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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 17.03.2004 - 1 C 11.03 - asyl.net: M5043
https://www.asyl.net/rsdb/M5043
Leitsatz:

Der Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung, den § 9 Abs. 1 Nr.2 AuslG voraussetzt, muss ein strikter Rechtsanspruch sein, nicht ein solcher, der seinerseits nur ein Ermessen eröffnet, selbst wenn im Einzelfall das Ermessen "auf Null" reduziert ist (Bestätigung der bisherigen Senatsrechtsprechung).(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Tunesier, Familienzusammenführung, Kinder, Volljährigkeit, Aufenthaltserlaubnis, Außergewöhnliche Härte, Pflegebedürftigkeit, Psychische Erkrankung, Einreise, Besuchervisum, Visumspflicht, Visum nach Einreise, Anspruch, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null
Normen: AuslG § 8 Abs. 1 Nr. 2; AuslG § 9 Abs. 1 Nr. 2; AuslG § 22 S. 1; DVAuslG § 9 Abs. 2
Auszüge:

Die Vorinstanzen haben die Beklagte zu Unrecht zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verpflichtet.

Der Senat kann dahinstehen lassen, ob das Berufungsgericht zu Recht eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 22 AuslG angenommen hat. Nach der Rechtsprechung des Senats setzt dies grundsätzlich voraus, dass der ausländische Familienangehörige, der im Bundesgebiet lebt oder den Nachzug zu seiner hier lebenden Familie anstrebt, auf familiäre Lebenshilfe angewiesen ist (vgl. z.B. Beschluss vom 25. Juni 1997 - BVerwG 1 B 236.96 - Buchholz 402.240 § 22 AuslG Nr. 4 m.w.N.). Soweit das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang auch auf die Pflegebedürftigkeit des Vaters der Klägerin abstellt (UA S. 7), trifft es keine Feststellungen dazu, dass und aus welchen Gründen die Pflege des Vaters nicht hinreichend von der Mutter

der Klägerin wahrgenommen werden kann, sondern der Vater zusätzlich auf die Klägerin angewiesen sein soll. Das Berufungsgericht führt ferner nicht aus, dass und aus welchen Gründen der Klägerin - etwa im Hinblick auf ihre beiden älteren Geschwister - nicht angesonnen werden kann, familiäre Hilfe in Tunesien in Anspruch zu nehmen.

Die Frage der außergewöhnlichen Härte bedarf jedoch keiner abschließenden Erörterung. Denn die von der Klägerin erstrebte Aufenthaltserlaubnis ist schon deshalb zu versagen, weil ihrer Erteilung § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG entgegensteht und die Voraussetzungen, die eine Entscheidung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG eröffnen, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht vorliegen.

Nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG wird die Aufenthaltsgenehmigung auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruches nach diesem Gesetz versagt, wenn der Ausländer mit einem Visum eingereist ist, das aufgrund seiner Angaben im Visumantrag ohne erforderliche Zustimmung der Ausländerbehörde erteilt worden ist. Da die Klägerin nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von vornherein beabsichtigt hat, sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufzuhalten, hätte es für die Erteilung ihres Visums der vorherigen Zustimmung der Ausländerbehörde bedurft (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 DVAuslG).

Die Klägerin kann sich nicht auf eine sich aus § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG ergebende Befreiung von § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG berufen. Danach kann die Aufenthaltsgenehmigung abweichend von § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erteilt werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruches auf Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung nach diesem Gesetz offensichtlich erfüllt sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats muss der in § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG vorausgesetzte Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung ein strikter Rechtsanspruch sein. Ein Anspruch, der seinerseits nur ein Ermessen eröffnet, genügt nicht, selbst wenn im Einzelfall das Ermessen auf Null reduziert sein sollte. Insoweit gilt nichts anderes als in den Fällen eines gesetzlichen Anspruches im Sinne von § 11 Abs. 1 und § 28 Abs. 3 AuslG. Ein gesetzlicher Anspruch in diesem Sinne ist danach nur gegeben, wenn das Gesetz die Behörde unmittelbar (und allgemein) verpflichtet, bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen; ist die Erteilung in das Ermessen der Ausländerbehörde gestellt, begründet auch eine Ermessensreduzierung "auf Null" keinen gesetzlichen Anspruch. Auch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK vermitteln einen gesetzlichen Anspruch in diesem Sinne nicht (vgl. etwa Urteil vom 18. Juni 1996 - BVerwG 1 C 17.95 - BVerwGE 101, 265 272>; Beschluss vom 3. März 1998

- BVerwG 1 B 27.98 - Buchholz 402.240 § 28 AuslG Nr. 9).

Der Senat sieht sich durch den vorliegenden Fall nicht veranlasst, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Etwaigen Härten könnte auf andere Weise Rechnung getragen werden (vgl. am Ende ).

Die für die Klägerin allein in Betracht kommende Nachzugsvorschrift des § 23 Abs. 4 AuslG i.V.m. § 22 Satz 1 AuslG stellt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis jedoch in das Ermessen der Behörde.

Die durch das Berufungsgericht vorgenommene Auslegung des § 9 Abs. 1 Nr.2 AuslG verletzt somit Bundesrecht.

Die Berufungsentscheidung stellt sich auch nicht im Hinblick auf § 3 Abs. 3 Satz 2 AuslG und § 9 DVAuslG als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Danach kann ein Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise die Aufenthaltsgenehmigung nach der Einreise einholen. Dann entfällt der Versagungsgrund nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 AuslG. In Betracht kommt im Falle der Klägerin lediglich § 9 Abs. 2 Nr. 3 DVAuslG. Danach kann ein Ausländer die Aufenthaltserlaubnis zu dem in § 17 Abs. 1 AuslG bezeichneten Zweck nach der Einreise einholen, wenn er sich rechtmäßig geduldet oder gestattet nach § 55 Abs. 1 AsylVfG im Bundesgebiet aufhält, erlaubt eingereist ist und während seines rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet die Umstände, die eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 22 Satz 1 AuslG begründen, im Bundesgebiet eingetreten sind. Die Klägerin kann sich auf diese Vorschrift indes nicht berufen. Von allen anderen Voraussetzungen abgesehen, fehlt es vorliegend jedenfalls daran, dass die Umstände, die eine (mögliche) außergewöhnliche Härte im Sinne des § 22 Satz 1 AuslG begründen, im Bundesgebiet während des rechtmäßigen Aufenthalts der Klägerin eingetreten sind. Derartige Umstände müssten zwischen der Einreise der Klägerin am 9. August 1998 und dem Ablauf ihres Besuchsvisums am 24. September 1998 eingetreten sein. Dafür ist von der Klägerin nichts geltend gemacht worden und auch sonst nichts ersichtlich. Die von der Klägerin zu ihrer psychischen Erkrankung vorgelegten privatärztlichen Atteste belegen, dass sie einerseits an dieser Erkrankung bereits seit 1991 leidet, andererseits aber erst seit Oktober 1998, also nach Ablauf ihres Besuchsvisums, fachärztlich behandelt wird.

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis scheidet demnach aus. Ist es der Klägerin, die von der Beklagten nach wie vor geduldet wird, weiterhin nicht möglich bzw. nicht zumutbar, das Bundesgebiet zu verlassen, um das erforderliche Visum zu beschaffen, so wird auf einen entsprechenden Antrag der Klägerin ein die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG zu erwägen sein.