VG Würzburg

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Zitieren als:
VG Würzburg, Urteil vom 21.04.2004 - W 6 K 03.1130 - asyl.net: M5612
https://www.asyl.net/rsdb/M5612
Leitsatz:

Die wegen Schuldunfähigkeit angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) erfüllt nicht den Begriff der Verurteilung wegen einer Straftat i.S.d. § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AuslG.(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Einbürgerungszusicherung, Straftäter, Psychische Erkrankung, Schuldunfähigkeit, Maßregeln der Besserung und Sicherung
Normen: AuslG § 85 Abs. 1 Nr. 5; AuslG § 88 Abs. 1 S. 2; StGB § 63
Auszüge:

Die ablehnenden Behördenbescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Dieser hat einen Rechtsanspruch auf Erteilung der beantragten Einbürgerungszusicherung (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO). Der Anspruch des Klägers folgt aus § 85 AuslG.

Da der Kläger seine bisherige türkische Staatsangehörigkeit noch nicht aufgegeben hat, ist der Klageantrag zu Recht beschränkt auf die Erteilung einer Einbürgerungszusicherung.

Strittig ist zwischen den Parteien die Frage, ob der in § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5

AuslG genannte Versagungsgrund vorliegt, wonach der Einbürgerungsanspruch

nicht gegeben ist, wenn der Antragsteller "wegen einer Straftat verurteilt worden

ist". der Beklagte vertritt hierzu die Auffassung, die mit Urteil des Landgerichts (...) angeordnete Unterbringung des Klägers in einem

psychiatrischen Krankenhaus erfülle diesen Tatbestand bzw. sei diesem

gleichzustellen, so dass über eine entsprechende Anwendung von § 88 Abs. 1 Satz 2 AuslG lediglich noch im Ermessenswege über den Einbürgerungsantrag des Klägers zu befinden sei.

Dieser Ansicht vermag sich das Gericht nicht anzuschließen. Die dem Kläger gegenüber angeordnete Maßnahme steht hier dem Einbürgerungsanspruch nicht entgegen und eröffnet auch keine Ermessensentscheidung.

Soweit für das Gericht erkennbar gibt es bislang keine Rechtsprechung zu der Frage, in welcher Weise sich Maßregeln der Besserung und Sicherung gemäß § 61 StGB und insbesondere die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB im Rahmen der Einbürgerungsregelungen der § 85 ff. AuslG auswirken. Die einschlägigen Kommentierungen gehen davon aus, dass nach dem auslegungsbedürftigen Wortlaut unklar ist, ob in Maßregeln der Besserung und Sicherung eine "Verurteilung" wegen einer Straftat liegt.

Eine Auslegung des Gesetzes, d.h. die Erforschung seines Sinnes führt zu der Auffassung des Gerichts, dass die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB bei Schuldunfähigkeit nicht als Verurteilung wegen einer Straftat i.S.d. § 85 Abs. 1 Nr. 5 AuslG eingestuft werden kann. Maßgebend bei der Auslegung von Gesetzen ist der im Gesetzeswortlaut objektivierte Wille des Gesetzgebers. Nicht ankommen kann es auf den subjektiven Willen des historischen Gesetzgebers, der sich in der Regel gar nicht feststellen lässt oder durch die Änderung der Lebensverhältnisse bald überholt ist. Maßgebend für Auslegung einer Rechtsnorm sind der Wortsinn, der Bedeutungszusammenhang, die Entstehungsgeschichte und der Zweck der Norm. Ausgangspunkt der Auslegung ist die Wortbedeutung, die so genannte sprachlich-grammatikalische Auslegung. Enthält das Gesetz für den Ausdruck eine gesetzliche Festlegung, ist diese maßgebend. Sonst gilt für juristische Fachausdrücke der Sprachgebrauch der Juristen, im Übrigen der allgemeine Sprachgebrauch. Ein eindeutiger Wortsinn, der allerdings durch Auslegung festgestellt werden muss, ist grundsätzlich bindend. Von ihm darf nur abgewichen werden, wenn der Gesetzeszweck eine abweichende Auslegung nicht nur nahe legt sondern gebietet. Ein derart eindeutiger Wortsinn kommt dem Begriff der "Verurteilung wegen einer Straftat" zu. Nach allgemeinem Sprachverständnis setzt die Verurteilung wegen einer Straftat eine schuldhafte (vorsätzliche oder fahrlässige) Tatbegehung voraus. Fehlt es hieran, so erfolgt keine Verurteilung zu einer Strafe i.S.d. §§ 38 45a StGB. Grundlage der Strafbarkeit ist Verschulden. Schuldunfähigkeit schließt die Strafbarkeit aus, was der Fall ist bei der Schuldunfähigkeit eines noch nicht 14-jährigen Kindes (§ 19 StGB) und bei der Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen (§ 20 StGB). Der Kläger war bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung nicht schuldfähig. Demzufolge konnte er wegen der Tat nicht "verurteilt" werden. Als freiheitsentziehende Maßnahme kam gemäß § 63 StGB lediglich die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in Betracht, was vom Gesetz nicht als Strafe, sondern als Maßregel der Besserung und Sicherung eingestuft ist.

Eine hiervon abweichende Auslegungsmethode scheidet wegen des eindeutigen Wortsinnes aus. Dem steht nach Auffassung des Gerichts auch nicht entgegen, dass in § 4 BZRG unter der Überschrift "Verurteilungen" u.a. die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung genannt ist. Die Überschrift ist eine Zusammenfassung der einzutragenden gerichtlichen Entscheidungen "wegen einer rechtswidrigen Tat", auch wenn nicht auf eine Strafe erkannt wurde. Dafür, dass eine Maßregel der Besserung und Sicherung keine Verurteilung im Rechtssinne darstellt spricht auch der Wortlaut von § 11 Abs. 1 Nr. 1 BZRG, wo davon die Rede ist, dass gerichtliche Entscheidungen einzutragen sind, durch die ein Strafverfahren wegen erwiesener Schuldunfähigkeit "ohne Verurteilung" abgeschlossen wird. Auch im StGB ist mehrfach die Formulierung zu finden, dass eine Verurteilung nicht erfolgt, weil die Schuldunfähigkeit erwiesen ist, z.B. in § 69 Abs. 1 und § 70 Abs. 1 StGB.

Der Kläger war zur Tatzeit an einer seelischen Störung erkrankt, was seine Schuldfähigkeit ausschloss. Diese Erkrankung kann im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als behoben angesehen werden. Ein Grund, dass für eine Einbürgerung zuvor eine Tilgung nach § 49 Abs. 1 BZRG zu fordern wäre, ist nicht ersichtlich. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Gesetz eine Lücke enthält, die es auszufüllen gilt; eine so genannte planwidrige Unvollständigkeit liegt hier nicht vor. Wäre der Kläger weiterhin schuldunfähig erkrankt, wovon auch der Beklagte nicht ausgeht, würde es an einer wirksamen Antragstellung fehlen und deshalb eine Einbürgerung ausscheiden (§ 91, § 68 Abs. 1 AuslG).