OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 05.12.2003 - 21 A 259/01.A - asyl.net: M4788
https://www.asyl.net/rsdb/M4788
Leitsatz:

Weder die tamilischen Volkszugehörigen insgesamt noch eine relevante Untergruppe in Sri Lanka ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von politischer Verfolgung bedroht; aber noch besteht keine hinreichende Sicherheit vor erneuter politischer Verfolgung; keine extreme allgemeine Gefährdungslage im Sinne der verfassungskonformen Auslegung des § 53 Abs. 6 AuslG für Tamilen (Wiederholung und Fortschreibung der Rechtsprechung des Senats).(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Sri Lanka, Tamilen, LTTE, Mitglieder, Waffendiebstahl, Festnahme, Verhöre, Misshandlungen, Narben, Verfolgung durch Dritte, Mittelbare Verfolgung, LTTE, Zwangsrekrutierung, Glaubwürdigkeit, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Antragstellung als Asylgrund, Situation bei Rückkehr, Grenzkontrollen, Emergency certificate, Identitätsfeststellung, Einreisebestimmungen, Ausreisebestimmungen, Strafverfolgung, Folter, Terrorismusbekämpfung, Exilpolitische Betätigung, Überwachung im Aufnahmeland, Colombo, Razzien, Gruppenverfolgung, Verfolgungsprogramm, Verfolgungsdichte, Quasi-staatliche Verfolgung, Interne Fluchtalternative, Existenzminimum, Bürgerkrieg
Normen: GG Art. 16a; AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 4; AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

 

Sowohl die zuletzt genannten Vorbehalte hinsichtlich der Menschenrechtssituation als auch die derzeit immer noch nicht als hinreichend stabil einzuschätzende Lage verbieten es nach Überzeugung des Senats weiterhin (noch), die - gegenüber den für die Senatsurteile der letzten Jahre maßgeblichen Entscheidungszeitpunkten insgesamt deutlich verbesserte - Situation in Sri Lanka schon als so günstig zu beurteilen, dass selbst einem vorverfolgt ausgereisten Tamilen eine Rückkehr in sein Heimatland wegen dort herrschender Sicherheit vor (erneuter) politischer Verfolgung zugemutet werden kann. Der Senat sieht sich in seiner vorsichtigen Einschätzung nicht zuletzt durch die innenpolitischen Ereignisse in Sri Lanka im November 2003 bestätigt. Auch die daraus für den weiteren Fortgang des Friedensprozesses resultierenden Unsicherheiten in der Prognose der zukünftigen Entwicklung bieten andererseits derzeit keinen Ansatzpunkt für die Annahme, die gegenüber dem Stand von Herbst 2001 signifikant verbesserte Situation für Tamilen könne sich wieder derart verschlechtern, dass zu befürchten wäre, Angehörigen dieser Volksgruppe oder irgendeiner Untergruppe könnte in absehbarer Zeit politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen.

Besondere in der Person des Klägers liegende und in seinem Einzelfall zu würdigende Anknüpfungspunkte für eine bis zum Maß einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit gesteigerte Gefahr politischer Verfolgung sind nicht gegeben.

Einen wesentlichen Grund, nicht in sein Heimatland zurückkehren zu können, sieht der Kläger darin, dass er wegen des Verdachts des Waffendiebstahls nach wie vor von der LTTE gesucht werde. Diese Befürchtung hegt der Kläger aber selbst nur für jene Teile Sri Lankas, die von der LTTE beherrscht werden. Für das restliche, unter der Herrschaftsgewalt des srilankischen Staates stehende Gebiet sieht der Kläger zu Recht keine Gefahr, dem Zugriff von Angehörigen der LTTE ausgesetzt zu sein.

Bei einer Rückkehr in vom srilankischen Staat beherrschte Gebiete droht dem Kläger auch nicht aus sonstigen Gründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung. Er weist zwar verschiedene Risikofaktoren auf, die die Wahrscheinlichkeit eines ersten Zugriffs zur Identitätsabklärung erhöhen können; diese tragen aber nicht den Schluss, dass ihm dabei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine asylerhebliche längerfristige Inhaftierung und/oder körperliche Misshandlungen drohen.

Mit Blick auf die Risikofaktoren fehlende Ausweispapiere, möglicherweise unzureichende Sprachkenntnisse, Alter und Herkunft teilt der Kläger das Schicksal einer Vielzahl nach Sri Lanka zurückkehrender tamilischer Asylbewerber, deren Lebensalter unter 35 bis 40 Jahren liegt, deren Geburts- oder Herkunftsort auf der Jaffna-Halbinsel oder im übrigen Norden Sri Lankas liegt, die die singhalesische und englische Sprache nicht beherrschen und die bei ihrer Rückkehr nicht über gültige Ausweispapiere verfügen, ohne dass es bei diesem Peronenkreis, wie bereits zur allgemeinen Sicherheitslage im Großraum Colombo ausführlich dargelegt, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu asylrelevanten Übergriffen kommt.

Im Ergebnis gilt dies auch für den vom Kläger in den Vordergrund seines Vorbringens gerückten Risikofaktors in Gestalt von Narben, die er am Beckenkamm, an der Kniekehle und an den Armen aufweist und die durch das in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht überreichte ärztliche Attest und die zur Gerichtsakte gereichten Fotos nachgewiesen sind. Da in Sri Lanka, wie schon ausgeführt, zahlreiche Personen leben, die im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen und Anschlägen, aber auch durch Arbeits- Straßenverkehrs- und Haushaltsunfälle Verletzungen erlitten haben, gibt das Vorhandensein entsprechender Narben ohne Hinzutreten weiterer Besonderheiten des Einzelfalls für eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit nichts her. Diese gilt heute umso mehr, als angesichts der nur noch eingeschränkt durchgeführten und im Wesentlichen auf die Einhaltung der allgemeinen Einreisebestimmungen beschränkten Kontrollen bei der Ankunft in Sri Lanka schon nicht gewiss ist, dass die Narben des Klägers, die allenfalls bei entsprechender Bekleidung auf den ersten Blick erkennbar sind, von den Sicherheitskräften überhaupt entdeckt werden. Im Übrigen liegt es angesichts der innenpolitischen Lage und der Aufhebung des LTTE-Verbots fern, dass die Sicherheitskräfte entdeckte Narben zum Anlass für weitere Maßnahmen nehmen könnten. Entgegen der Annahme des Klägers besteht auch unter Berücksichtigung des in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat überreichten Erkenntnismaterials aus dem TamilNet kein hinreichender Anhalt für die Annahme, die Einreisekontrollen könnten in Anbetracht der in der ersten Novemberhälfte 2003 eingetretenen Staatskrise und des offenen Machtkampfes zwischen der Präsidentin Kumaratunga und der Regierung wieder verschärft werden, zumal schon in der zweiten Novemberhälfte eine deutliche Entspannung der Situation eingetreten ist.

Besonderheiten, die insbesondere im Zusammenhang mit den Narben ein erhöhtes Risiko von Misshandlungen oder längerfristigen Inhaftierungen durch srilankische Sicherheitskräfte ergeben könnten, sind in der Person des Klägers nicht gegeben.

Insbesondere fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass sich die Sicherheitsbehörden wegen eines in Polizeiberichten oder sonstigen Unterlagen der Sicherheitskräfte festgehaltenen Verdachts einer LTTE-Mitgliedschaft oder einer Identifikation als LTTE-Mitglied durch Informanten der Sicherheitskräfte für ihn interessieren. Es spricht schon nichts dafür, dass ein Verdacht oder sogar Erkenntnisse über die frühere Tätigkeit des Klägers für die LTTE in den Unterlagen der srilankischen Sicherheitskräfte festgehalten sein könnten. Im Übrigen wäre es auch höchst

unwahrscheinlich, dass dem Kläger seine früheren Aktivitäten für die LTTE bei der Rückkehr - insbesondere unter Berücksichtigung der bereits dargelegten aktuellen Entwicklung - entgegengehalten werden könnten. Dies gilt umso mehr, wenn in den Blick genommen wird, dass der Kläger damals erst 14 Jahre alt gewesen ist und es sich lediglich um untergeordnete (Hilfs-)Tätigkeiten gehandelt hat. Von einer Einbindung in den militärischen Apparat der LTTE kann offensichtlich keine Rede sein.