OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Urteil vom 26.04.2004 - A 5 B 1021/02 - asyl.net: M5674
https://www.asyl.net/rsdb/M5674
Leitsatz:

Keine extreme allgemeine Gefährdungslage wegen Versorgungsmängeln, Infektionsgefahr oder mangelhafter medizinischer Versorgung in der Demokratischen Republik Kongo.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Demokratische Republik Kongo, Psychische Erkrankung, Depression, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Versorgungslage, Existenzminimum, Medizinische Versorgung, Allgemeine Gefahr, Extreme Gefahrenlage, Malaria, Semi-Immunität, Infektionsrisiko, Soziale Bindungen
Normen: AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, im Hinblick auf den Kläger das Vorliegen der Voraussetzungen von § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG festzustellen.

Der Kläger begehrt Abschiebungsschutz zum einen im Hinblick auf seine psychische Erkrankung.

Beim Kläger steht nach den vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen und den Ausführungen seiner Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass es sich bei seiner Erkrankung um eine solche handelt, die ihn im Falle seiner Rückkehr in die Demokratische Republik Kongo bei unterstellter unzureichender medizinischer Versorgung dem Tod oder schwersten Beeinträchtigungen seiner körperlichen Unversehrtheit ausliefern würde. Die vom Kläger vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen und die Ausführungen seiner Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vermitteln das Bild eines an einer psychischen Erkrankung leidenden Menschen, deren Ursache in seiner Vereinsamung in einer ihm bis heute fremden Umgebung zu suchen ist. Der Kläger kam aus einer Millionenmetropole des afrikanischen Kontinents mit zahlreichen familiären, politischen und sozialen Bindungen in ein ihm bis dahin unbekanntes Land mit völlig anderen sozialen Verhältnissen. Er wurde einer kleinen Stadt im ländlichen Raum zugewiesen und musste dort eine Unterkunft beziehen, in der er als einziger Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo keine sozialen Beziehungen aufbauen wollte oder konnte. Es waren maßgeblich diese Umstände, verstärkt durch die seinen Asylantrag ablehnende Entscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, die zu der psychischen Erkrankung - einer reaktiven depressiven Verstimmung mit Somatisierungstendenzen geführt haben.

Der Senat geht deshalb davon aus, dass die Rückkehr des Klägers zu seiner Familie zumindest eine deutliche Verbesserung des Krankheitsbildes, wenn nicht sogar eine vollständige Heilung bringen wird.

Der Senat sieht seine Auffassung nicht durch die Stellungnahme der Fachärzte für Allgemeinmedizin Dres. med.(...) in Frage gestellt.

Die ärztliche Stellungnahme zeigt zum einen, dass die Krankheit des Klägers in einem untrennbaren Zusammenhang mit seiner persönlichen Situation in der Bundesrepublik Deutschland steht, so wie sie der Senat oben beschrieben hat. Sie zeigt zum anderen aber auch, dass eine fachärztliche, d.h. psychiatrische bzw. psychotherapeutische Behandlung offensichtlich nicht medizinisch notwendig ist. Seit (...) wird der Kläger nur noch durch einen Allgemeinarzt behandelt. Unabhängig von der vom Senat bejahten Frage, ob nicht bereits eine Rückkehr des Klägers zu seiner Familie zu einer Verbesserung seines Gesundheitszustandes wenn nicht sogar zu einer vollständigen Heilung führen wird, geht der Senat auf der Grundlage der von ihm zum Gegenstand gemachten Erkenntnismittel davon aus, dass die zurzeit in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführte Behandlung durch einen Allgemeinarzt auch in der Demokratischen Republik Kongo entsprechend, wenn auch unter Berücksichtigung der Probleme im Gesundheitswesen, fortgesetzt werden kann.

Die ärztliche Versorgung ist in Kinshasa grundsätzlich gewährleistet.

Der Großteil der medizinischen Einrichtungen in Kinshasa ist schlecht ausgerüstet und erhält - mit Ausnahme der konfessionellen medizinischen Einrichtungen - keine Hilfe vom Ausland. Andererseits sind im Bereich der medizinischen Versorgung häufig Organisationen der großen Kirchen, so der Heilsarmee, der katholischen Kirche, der Kirche von Christus im Kongo und der kimbuanguistischen Kirche tätig. Diesen gehören in Kinshasa mehr als 70 % der Gesundheitszentren sowie einige Krankenhäuser an. Der Bericht des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements - Bundesamt für Flüchtlinge vom 5.10.2001 stellt zusammengefasst fest, dass die medizinische Infrastruktur in Kinshasa große Unterschiede aufweise, von rein profitorientierten Einrichtungen mit ungenügend ausgebildetem Personal bis hin zu gut geführten Krankenhäusern mit Spezialisten. Die meisten Krankheiten können in Kinshasa behandelt werden (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 23.11.2001).

Der Kläger begehrt Abschiebungsschutz zum anderen im Hinblick auf die typischen Folgen der schlechten wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen in der Demokratischen Republik Kongo (mangelhafte Versorgungslage, unzureichendes Gesundheitssystem, Arbeitslosigkeit) wie Unterernährung, Krankheit und Tod.

Der Senat vermag nicht festzustellen, dass ein abgeschobener Asylbewerber im Großraum Kinshasa mangels jeglicher Lebensgrundlage in eine extreme Gefahrenlage geriete und dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre. Diese Einschätzung gilt jedenfalls für den Normalfall eines im Wesentlichen gesunden Menschen, der sich nach seiner Abschiebung aufgrund seines längeren Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland in einem gutem Ernährungszustand befindet und in seinem Heimatland über familiäre Bindungen verfügt.

Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen herrscht in der Region Kinshasa keine allgemeine Hungersnot, bei der einem großen Teil der Bevölkerung "mangels jeglicher Lebensgrundlage" der baldige sichere Hungerstod droht. Es ist auch nicht erkennbar, dass gerade im Großraum Kinshasa eine besonders schlechte Lebensmittelversorgung bestünde.

Der Senat vermag auch ein extremes Krankheits- und Sterberisiko von in die Demokratische Republik Kongo zurückkehrenden Asylbewerbern nicht zu erkennen.

In der Demokratischen Republik Kongo existiert kein Krankenversicherungssystem.

Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass eine ärztliche Erstversorgung auch mittellosen Patienten gewährt wird, die keine Unterstützung durch die eigene Familie erlangen können und dass die Möglichkeit der Kostenübernahme durch kirchliche oder sonstige karitativ tätigen Organisationen besteht.

Das gesundheitliche Risiko wird wesentlich auch durch die Wohnverhältnisse bestimmt.

Weiter ist das Alter für das Ausmaß der gesundheitlichen Gefährdung von Bedeutung. Die Bevölkerung ab 50 Jahren ist von Infektionskrankheiten stärker betroffen, weil die Leistungsfähigkeit des Abwehrsystems zunehmend nachlässt (Dr. Ochel, aaO, S. 6). Besondere Risiken bestehen ferner für Kinder bis zum Alter von fünf Jahren.

Hiervon ausgehend kann für den Kläger nicht von einer Extremgefahr ausgegangen werden.

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass er nach seiner Rückkehr gänzlich auf sich gestellt wäre oder mangels finanzieller Mittel in einem Slum wohnen müsste und von der gesundheitlichen Versorgung ausgeschlossen wäre. Auch kommen weitere Risikofaktoren von Bedeutung im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Insbesondere besteht für den nunmehr 40-jährigen Kläger keine altersspezifische Gefährdung. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass Rückkehrer in die Demokratische Republik Kongo hinsichtlich Magen-Darm-Infektionen ein erhöhtes Risiko gegenüber der einheimischen Bevölkerung tragen, weil sie sich erst - wieder - an die dortige Keimflora gewöhnen müssen (Dr. Ochel, aaO, S. 11; Institut für Afrika-Kunde vom 19.3.2002 an VG München, S.3). Dies vermag die Prognose einer Extremgefahr nicht zu begründen. Wie der Senat bereits oben dargelegt hat, trifft dieses Risiko vor allem Kinder bis zu fünf Jahren, weniger dagegen Erwachsene.

Der Kläger kann für sich auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass er als Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufe, alsbald an Malaria zu sterben, weil seine in der Demokratischen Republik Kongo erworbene Teilimmunität während des Auslandsaufenthaltes verloren gegangen sei. Der Senat vermag auch insoweit eine Extremgefahr nicht zu erkennen.