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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 03.06.2003 - 5 C 32.02 - asyl.net: M4758
https://www.asyl.net/rsdb/M4758
Leitsatz:

Gründe im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG liegen nicht vor, wenn der Ausreise und dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen lediglich der tatsächliche Grund entgegensteht, dass der zur Ausreise verpflichtete Ausländer nicht über Pass- oder Passersatzpapiere verfügt und diese auch nicht zu beschaffen sind. (Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Libanesen, Abgelehnte Asylbewerber, Asylbewerberleistungsgesetz, Leistungskürzung, BSHG, Sozialhilfe, Passlosigkeit, Abschiebungshindernis, Vertretenmüssen, Persönliche Gründe, Humanitäre Gründe, Auslegung
Normen: AsylbLG § 1a; AsylbLG § 2 Abs.1; AuslG § 55; AuslG § 30
Auszüge:

 

Mit Bundesrecht nicht vereinbar ist die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, das Fehlen für den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen erforderlicher Pass- oder Passersatzpapiere bilde einen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG beachtlichen Grund, wenn festgestellt weden könne, dass der Betroffene diese Situation nicht durch eigene Bemühungen beenden könne.

Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 26. Mai 1997 (BGBl I S. 1130) ist abweichend von den §§ 3 bis 7 das Bundessozialhilfegesetz auf Leistungsberechtigte entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten, frühestens beginnend am 1. Juni 1997, Leistungen nach § 3 erhalten haben, wenn die Ausreise nicht erfolgen kann und aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, weil humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse entgegenstehen. Solche Gründe liegen nicht vor, wenn der Ausreise und aufenthaltsbeendenden Maßnahmen lediglich der tatsächliche Grund entgegensteht, dass der zur Ausreise verpflichtete Ausländer nicht über Pass- oder Passersatzpapiere verfügt und diese auch nicht zu beschaffen sind.

Bereits der Wortlaut des Gesetzes spricht dagegen, den Fall, dass ein Identitätsnachweis oder sonstige Reisedokumente nicht vorhanden sind und daher der Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen tatsächlich nicht möglich ist, weil der (vermeintliche) Herkunftsstaat einen rechtskräftig zum Verlassen des Bundesgebietes verpflichteten Ausländer mangels Identitätsnachweises nicht aufzunehmen bereit ist, den in § 2 Abs. 1 AsylbLG genannten, namentlich den persönlichen oder humanitären Gründen zuzuordnen.

Bei rechtskräftig festgestellter Ausreisepflicht begründet das Fehlen von Reisedokumenten kein der Abschiebung entgegenstehendes öffentliches Interesse und ist auch kein rechtliches Hindernis. Ob eine Abschiebung aus Rechtsgründen nicht möglich ist, richtet sich ausschließlich nach den rechtlichen Verhältnissen und Beziehungen zwischen dem Ausländer und der Bundesrepublik Deutschland; unerheblich ist, ob sich Hindernisse aus den völkerrechtlichen Verhältnissen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Abschiebezielstaat ergeben (s. m.w.N. - GK AuslG § 55 Rn, 18). Bei Passlosigkeit scheitert eine Abschiebung nicht an einem nach nationalem Recht bestehenden rechtlichen Hinderungsgrund, sondern allein tatsächlich an der fehlenden Aufnahmebereitschaft des mutmaßlichen Herkunftsstaates bzw. daran, dass kein anderer Staat zur Aufnahme bereit ist. Passlosigkeit hindert mithin allein tatsächlich die Durchführung einer rechtlich zulässigen Abschiebung.

Unzureichende Reisedokumente bilden auch kein Abschiebungshindernis aus humanitären Gründen. Solche sind Gründe, welche wegen ihrer Eigenart und ihres Gewichts die (sofortige) Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen als unmenschlich erscheinen lassen, wobei nicht jede menschliche Schwierigkeit oder Härte bereits das Gewicht eines "humanitären Grundes" erreicht. Gegen eine Zuordnung (vorübergehender oder dauerhafter) Passlosigkeit zu den "persönlichen Gründen" im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG spricht, dass diese keine (vorübergehende oder dauerhafte) Eigenschaft einer Person oder ein ihre Lebenssituation oder -umstände im Sinne eines persönlichkeitsbezogenen Merkmals unmittelbar prägender Umstand ist. Zu einem "persönlichen Grund" wird Passlosigkeit auch nicht dadurch, dass sie die Handlungsmöglichkeiten der Ausländer, ihrer Ausreisepflicht nachzukommen, beschränkt. Schließlich rechnen die Folgen der Anwendbarkeit beziehungsweise Nichtanwendbarkeit des § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht zu den dort als Voraussetzung genannten Gründen. Diese Gründe müssen bezogen sein auf den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen und diesen entgegenstehen. Nach § 2 Abs. 1 AsylblG ist es nicht allein ausreichend, dass (vorübergehend oder dauerhaft) aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht vollzogen werden können; § 2 Abs. 1 AsylbLG stellt für die entsprechende Anwendung des Bundessozialhilfegesetzes erkennbar nicht auf Fälle oder Gründe, in denen bzw. aus denen eine Abschiebung nicht vollzogen werden kann, sondern nur die dort genannten Gründe ab.

Dieses Ergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes und die Anknüpfung an die Regelungen und Begriffe des Ausländergesetzes gestützt.