Offenkundig keine Verfolgungsgefahr durch das Baath-Regime mehr; Widerruf auch bei von Anfang an bestehender Fluchtalternative im Nordirak.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG durch das Bundesamt von vornherein rechtswidrig war, da dem Kläger bereits zum Zeitpunkt der Anerkennung als politischer Flüchtling eine zumutbare inländische Fluchtalternative im Nordirak zur Verfügung gestanden habe. Es hat den Erlass des Amnestiedekrets Nr. 110 durch den revolutionären Kommandorat im Irak im Juni 1999 nicht als nachträgliche erhebliche Veränderung der maßgeblichen Verhältnisse im Sinne des § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG in Betracht gezogen, weil der Kläger schon im Zeitpunkt seiner Anerkennung gefahrlos in den Nordirak habe zurückkehren können; ihm sei deshalb nicht erst durch das Amnestiedekret die gefahrlose Rückkehr in den Heimatstat ermöglicht worden.

Diese Argumentation steht in Widerspruch zu der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Zulässigkeit des Widerrufs auch rechtswidriger Anerkennungen nach § 73 Abs. 1 AsylVfG. Sie liefe im Ergebnis darauf hinaus, dass bei von Anfang an rechtswidrigen Anerkennungen regelmäßig ein Widerruf nach dieser Vorschrift nicht möglich wäre, da eine von vornherein nicht bestehende Verfolgungsgefahr begriffsnotwendig nicht im Nachhinein entfallen kann. Dass ein derartiger Schluss nicht mit dem Regelungszweck der Widerrufsbestimmung vereinbar ist, hat das Bundesverwaltungsgericht bereits in dem genannten Grundsatzurteil vom 19. September 2000 (a.a.O. S. 85 f.) ausgeführt. Es hat dabei ausdrücklich auch den hier einschlägigen Fall erwähnt, dass eine tatsächlich vorhandene inländische Fluchtalternative bei der Anerkennung nicht beachtet worden ist, aber die zugrunde liegende Verfolgungsgefahr später landesweit eindeutig entfällt. Ein Widerruf ist auch gerade in diesen Fällen unabhängig davon zulässig, ob bei der Anerkennung eine Verfolgungsgefahr zu Recht oder zu Unrecht angenommen wurde.

Hieran ist festzuhalten. Es spricht nämlich nichts dafür, dass der Gesetzgeber zu Unrecht anerkannte Asylbewerber oder Flüchtlinge im Hinblick auf den Widerruf des Status bei späterer erheblicher Veränderung der Verhältnisse im Herkunftsstaat besser stellen wollte als rechtmäßig anerkannte.

Eine Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur Klärung der Frage, welche asylrechtliche Bedeutung dem Amnestiedekret im Einzelnen zukommt, ist aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Entwicklung der politischen Verhältnisse im Irak entbehrlich.

Der Senat kann diese Entwicklung, die in jedem Falle eine zum Widerruf berechtigende und verpflichtende nachträgliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG darstellt, selbst abschließend beurteilen. Der Kläger hat bei einer Rückkehr in den Irak inzwischen offenkundig nicht mehr mit politischer Verfolgung zu rechnen. Dies ergibt sich daraus, dass nach den während des Revisionsverfahrens eingetretenen allgemeinkundigen Ereignissen im Irak das Regime von Saddam Hussein durch die amerikanischen und britischen Truppen beseitigt worden ist. Diese Entwicklung kann der Senat nach Anhörung der Beteiligten hierzu im Revisionsverfahren berücksichtigen (vgl. etwa Urteil vom 20. Februar 2001 - BVerwG 9 C 23.02 - bezüglich des Irak, nicht veröffentlicht).