VG München

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Zitieren als:
VG München, Beschluss vom 04.05.2004 - M 24 S 03.60568 - asyl.net: M5278
https://www.asyl.net/rsdb/M5278
Leitsatz:

Landesgesetzliche Regelung der Umverteilung ausreisepflichtiger Ausländer verfassungswidrig.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Abgelehnte Asylbewerber, Duldung, Zuweisung, Umverteilung, Gemeinschaftsunterkünfte, Anhörung, Ermessen, Sachaufklärungspflicht, Landesrechtliche Bestimmungen, Verfassungsmäßigkeit, Verwerfungskompetenz, Gesetzgebungskompetenz, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Zulässigkeit, Rechtsschutzinteresse, Suspensiveffekt
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AsylVfG § 50 Abs. 4; AsylVfG § 50 Abs. 5; AufnG Art. 5; BayDVAsyl § 8 Abs. 4; BayDVAsyl § 7 Abs. 2 S. 4; BayVwVfG Art. 45 Abs. 1 Nr. 3
Auszüge:

Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat auch in der Sache Erfolg.

Entscheidender Gesichtspunkt ist dabei, dass die vom Antragsteller erhobene Klage voraussichtlich Erfolg haben wird. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass die Verpflichtung zur Wohnsitznahme in der Gemeinschaftsunterkunft in E.... ohne vorherige Anhörung des Antragstellers erfolgte, obwohl hierin ein erheblicher Eingriff in seine Rechtssphäre liegt (2.2). Dies gilt unabhängig davon, ob er nach bestandskräftigem Abschluss seines Asylverfahrens und Erlöschen seiner Aufenthaltsgestattung (§ 67 Abs. 1 Nr.6 AsylVfG) noch verpflichtet war, in einer Gemeinschaftsunterkunft in A .... zu wohnen; zumindest dürfte die mit Bescheid der Regierung von Schwaben vom 27. März 2000 verfügte Zuweisung in die Gemeinschaftsunterkunft N.... Str. . mit Aufnahme in die Gemeinschaftsunterkunft C.....str.. (BI. 163 d. Ausl.-Akte) gegenstandslos geworden sein. Selbst wenn der Antragsteller nicht befugt gewesen sein sollte, außerhalb der letztgenannten Gemeinschaftsunterkunft frei seinen Wohnsitz zu wählen - hierzu bedürfte es einer näheren Befassung mit den von der Ausländerbehörde der Stadt A..... erlassenen Auflagen zu seiner Duldung -, stellt die angefochtene Zuweisung in den Landkreis T.... nicht, wie im Bescheid angegeben, in die Stadt T..... schon deshalb eine erhebliche Beschwer dar, weil sie aufgrund der großen Entfernung zum bisherigen Wohnort zwangsläufig mit einem Verlust seiner sozialen Kontakte verbunden ist. Zum anderen wird die Klage auch aus materiellen Gründen voraussichtlich Erfolg haben, denn dem Landesgesetzgeber fehlt nach Auffassung des Gerichts die Gesetzgebungskompetenz für die der Umverteilung des Antragstellers zu Grunde gelegten Vorschriften.

Nach § 8 Abs. 4 i.V.m. § 7 Abs. 4 Satz 2 DV Asyl, beruhend auf der gesetzlichen Ermächtigung in Art. 5 Abs. 2, 3 AuslG, finden "hinsichtlich Form, Begründung und Bekanntgabe der Zuweisungsentscheidung ... § 50 Abs. 4 und 5 AsylVfG entsprechende Anwendung" u.a. auf nach § 55 AuslG geduldete Ausländer im Verfahren der landesinternen Umverteilung, also auch auf den Antragsteller. § 50 Abs. 4 Satz 3 und 4 AsylVfG sieht vor, dass die Zuweisungsentscheidung einer vorherigen Anhörung des Ausländers und einer Begründung nicht bedarf. Diese Bestimmung, die ihrem Wortlaut nach nur die Verlegung eines Asylbewerbers aus der Aufnahmeeinrichtung in eine Gemeinschaftsunterkunft gilt, ist trotz einiger Bedenken verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Rechtsprechungsnachweise in Marx, AsylVfG, 5. Aufl. 2003, RdNr. 47 zu § 60). Sie dient der Verfahrensbeschleunigung und nimmt in Kauf, dass der Asylbewerber erst im anschließenden Verwaltungsprozess die maßgeblichen Ermessensgesichtspunkte erfährt. Darüber hinaus gehend soll § 50 Abs. 4 AsylVfG auch für eine während des Asylverfahrens erforderlich werdende Umverteilung des Asylbewerbers entsprechend angewendet werden können (vgl. Marx, AsylVfG, 6. Aufl. 2003, RdNr. 55 zu § 50 unter Hinweis auf VGHBW v. 13.4.1992, Juris.Dok.-Nr. MWRE 106589200 m.w.N).

Problematisch ist zunächst, dass § 8 Abs. 4 i.V.m. § 7 Abs. 4 Satz 2 DV Asyl lediglich hinsichtlich Form, Begründung und Bekanntgabe der Zuweisungsentscheidung eine Regelung trifft, wovon jedoch - zumindest dem Wortlaut nach - nicht der in § 50 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG bestimmte Fortfall der Anhörungspflicht erfasst ist; bei der Anhörung handelt es sich nämlich nicht etwa um eine die Form der Entscheidung betreffende Vorschrift, sondern um eine Verfahrensvorschrift. Eine über den Wortlauf des § 7 Abs. 4 DVAsyl hinausgehende analoge Anwendung von Verfahrensvorschriften des § 50 Abs. 4 AsylVfG ist jedoch nicht zulässig, wenn - wie hier - in Rechte eines Beteiligten eingegriffen wird (vgl. VG München, Beschluss vom 5.2.2004, Az. M 24 S 03.60654).

Die Übernahme von § 50 Abs. 4 AsylVfG durch den bayerischen Verordnungsgeber für die Umverteilung ausreisepflichtiger Ausländer ist - ungeachtet der unter 2.2.1 dargestellten Problematik und unabhängig von der Frage nach der Kompetenz des Freistaats Bayern für den Erlass einer hierzu ermächtigenden landesrechtlichen Bestimmung - verfassungswidrig. Das Gericht verwirft daher § 7 Abs. 4 Satz 2 DVAsyl, der eine Norm im Range unter dem formellen bayerischen Landesgesetz ist, im Rahmen der ihm zukommenden allgemeinen Prüfungskompetenz (vgl. zur Verwerfungskompetenz: Geiger in Eyermann VwGO, 11. Aufl., RdNr. 10 zu § 1).

Das Gericht hat durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken, den Antragsgegner von jeglicher Anhörung des betroffenen Ausländers freizustellen, wenn dieser - wie im vorliegenden Fall - im Besitz einer Duldung ist und sich schon längere Zeit an seinem bisherigen Wohnsitz aufhält, ohne dass er auf Grund besonderer Umstände mit einer Umverteilung rechnen musste.

Das Recht des Einzelnen auf Gehör vor einer belastenden Verwaltungsentscheidung ist das elementare Recht des Beteiligten in jedem Verwaltungsverfahren und ermöglicht als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips erst eine sachgerechte Entscheidung der Behörde (vgl. allgemein zu Funktion und Bedeutung der Anhörung: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., RdNr.1 ff. zu § 28 VwVfG).

Zur Rechtfertigung kann insbesondere nicht der dem Asylverfahren zugrunde liegende Beschleunigungsgedanke herangezogen werden. Das Absehen von jeglicher Anhörung ist in Fällen der vorliegenden Art insbesondere deshalb als verfassungswidrig anzusehen, weil es nach § 8 Abs. 1 Satz 1 DVAsyl im Ermessen der zuständigen RegierungsaufnahmesteIle steht, aus Gründen des öffentlichen Interesses eine landesinterne Umverteilung zu verfügen. Das Ermessen kann ohne Kenntnis der Belange des Betroffenen in der Regel nicht sachgerecht ausgeübt werden.

Die rechtswidrig unterbliebene Anhörung ist im vorliegenden Fall nicht nach Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG entbehrlich, da keiner der hier genannten Fälle vorliegt. Der Verfahrensverstoß ist bisher auch nicht durch Nachholung der Anhörung nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG geheilt worden. Der Antragsteller hat die Ihm angebotene Gelegenheit, seine persönlichen Belange im gerichtlichen Verfahren geltend zu machen, bislang nicht wahrgenommen. Im Übrigen wäre die Nachholung der Anhörung in einem zum Gerichtsverfahren parallel laufenden Verwaltungsverfahren erforderlich das mit einer eigenständigen Entscheidung der Behörde zur Frage endet, ob sie den angefochtenen Verwaltungsakt auch unter Würdigung eines eventuellen Sachvortrags des Antragstellers aufrechterhalten will oder ihn abändert oder aufhebt (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., RdNr. 26 f., 40 bis 42, 46 f. zu § 45).