VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 22.03.2004 - 9 UZ 925/00.A - asyl.net: M5032
https://www.asyl.net/rsdb/M5032
Leitsatz:

Eine tragfähige Stütze im Prozessrecht, die eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ausschließt, findet die Ablehnung eines Beweisantrags auch dann, wenn zwar nicht die in der Begründung des Gerichts genannten, aber andere Gründe des Verfahrensrechts die beantragte Beweiserhebung ausschließen oder es bereits an einem ordnungsgemäßen Beweisantrag fehlt.(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Äthiopien, Exilpolitische Betätigung, EPRP, Demonstrationen, Überwachung im Aufnahmeland, D (A), Berufungszulassungsantrag, Rechtliches Gehör, Darlegungserfordernis, Bezugnahme, Beweisantrag, Ablehnung, Sachverständigengutachten, EHRCO, Eigene Sachkunde, Zeugenbeweis, Beweiseignung, Überraschungsentscheidung, Glaubwürdigkeit, Mündliche Verhandlung, Öffentlichkeitsgrundsatz, Verhandlungsunterbrechung, Divergenzrüge
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 2; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3; VwGO § 138 Abs. 3 Nr. 5; GG Art. 103 Abs. 1; GVG § 169
Auszüge:

Der Kläger hält die Ablehnung des Beweisantrags 3 zum Beweisthema der Beobachtung und Registrierung exilpolitischer Aktivitäten durch äthiopische Behörden für grob prozessrechtswidrig und damit gehörsverletzend.

Soweit die Einholung von Sachverständigengutachten und Auskünften beantragt worden sei, gehe das Verwaltungsgericht - abweichend vom Bundesverfassungsgericht - unausgesprochen davon aus, eine entsprechende Beweiserhebung stehe auch dann in seinem Ermessen, wenn es im jeweiligen Rechtsstreit - wie hier - noch kein Sachverständigengutachten eingeholt habe. Ein derartiges Ermessen bestehe schon gar nicht, wenn das Gericht - wie das Verwaltungsgericht - es versäume, Gutachten bzw. Stellungnahmen offen zu legen und hieraus seine eigene Sachkunde nachvollziehbar zu begründen. Hätte sich das Gericht prozessordnungsgemäß verhalten und die beantragten Sachverständigengutachten bzw. Auskünfte eingeholt, so hätten diese die Beweisbehauptung bestätigt.

Die Weigerung, eine sachverständige Stellungnahme des Ethiopian Human Rights Councils (EHRCO) einzuholen, verletze das Gehörsrecht des Klägers zudem, weil sich das Gericht bei der Ablehnung des Beweisantrags nicht mit dem Vorbringen des Klägers auseinandergesetzt habe, diese Stelle verfüge über überlegene Erkenntnismittel. Die Begründung des Verwaltungsgerichts, die EHRCO sei nicht erreichbar, trage die Ablehnung des Beweisantrages nicht, da das Gericht selbst keine Bemühungen unternommen habe, Kontakte mit dieser Organisation aufzunehmen, und die fehlende Erreichbarkeit auch nicht offenkundig gewesen sei.

Das Verwaltungsgericht hätte auf der Grundlage des Prozessrechts auch hinsichtlich der beantragten Auskünfte des Bundesnachrichtendienstes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz keine abschlägige Entscheidung im Ermessenswege fällen können, da diese Behörden auf Grund ihrer Zielsetzung und des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel über überlegene Erkenntnismöglichkeiten verfügten.

Die Zurückweisung der beantragten Zeugenvernehmung durch das Verwaltungsgericht beruhe - so der Kläger - auf dessen im Widerspruch zu Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs stehender unzutreffender Rechtsauffassung, ein Antrag auf Zeugenbeweis könne bei bereits vorliegenden gutachterlichen Stellungnahmen nach Ermessen beschieden werden. So das Gericht meine, Herr A. sei ungeeignet, da er bereits geraume Zeit in Holland lebe, stelle dies eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung dar.

Diese vom Kläger im Hinblick auf die Ablehnung des Beweisantrags 3 zum Beweisthema der Beobachtung und Registrierung exilpolitischer Aktivitäten durch äthiopische Behörden erhobenen Gehörsrügen begründen nicht den Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG in Verbindung mit § 138 Nr. 3 VwGO. Danach ist die Berufung in Streitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz zuzulassen, wenn einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war. Der - durch Art.103 Abs. 1 GG auch verfassungsrechtlich verbürgte - Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs schließt das Recht der Prozessbeteiligten ein, die für sie günstigen Tatsachen darzulegen und unter Beweis zu stellen. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung rechtlichen Gehörs räumt allerdings kein Recht auf bestimmte Beweismittel oder ein bestimmtes Beweisverfahren ein. Die Ausgestaltung der Gebörsgarantie ist vielmehr Sache des Gesetzgebers und erfolgt in den einfachgesetzlichen

Prozessordnungen. Trifft indes das einfache Recht Regelungen über Beweisanträge und deren Ablehnung, so verletzt die Nichtberücksichtigung eines nach der jeweiligen Prozessordnung erheblichen Beweisantrags des Gehörsrecht, wenn sie im jeweiligen Prozessrecht keine tragfähige Stütze findet (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Februar 2002 - 9 UZ 1249/98 -; Dahm, ZAR 2002, 227, 228 m.w.N.). Eine tragfähige Stütze im Prozessrecht findet die Ablehnung eines Beweisantrags zunächst dann, wenn die Gründe, die das Verwaltungsgericht im Beschluss nach § 86 Abs. 2 VwGO nennt, nach einfachem Verfahrensrecht die Zurückweisung des Beweisgesuchs zulassen. Eine Gehörsverletzungen ausschließende prozessrechtlich tragfähige Stütze ist darüber hinaus gegeben, wenn zwar nicht die in der Begründung des Gerichts genannten, aber andere Gründe des Verfahrensrechts die beantragte Beweiserhebung ausschließen oder es bereits an einem ordnungsgemäß gestellten Beweisantrag fehlt. Ist eine begehrte Beweiserhebung nach einfachem Recht untersagt - so z. B. beim Angebot eines unzulässigen Beweismittels - so besteht kein gehörsrechtlich abgesicherter Beweiserhebungsanspruch des Antragstellers, der durch eine - wie auch immer begründete - AbIehnung seines Beweisgesuchs verletzt werden könnte. An einer gehörsrechtlichen Rechtsposition des Verfahrensbeteiligten, die durch die Ablehnung eines von ihm unterbreiteten Beweisangebots verletzt werden könnte, fehlt es auch dann, wenn nach den Vorgaben des jeweiligen Verfahrensrechts kein ordnungsgemäßer Beweisantrag gestellt wurde. Denn die Beweiserhebungspflicht des Gerichts auf Initiative eines Verfahrensbeteiligten und dessen korrespondierender Beweiserhebungsanspruch, den Art. 103 Abs. 1 GG gegen eine prozessual unvertretbare Ablehnung abschirmt, können nur durch einen ordnungsgemäßen Beweisantrag ausgelöst werden. Ungeachtet der für sie gegebenen Begründung greift die gerichtliche Ablehnung eines nicht ordnungsgemäßen Beweisantrags mithin nicht in einen gehörsrechtlich abgesicherten Beweiserhebungsanspruch des Verfahrensbeteiligten ein. Das Gehörsrecht schützt den Verfahrensbeteiligten insofern nicht vor Begründungsfehlern, sondern davor, dass ihm durch eine rechtlich untragbare Ablehnung seines Beweisangebots die Möglichkeit abgeschnitten wird, auf die Tatsachenfeststellung des Gerichts einzuwirken (vgl. zu Vorstehendem: Dahm, ZAR 2002, 227, 228; GK-AsylVfG, Stand: April 1998, § 78 Rdnr. 277, 278, 378; Berücksichtigung anderer Gesichtspunkte als der vom Instanzgericht zur Ablehnung des Beweisantrags angeführten auch durch BVerwG, Beschluss vom 24. Januar 1999 - BVerwG 9B 139.99 -, NvWZ-Beil. 2000, S. 17; Beschluss vom 24. März 2000 - BVerwG 9B530.99 -, Buchholz 310 § 86 Abs.1 VwGO Nr. 308, S. 15, 17; Beschluss vom 27. März 2000 -BVerwG 9 B 518/99 -, NvwZ-Beil. 2000, S. 99, 102; Hess. VGH, Beschluss vom 15. Oktober 2002 - 12 UZ 439/01-).

Nach diesem Maßstab stellt zunächst die Ablehnung der Einholung weiterer Sachverständigengutachten und Auskünfte zum Beweisthema der Beobachtung und Registrierung exilpoIitisch tätiger Gruppen und Aktivitäten keine Versagung rechtlichen Gehörs dar.

Grundsätzlich steht es im Ermessen des Gerichts, wie es sich die für seine Entscheidung erforderliche Sachkunde verschafft. Auch den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens kann das Gericht demgemäß mit dem Hinweis auf die eigene Sachkunde, die zur tatsächlichen Würdigung des Sachverhalts erforderlich ist, ablehnen. Normativen Ausdruck hat dieser allgemeine Rechtsgedanke in § 244 Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung und - für die Bestellung eines weiteren Gutachters, wenn im konkreten Verfahren bereits ein Gutachten eingeholt wurde - in § 412 der Zivilprozessordnung - ZPO - gefunden, die im Verwaltungsprozess entsprechend bzw. kraft Verweisung in § 98 VwGO gelten. Will das Gericht - unter Berufung auf sein Wissen aus ihm vorliegenden amtlichen Auskünften und sonstigen, im Wege des Urkundenbeweises beigezogenen Stellungnahmen - einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens prozessordnungsgemäß abIehnen, muss es allerdings im Ablehnungsbeschluss oder jedenfalls in der Sachentscheidung nachvollziehbar darlegen, woraus es seine Sachkunde bezieht. Umfang und inhaltliche Dichte der vom Gericht insofern erforderten DarIegung hängen dabei auch davon ab, in welchem Ausmaß der Beweisantragsteller die vorliegenden Erkenntnismittel in Frage gestellt und weiteren Sachauftklärungsbedarf aufgezeigt hat (vgl. zu Vorstehendem: BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 1999 - BVerWG9 B 381.98 -, DVBI. 1999, 1206; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. Dezember 1994 - A 13 S 2638/94 -, InfAuslR 1995, 84;Dahm, ZAR 2002, 348, 353 f. m.w.N.).

Die Ablehnung der Einholung von Sachverständigengutachten und Auskünften zum ersten Beweisthema des Beweisantrags 3 ist hiernach proezssordnungsgemäß erfolgt und damit gerhörsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht hat seinen ablehnenden Beschluss in der mündlichen Verhandlung vom 30. November 1999 mit dem Hinweis auf eine Vielzahl ihm zur Beweisfrage vorliegender Erkenntnisquellen begründet und diese auch benannt. In den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils hat das Verwaltungsgericht - im Rahmen seiner Beweiswürdigung (S. 17 bis 21) - den Inhalt der Auskünfte, aus denen es seine Erkennungskapazität schöpft, im einzelnen offen gelegt; weitere Darlegungen des Verwaltungsgericht zum Beleg seiner bestehenden Sachkunde auf Grund vorliegender Erkenntnismittel waren verfahrensrechtlich nicht geboten, zumal in der Antragsschrift vom 29. Februar 2000 nicht hinreichend substantiiert wird, dass der Kläger beim Stellen des Beweisantrags 3 zu erkennen gegeben hat, aus welchen Erwägungen heraus er die ihm mitgeteilten Erkenntnisquellen für unzureichend erachtete.

Dies gilt auch im Hinblick auf die Stellungnahme des EHRCO. Entgegen den Ausführungen des Klägers im Zulassungsantrag verfüge eine in Äthiopien tätige Organisation nicht zwangsläufig und offenkundig über überlegene Kenntnisse im Hinblick auf die Beobachtung Aktivitäten durch äthiopische Stellen. Nach dem Zulassungsantrag musste sich die Einholung einer Stellungnahme des EHRCO dem Verwaltungsgericht auch nicht auf Grund des Schriftsatzes "vom 8. Oktober 1999, S. 2" aufdrängen, so dass - wie der Kläger meint- die prozessordnungsgemäße Ablehnung des entsprechenden Beweisantrags einer näheren Auseinandersetzung bedurft hätte.

Die insofern erhobene Gehörsrüge hat der Kläger schon nicht in der von § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG geforderten Weise dargelegt. Der Schriftsatz vom 8. Oktober 1999 enthält auf Seite 2 keineAusführungen zum EHRCO, die eine bedeutsame Sachkunde dieser Organisation imZusammenhang mit dem ersten Beweisthema des Beweisantrags 3 nahelegen.

Die Ablehnung der Beweiserhebung durch Vernehmung des Herrn T. A.als Zeugen erfüllt nach der Begründung Zulassungsantrags gleichfalls nicht den Zulassungsgrund der Versagung rechtlichen Gehörs.

Zum einen ist eine - gehörsrechtlich allein relevante - Ablehnung dieses Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze findet, hiernach nicht feststellbar. Im Hinblick auf den angebotenen Zeugenbeweis durch Herrn T. A. fehlte es nach der Darstellung im Zulassungsschriftsatz bereits an einer ordnungsgemäßen Antragstellung. Voraussetzung eines beachtlichen Beweisantrags ist die bestimmte Angabe des Beweisthemas und des Beweismittels. Die bestimmte Angabe des Beweismittels erfordert nicht nur dessen konkrete Bezeichnung, sondern auch die Darlegung, welchen Bezug es zur Beweistatsache hat. Insbesondere beim Zeugenbeweis ist diese Darlegung grundsätzlich unabdingbar, da das Gericht nur auf ihrer Grundlage beurteilen kann, ob die Vernehmung des angebotenen Zeugen zur Erkundung der Beweistatsache überhaupt tauglich ist (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 16. September 1996 - 12 UE 3033/95 -, Nachweis bei Juris; Dahm, ZAR 2002, 227; 232 m.w.N.).

Der Kläger hat im Zulassungsschriftsatz nicht in der von § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG geforderten Weise dargelegt, dass er den Beweisantrag hinsichtlich des Zeugen A. in dieser Weise konkretisiert hat. Seite 12 des Zulassungsantrages verweist insofern auf den "Schriftsatz vom 8. Oktober 1999 ... (S. 4)", Seite 15 des Zulassungsschriftsatzes auf den Schriftsatz "vom 8. Oktober 1999 ... (S. 2 oben zitiert)". Diese Bezugnahmen genügen dem Darlegungserfordernis des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG nicht. Der Schriftsatz vom 8. Oktober 1999 enthält auf Seite 4 keine Ausführungen zum Bezug des Zeugen A. zum Beweisthema der Beobachtung und Registrierung exilpolitischer Aktivitäten durch äthiopische Behörden. Auf Seite 2 des Schriftsatzes vom 8. Oktober 1999 wird lediglich ausgeführt, dass Herr A. selbst der ständigen Beobachtung äthiopischer Spitzel unterliege und dies auch in seinem Umkreis sehr genau beobachten könne. Sodann verweist der Schriftsatz vom 8. Oktober 1999 hinsichtlich der Geeignetheit des Zeugnisses des Herrn A. auf das Protokoll über dessen Angaben bei der Vernehmung als Zeuge durch das Verwaltungsgericht Wiesbaden am 31. Oktober 1996 im Verfahren 3/3 E 40416/95. Den Inhalt dieses Protokolls hat der Kläger im Zulassungsschriftsatz weder zusammenfassend mitgeteilt noch hat er das Protokoll dem Zulassungsschriftsatz beigefügt. Eine bloße Bezugnahme im Zulassungsschriftsatz auf eine Passage in einem im erstinstanzlichen Verfahren eingereichten Schriftsatz, der seinerseits pauschal auf Angaben des Zeugen in einem anderen erstinstanzlichen Verfahren verweist, genügt § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG nicht. Die Antragsschrift muss grundsätzlich aus sich selbst heraus verständlich sein, sodass Bezugnahmen eine strukturierende Aufbereitung der Zulassungsgründe in der Antragsschrift selbst nicht ersetzen können.

Unabhängig hiervon hat der Kläger im Zulassungsantrag nicht im Ansatz dargetan, welche konkreten Bekundungen über welche konkreten Wahrnehmungen des Zeugen A. zum Beweisthema zu erwarten gewesen wären. Solche Ausführungen sind erforderlich, um dem Gericht die für die Bejahung des Zulassungsgrundes der Versagung rechtlichen Gehörs notwendige Feststellung zu ermöglichen ob bzw. in welchem Umfang die angegriffene Entscheidung auf dem geltend gemachten Gehörsverstoß beruhen kann.