BVerfG

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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 27.04.2004 - 2 BvR 2020/99 - asyl.net: M5259
https://www.asyl.net/rsdb/M5259
Leitsatz:

Allein die Tatsache, dass der Asylantrag nicht direkt nach der Einreise gestellt worden ist, rechtfertigt nicht Annahme von der Unglaubhaftigkeit der Angaben des Asylsuchenden.(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: Kamerun, SDF, Mitglieder, Haft, Folter, Glaubwürdigkeit, Asylantragstellung, Unverzüglichkeit, Gleichheitsgrundsatz, Willkürverbot
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1
Auszüge:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 5. August 1999 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Soweit das Verwaltungsgericht dem Beschwerdeführer die gesamten Vorfluchtgründe alleine wegen der nicht schon sofort bei der Einreise am Flughafen erfolgten Meldung als Asylsuchender nicht geglaubt hat, ist diese Schlussfolgerung im konkreten Einzelfall unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar.

Gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG wird unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots nicht bereits dann verstoßen, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das Verfahren fehlerhaft sind, denn das Bundesverfassungsgericht ist nicht dazu berufen, Entscheidungen anderer Gerichte einer allgemeinen inhaltlichen Nachprüfung zu unterziehen (vgl. BVerfGE 18, 85 92 f.>). Hinzukommen muss vielmehr, dass Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 4, 1 7>; 62, 189 192>; 67, 90 94>; 74, 102 127>; 80,48 51>; 81, 132 137>). Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen, ohne dass es auf einen subjektiven Schuldvorwurf ankäme. Willkür ist im objektiven Sinn zu verstehen als Maßnahme, welche im Verhältnis zu der Situation, der sie Herr werden will, tatsächlich und eindeutig unangemessen ist (vgl. BVerfGE 62,189 192>; 80, 48 51>).

UnterZugrundelegung dieses Maßstabes ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht mehr hinnehmbar.

Das Verwaltungsgericht hat zur Beurteilung der Vorfluchtgründe des Beschwerdeführers als unglaubhaft alleine darauf abgestellt, dass dieser nicht unmittelbar bei seiner Einreise am Flughafen Frankfurt am Main um politisches Asyl nachgesucht, sondern sich vor der Meldung als Asylsuchender erst per Bahn nach Düsseldorf begeben hat. Denn einem wirklich Verfolgten dränge es sich regelmäßig auf, sofort bei der Einreise in das Zufluchtsland Asyl zu beantragen, um so schnellstmöglich den zumindest aus seiner Sicht erforderlichen Schutz zu erhalten. Der Beschwerdeführer habe auch keine plausible Rechtfertigung für die verzögerte AsylantragsteIlung an einem anderen als dem Einreiseort geben können.

Zweifelsohne entspricht es dem Wesen des Asyls und der psychischen Situation des tatsächlich Verfolgten, dass sich ein Ausländer, der Schutz vor politischer Verfolgung sucht, möglichst frühzeitig den Behörden des Zufluchtsstaates als Schutzsuchender zu erkennen gibt. Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, dass nur derjenige tatsächlich politisch verfolgt worden ist, der sofort bei der Einreise an der Grenze um politisches Asyl nachsucht. Zwar vermag die Tatsache, dass sich ein Ausländer nicht im zeitlichen Zusammenhang mit seiner Einreise, sondern erst später als Asylsuchender zu erkennen gibt, Zweifel an dem von ihm behaupteten Verfolgungsschicksal zu begründen. Je größer der Zeitraum zwischen Einreise und Asylantragstellung ist, desto mehr kann dieser als Indiz gegen die Glaubhaftigkeit des vom Asylbewerber geschilderten Vorfluchtschicksals herangezogen werden. Ob bei extrem langer Zeitspanne zwischen Einreise und Asylantragstellung alleine deswegen auf die Unglaubwürdigkeit des Ausländers geschlossen werden kann, bedarf vorliegend keiner Klärung, da ein solcher Fall hier nicht gegeben ist. Alleine die Tatsache, dass der Ausländer sich nicht unmittelbar bei seiner Einreise gegenüber der Grenzbehörde als Asylsuchender zu erkennen gegeben hat, vermag ohne Berücksichtigung der weiteren Umstande des Einzelfalls - wie dem Zeitpunkt der Meldung als Asylsuchender sowie dem Vortrag des Ausländers zu den Reisemodalitäten und seinem Vorfluchtschicksal grundsätzlich nicht die Annahme zu rechtfertigen, der gesamte Vortrag zu dessen Vorfluchtschicksal sei unglaubhaft. Dies gilt auch, wenn der Asylbewerber nach § 13 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG zur Asylantragstellung an der Grenze verpflichtet gewesen wäre.

Die Annahme, dass das Vorfluchtschicksal nicht alleine deswegen als unglaubhaft einzustufen ist, weil der Asylantrag nicht unmittelbar bei der Einreise an der Grenze gestellt wurde, entspricht auch der Wertung des (historischen) Gesetzgebers.