OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 28.01.2004 - 10 A 11759/03.OVG - asyl.net: M5276
https://www.asyl.net/rsdb/M5276
Leitsatz:

Der mit der Prozessführung einer Behörde betraute Beamte ist jedenfalls verpflichtet, bei gegebenem Anlass die Berufungsbegründungsfrist eigenverantwortlich zu kontrollieren. (amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Verfahrensrecht, Berufung, Berufungsbegründung, Fristen, Fristversäumnis, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Verschulden, Behörde, Prozessvertreter, Hilfspersonal
Normen: VwGO § 60 Abs. 1; VwGO § 67 Abs. 1 S. 3; VwGO § 124a Abs. 3 S. 5; VwGO § 124a Abs. 6; VwGO § 125 Abs. 2; ZPO § 85 Abs. 2
Auszüge:

Auszugehen ist von dem Grundsatz, dass bei einem mit der Prozessführung betrauten Beamten einer Behörde mit der Befähigung zum Richteramt an die Sorgfaltspflichten bezüglich der Einhaltung einer Rechtsmittelfrist die gleichen Anforderungen zu stellen sind, wie bei einem Rechtsanwalt (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung; vgl. die Nachweise bei Kopp-Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 60 Anm. 23). Auch für einen solchen Beamten gehört die Wahrung der Rechtsmittelfristen zu den wesentlichen Aufgaben seiner Prozessvertretung, denen er seine besondere Sorgfalt widmen muss. Dies macht es erforderlich, dass er diese Fristen grundsätzlich eigenverantwortlich überwacht. Zwar schließt dies nicht aus, dass er die Notierung, Berechnung und Kontrolle der üblichen Fristen in Rechtsmittelsachen, die in seiner Behörde häufig vorkommen und deren Berechnung keine Schwierigkeit macht, gut ausgebildetem und sorgfältig beaufsichtigtem Büropersonal überlässt. Es erscheint aber schon zweifelhaft, ob zu diesen Fristen auch die hier in Rede stehende Berufungsbegründungsfrist gehört. Zu den Fristen, deren Feststellung und Berechnung gut ausgebildetem und sorgfältig überwachtem Büropersonal überlassen werden darf, gehört nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zu beachtenden Rechtsmittelbegründungsfristen jedenfalls nicht. Es spricht manches dafür, dass die dafür maßgebliche Überlegung, die Führung eines Revisionsverfahrens stelle keine Routineangelegenheit dar, sondern werde von den Anwälten in aller Regel nur gelegentlich übernommen, auch für den nach den Erfahrungen des Senats eher seltenen Fall gilt, dass die Verwaltung nach Zulassung der Berufung zu ihren Gunsten die Berufungsbegründungsfrist beachten muss.

Dies kann hier jedoch offen bleiben, weil jedenfalls vorliegend Kreisverwaltungsdirektor B aufgrund der konkreten Umstände des Falles die Berufungsbegründungsfrist eigenverantwortlich hätte überprüfen müssen, nachdem er am 14. November 2003 von dem Vorgang selbst Kenntnis genommen hatte. Denn der mit der Abfassung eines fristgebundenen Rechtsmittelantrags oder dessen Begründung befasste Behördenvertreter ist ebenso wie der Rechtsanwalt in vergleichbarer Situation verpflichtet, anlassbezogen eine eigenverantwortliche Fristenkontrolle vorzunehmen, mag er auch ansonsten die Fristenkontrolle seinem zuverlässigen und überwachten Büropersonal überlassen können. Ein solcher Anlass ist zwar nicht bei jeder Vorlage der Akten im Rahmen des routinemäßigen Bürobetriebes gegeben, von der Rechtsprechung indessen etwa dann angenommen worden, wenn dem Prozessvertreter die Akten gerade im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung oder nach Anforderung anderer Vorgänge zur Einsicht vorgelegt werden (vgl. Beschluss des BGH vom 11. Dezember 1991, NJW 1992, 841; Beschluss des BVerwG vom 7. März 1995, NJW 1995, 2122; Beschluss des OVG Lüneburg vom 25. August 2003, NJW 2003, 3362). Danach war auch hier Kreisverwaltungsdirektor B verpflichtet, am 14. November 2003 die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist selbst sicher zu stellen. Zunächst war für ihn an diesem Tage ohne weiteres zu erkennen, dass die Berufungsbegründungsfrist schon nahezu zur Hälfte abgelaufen war. Vor allem aber mussten sich ihm aufgrund der auf dem gerichtlichen Schreiben vom 29. Oktober 2003 handschriftlich niedergelegten Verfügung der Verwaltungsangestellten C ernstliche Zweifel an der ordnungsgemäßen Notierung der Berufungsbegründungsfrist nebst Vorfrist aufdrängen.