BVerfG

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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 08.04.2004 - 2 BvR 253/04 - asyl.net: M5041
https://www.asyl.net/rsdb/M5041
Leitsatz:

Allein die bloße Möglichkeit oder auch die erklärte Absicht des Bundesjustizministeriums, im Rahmen eines Auslieferungsverfahrens die Zusicherung des um die Auslieferung ersuchenden Staates zur menschenrechtskonformen Behandlung des Betroffenen einzuholen, entbindet das Gericht nicht von seiner Prüfpflicht gem. § 73 IRG.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Weißrussen, Strafverfolgung, Auslieferung, Haftbedingungen, Völkerrechtlicher Mindeststandard, Ordre public, Situation bei Rückkehr, Menschenrechtswidrige Behandlung
Normen: GG Art. 25; GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 2 S. 2
Auszüge:

Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet, soweit mit dem angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts vom 28. November 2003 die Auslieferung des Beschwerdeführers nach Weißrussland für zulässig erklärt worden ist und die Einwendungen des Beschwerdeführers hiergegen mit Beschluss vom 8. Januar 2004 zurückgewiesen worden sind.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die deutschen Gerichte bei der Prüfung der Zulässigkeit der Auslieferung von Verfassungs wegen gehalten zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zu Grunde liegenden Akte mit dem nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar sind (vgl. BVerfGE 63, 332 337>; 75, 1 19>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 2000 - 2 BvR 1560/00 -; Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichtsvom 24. Juni 2003 - 2 BvR 685/03 -, EuGRZ 2003, S. 518 520>). § 73 IRG nimmt dieses verfassungsrechtliche Gebot auf der Ebene des einfachen Rechts auf, indem er ausdrücklich bestimmt, dass die Leistung von Rechtshilfe unzulässig ist, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde.

Gegen den ordre public verstößt eine Rechtshilfehandlung, mit der der ersuchte Staat dazu beitragen würde, dass der Ausgelieferte der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt würde.

Das Oberlandesgericht ist der verfassungsrechtlich vorgegebenen Prüfungspflicht hinsichtlich der Einhaltung der völkerrechtlichen Mindeststandards in Bezug auf die Haftbedingungen nicht gerecht geworden. Der Beschwerdeführer hat im fachgerichtlichen Verfahren unter Vorlage verschiedener Erkenntnismittel vorgetragen, dass die Haftbedingungen in weißrussischen Gefängnissen den völkerrechtlichen Mindeststandards grundsätzlich nicht genügen.

Die bloße Möglichkeit oder auch die erklärte Absicht des Bundesministeriums der Justiz, im Rahmen des Bewilligungsverfahrens eine Zusicherung der Republik Weißrussland zu einer den völkerrechtlichen Mindeststandards genügenden Haftunterbringung des Beschwerdeführers einzuholen und die Einhaltung der Zusicherung durch konsularische Maßnahmen zu überprüfen, vermag die verfassungsrechtlich geforderte Aufklärungs- und Prüfungspflicht des Oberlandesgerichts jedoch nicht einzuschränken oder die unterlassene Prüfung und Würdigung zu heilen. Denn die Rechtsschutzmöglichkeiten des Beschwerdeführers gegen die Bewilligungsentscheidung der Bundesregierung sind gegenüber denen im Verfahren auf Feststellung der Zulässigkeit der Auslieferung eingeschränkt (vgl. den Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 2000 - 2 BvR 1560/00 -; BVerfGE 63, 215 225 ff.>; Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (Dreier-Ausschuß) vom 16. März 1983 - 2 BvR 429/83-, EuGRZ 1983, S. 262 263>). Daraus folgt, dass der Beschwerdeführer nicht auf eine Prüfung der Haftbedingungen im Bewilligungsverfahren verwiesen werden kann.

Das Oberlandesgericht wird - auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz im vorliegenden Verfassungsbeschwerde-Verfahren zu prüfen haben, ob die Haftbedingungen in der Republik Weißrussland allgemein den völkerrechtlichen Mindeststandards genügen; gegebenenfalls müsste es die Erklärung der Zulässigkeit der Auslieferung von der Abgabe einer Zusicherung durch die weißrussischen Behörden über die Einhaltung dieser Mindeststandards hinsichtlich der Person des Beschwerdeführers abhängig machen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass eine entsprechende Zusicherung seitens der weißrussischen Behörden nicht eingehalten werden würde.