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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 20.04.2004 - 1 C 13.03 - asyl.net: M5386
https://www.asyl.net/rsdb/M5386
Leitsatz:

Gegenseitigkeit gem. § 87 Abs. 2 AuslG liegt vor, wenn der andere Staat der EU die Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit für deutsche Staatsangehörige vorsieht; im Verhältnis zu Griechenland besteht Gegenseitigkeit.(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: D (A), Griechen, Unionsbürger, Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Mehrstaatigkeit, Hinnahme von Mehrstaatigkeit, Gegenseitigkeit, Revisionsverfahren, Verfahrensmangel, Sachaufklärungspflicht, Darlegungserfordernis
Normen: AuslG § 85 Abs. 1 S. 1; AuslG § 87 Abs. 2; VwGO § 86 Abs. 1; VwGO § 139 Abs. 3
Auszüge:

Das Berufungsgericht hat die Beklagte zu Recht als verpflichtet angesehen, den Kläger einzubürgern.

Von der Voraussetzung des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG ist im vorliegenden Fall gemäß § 87 Abs. 2 AuslG abzusehen, weil der Kläger die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union besitzt und mit diesem Gegenseitigkeit besteht. Gegenseitigkeit im Sinne von § 87 Abs. 2 AuslG besteht, wenn und soweit nach dem Einbürgerungsrecht und der Einbürgerungspraxis eines Mitgliedstaats der Europäischen Union bei der Einbürgerung eines deutschen Staatsangehörigen Mehrstaatigkeit generell oder in Bezug auf bestimmte Personengruppen hingenommen wird (vgl.auch zur Bedeutung der Staatenpraxis hinsichtlich des völkerrechtlichen Grundsatzes der Gegenseitigkeit Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., S. 48 ff.; vgl. ferner Urteil vom 29. September 1998 - BVerwG 1 C 20.96 - BVerwGE 107,223 226 ff.>) Eine Gleichwertigkeit der übrigen Voraussetzungen und Folgen einer Einbürgerung ist nicht erforderlich.

Diese Auslegung entspricht auch dem Zweck des § 87 Abs. 2 AuslG.

Der Revision ist auch nicht darin zu folgen, dass die Gegenseitigkeitsklausel des § 87 Abs. 2 AuslG der Ausfüllung durch völkerrechtliche Vereinbarungen zwischen Deutschland und den übrigen EU-Mitgliedstaaten bedürfe. Insbesondere lässt sich dies nicht § 87 Abs. 4 AuslG entnehmen. Aus dem Wortlaut und der systematischen Stellung dieser Vorschrift ergibt sich, dass sie eine zusätzliche Möglichkeit der Hinnahme von Mehrstaatigkeit eröffnet, nicht hingegen eine Einschränkung der in § 87 Abs. 1 bis 3 AuslG normierten Tatbestände in der Weise zum Inhalt hat, dass diese zu ihrer Wirksamkeit der Umsetzung durch völkerrechtlichen Vertrag bedürften.

Im Verhältnis zu Griechenland besteht nach den - nicht mit durchgreifenden Revisionsrügen angegriffenen und damit für das Revisionsgericht bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) - Feststellungen des Berufungsgerichts Gegenseitigkeit, weil dort bei der Einbürgerung deutscher Staatsangehöriger das Fortbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit - ohne Beschränkung auf bestimmte Personengruppen - rechtlich und tatsächlich hingenommen wird.

Die festgestellten Tatsachen unterliegen nur insoweit der revisionsgerichtlichen Überprüfung, als geltend gemacht wird, das Berufungsgericht habe seiner Ermittlungspflicht nicht genügt oder das Ergebnis sei unter Verstoß gegen sonstige Verfahrensvorschriften gewonnen worden (Urteil vom 18. Juli 1974, a.a.O., Leitsatz 3). Die Revision sieht eine mangelnde Sachaufklärung in dem Umstand, dass sich das Berufungsgericht mit der Verbalnote des Griechischen Außenministeriums vom 1. Februar 2001 zufrieden gegeben habe, wonach ein Ausländer, der durch Einbürgerung die griechische Staatsbürgerschaft erhalte, seine eigene Staatsangehörigkeit nicht ablegen müsse. Vielmehr hätte sich ihm aufdrängen müssen, von Amts wegen den Fällen von Entlassung aus der griechischen Staatsangehörigkeit nachzugehen, die sich aus der vorgelegten deutschen Einbürgerungsstatistik des Jahres 2001 ergäben.

Mit ihrem Vorbringen wird die Revision den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung des gerügten Verfahrensmangels nicht gerecht (§ 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO).

Ein Verfahrensmangel ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung im Einzelnen dargetan wird. Für die ordnungsgemäße Begründung der hier erhobenen Rüge mangelhafter Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss dementsprechend substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern deren Berücksichtigung auf der Grundlage der vordergerichtlichen Rechtsauffassung zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328 und vom 4. Oktober 1995 - BVerwG 1 B 138.95 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 271).

Unabhängig davon sind im Übrigen keine konkreten Anhaltspunkte für eine nicht auf die Hinnahme von Mehrstaatigkeit gerichtete Behördenpraxis in Griechenland ersichtlich.