VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Urteil vom 22.04.2004 - 12 UE 234/04 - asyl.net: M5355
https://www.asyl.net/rsdb/M5355
Leitsatz:

Eine ordnungsgemäße Beschäftigung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB setzt nur voraus, dass der türkische Arbeitnehmer die erforderlichen Erlaubnisse für Aufenthalt und Erwerbstätigkeit besitzt.

Verstöße gegen Steuer- oder Sozialversicherungsrecht durch Arbeitgeber oder Arbeitnehmer berühren die Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung nicht. (amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Türken, Deutschverheiratung, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, Assoziationsberechtigte, Arbeitnehmer, Sozialabgaben
Normen: ARB Nr. 1/80 Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

Der Kläger kann die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis verlangen und ist durch deren

Versagung und durch die gegen ihn ergangene Abschiebungsandrohung in seinen Rechten verletzt.

Die Beteiligten streiten lediglich darum, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers im (...) fortbestanden hat oder unterbrochen war. Da das Arbeitsverhältnis nach Überzeugung des Senats nicht unterbrochen war, hatte der Kläger bereits vor dem 16. November 1998 einen Verlängerungsanspruch nach Art. 6 ARB1/80 erworben, weil er damals seit mehr als einem Jahr bei demselben Arbeitgeber, dem Zeugen C., beschäftigt war.

Dabei ist zugrunde gelegt, dass der Arbeitgeber im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 nicht dadurch gewechselt hat, dass dieser seine ursprüngliche Betriebsstätte aufgegeben und eine neue an einem anderen Ort eröffnet hat. Nicht die Vertragsparteien haben damit gewechselt, sondern lediglich die Einsatzstelle. Zudem kommt es, wie der Senat bereits in den Zulassungsbeschluss im Einzelnen ausgeführt hat, auf die Zahlung von Lohnsteuern und Sozialversicherungsabgaben im Monat (...) nur insoweit an, als damit das Fortbestehen des Beschäftigungsverhältnisses belegt werden kann. Dagegen ist es für die Frage einer ordnungsgemäßen Beschäftigung unerheblich, ob diese gesetzlich begründeten Zahlungen erfolgt sind. Eine Beschäftigung ist nämlich ordnungsgemäß, wenn sie in Einklang mit den arbeitserlaubnis- und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats steht (Hailbronner, Ausländerrecht, D 5.4 Rdnr. 28; BVerwG, 24.01.1995 - 1 C 2;94 -, BVerwGE 97, 301 = EZAR 25 Nr. 12). Daher wird nur der Besitz einer notwendigen Aufenthalts-und Arbeitserlaubnis für die ausgeübte Beschäftigung verlangt (vgl, Nr. 2.3.1 AAH - ARB 1/80, Text bei Renner, Verwaltungsvorschriften zum Staatsangehörigkeits- und zum Ausländerrecht, 2001,S. 543 ff.; Gutmann, Die Assoziationsfreizügigkeit türkischer . Staatsangehöriger, 2. Aufl., 1999, S 86; Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., 1999, § 1 AuslG Nr. 23). Die Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung wird nicht dadurch berührt, dass Arbeitgeber oder Arbeitnehmer gegen einschlägiges Steuer-, Sozialversicherungs- oder Arbeitsschutzrecht verstoßen (Renner, Ausländerrecht in Deutschland, 1998 Rdnr. 5/179).

Ohne weiteres nachzuvollziehen ist, dass es wegen des Wechsels von der einen zur anderen Betriebsstätte Unklarheiten im Arbeitsablauf, der Lohnzahlung und der Abführung von Steuern und Abgaben gegeben hat. Das Verwaltungsgericht hat im Anschluss an die Ausländerbehörde zutreffend Unregelmäßigkeiten, Versäumnisse und Missverständnisse festgestellt, die gegen eine Fortsetzung der Beschäftigung des Klägers im April 1998 sprechen könnten. Nach Überzeugung des erkennenden Senats können damit aber die erwähnten übereinstimmenden Zeugenaussagen nicht erschüttert werden. Zwar hat die Ausländerbehörde zu Recht die aufgetretenen Unstimmigkeiten zum Anlass für weitere Ermittlungen genommen; das anfänglich berechtigte Misstrauen hat sich aber nach Ansicht des Senats nicht bestätigt und nicht als begründet erwiesen. Die hierzu von der Ausländerbehörde und dem Verwaltungsgericht festgestellten Einzelheiten können nach Überzeugung des Senats nicht als Anzeichen für den Versuch der nachträglichen Konstruktion eines Arbeitsverhältnisses im (....) verstanden werden. Sie sind vielmehr als Hinweis auf anfängliche Versäumnisse auf grund mangelnder Kenntnisse über die Organisation und Abwicklung eines Wechsels der Betriebsstätte und als Beleg für das Bemühen anzusehen, die aufgetretenen Mängel und Versäumnisse später in Ordnung zu bringen.

Möglicherweise waren der Kläger und sein Arbeitgeber der Ansicht, es bedürfe wegen des Wechsels der Betriebsstätte einer Änderungskündigung und eines neuen Arbeitsvertrags. Damit ist aber keine Erklärung dafür gegeben, dass der Kläger im (...) überhaupt nicht beschäftigt und entlohnt werden sollte. Hiergegen spricht außer den Zeugenaussagen über die Hilfstätigkeiten des Klägers in der zweiten Monatshälfte schon die Überlegung, dass dann der Kläger einen bezahlten Urlaub nur bis Ende (....) genommen und gleichzeitig auf ihm zustehende Zahlungen wegen Arbeitslosigkeit verzichtet hätte; denn er hat sich unstreitig für den Monat April nicht arbeitslos gemeldet und damit auch kein Arbeitslosengeld für diese Zeit erhalten.

Da der Kläger danach am (...) mehr als ein Jahr bei ein und demselben Arbeitgeber

beschäftigt war und damals die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis bereits aufgrund des ersten Spiegelstrichs von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 verlangen konnte, war die Ausländerbehörde verpflichtet, ihm die Aufenthaltserlaubnis zu verlängern. Auf den ehebezogenen Voraufenthalt kam es nur insoweit an, als der Kläger aufgrund des ehelichen Zusammenlebens mit seiner deutschen Ehefrau über ein gesichertes Aufenthaltsrecht während seiner Beschäftigung verfügte. Bei der Verlängerung aufgrund Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 handelt es sich lediglich um die Bescheinigung eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts und nicht um die selbstständige Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis durch die Ausländerbehörde (vgl. z. B. EuGH, 22.06.2000, C-65/98 -, EZAR 816 Nr. 7 = NVwZ-Beil. 2000, 142 - Eyüp). Das auf Art. 6 Abs. l ARB 1/80 beruhende Aufenthaltsrecht ist auch nicht dadurch verloren gegangen, dass die Ausländerbehörde es nicht beachtet hat (EuGH, 19.11.2002 -C-188/00 -, EZAR 816 Nr. 12 = InfAuslR 2003, 41 - Kurz). Die Rechtsposition des Klägers hat sich inzwischen dadurch verfestigt, dass er weiterhin bei dem Zeugen beschäftigt ist. Soweit er während des Verwaltungs- und des Gerichtsverfahrens keinen Aufenthaltstitel in Gestalt einer Aufenthaltserlaubnis besaß, ist dies unschädlich, da ihm, wie jetzt feststeht, ein Assoziations-Aufenthaltsrecht zustand.