OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17.07.2003 - 12 A 5381/00 - asyl.net: M4487
https://www.asyl.net/rsdb/M4487
Leitsatz:

Die nordrhein-westfälischen Gemeinden führen das AsylbLG als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe und nicht als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung durch; die Gemeinden sind daher gem. § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 VwGO Widerspruchsbehörde.

 

Schlagwörter: Asylbewerberleistungsgesetz, Widerspruchsbescheid, isolierte Anfechtungsklage, Anfechtungsklage, Asylbewerberleistungsgesetz, Zuständigkeit, Selbstverwaltungsaufgaben, Widerspruchsverfahren
Normen: VwGO § 79 Abs. 2; VwGO § 73 Abs. 1 S: 1 Nr. 1; AG AsylbLG § 1 Abs. 1; LV NRW Art. 78 Abs. 2; GO NRW § 2; LV NRW Art. 78 Abs. 3
Auszüge:

Die nordrhein-westfälischen Gemeinden führen das AsylbLG als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe und nicht als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung durch; die Gemeinden sind daher gem. § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 VwGO Widerspruchsbehörde.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

I. Die Kläger können die isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 26. Juli 1996 nicht beanspruchen.

Ihre Klage ist insoweit allerdings nicht bereits unzulässig. Ein Widerspruchsbescheid kann nach § 79 Abs. 2 Satz 2 VwGO alleiniger Gegenstand einer Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er unter Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift zustande gekommen ist und auf dieser Verletzung beruht (Vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 1984 - 5 C 144.83 -, BVerwGE 70, 69 = FEVS 34, 89; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 14. Februar 1996 - 6 S 60/93 -, juris).

Für eine gesonderte Anfechtung des Widerspruchsbescheides fehlt es nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis der Kläger. Ausgehend vom Zweck des § 79 Abs. 2 VwGO, ein objektiv einwandfreies Verfahren der Widerspruchsbehörde zu garantieren, dient die Vorschrift in erster Linie der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes bei der Verfolgung des betreffenden materiell-rechtlichen Begehrens (Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 1980 - 6 C 39.80 -, BVerwGE 61, 45).

Für die isolierte Anfechtung eines Widerspruchsbescheides auf der Grundlage des § 79 Abs. 2 Satz 2 VwGO besteht danach nur dann ein Rechtsschutzbedürfnis, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Widerspruchsentscheidung ohne den gerügten Verfahrensfehler für den Betroffenen günstiger ausgefallen wäre bzw. ausfallen würde. Über die bloße Hoffnung hinaus ist hierfür ein schützenswertes Interesse des Betroffenen an der isolierten Aufhebung des Widerspruchsbescheides zu fordern. Dies ist grundsätzlich nur dann anzuerkennen, wenn die Widerspruchsbehörde über einen Ermessens- oder über einen eigenen Beurteilungsspielraum verfügt. Bei gebundenen Entscheidungen ohne Beurteilungsspielraum zu Gunsten der Behörde kann hingegen die im Widerspruchsbescheid getroffene Entscheidung auf dem begangenen Verfahrensfehler nicht beruhen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Januar 1999 - 8 B 266.98 -, NVwZ 1999, 641; OVG NRW, Beschlüsse vom 12. September 2000 - 22 A 5440/99 -, FEVS 52, 158 und vom 21. Januar 2003 - 12 A 5371/00 -).

Hier steht die begehrte Widerspruchsentscheidung im Ermessen der Behörde. Der erhobene Anspruch auf Gewährung einer ergänzenden Beihilfe in Höhe von weiteren 278,65 EUR zur Anschaffung einer Waschmaschine betrifft das Maß der Sozialhilfe, über das die Behörde nach pflichtmäßigem Ermessen zu entscheiden hat (§ 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. § 4 Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetzes – BSHG – (vgl. Gottschick/Giese, Das Bundessozialhilfegesetz, 9. Aufl., § 3, Rn. 3; Roscher/Krahmer, in: PK-BSHG, 6. Aufl. 2003, § 3 Rn. 9).

Der Hauptantrag zu 1. ist jedoch unbegründet. Denn der Widerspruchsbescheid ist nicht unter Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift zustande gekommen. Entgegen der Auffassung der Kläger war der Beklagte zuständig, ihn zu erlassen.

Die Zuständigkeit folgt aus § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO, ohne dass § 7 des nordrhein-westfälischen Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 17.12.1991 (GV NRW S. 566) ergänzend heranzuziehen ist. Ob eine Selbstverwaltungsangelegenheit i.S.d. § 73 Abs. 1 Nr. 3 VwGO vorliegt, ergibt sich aus den für den betreffenden Sachbereich geltenden organisationsrechtlichen Vorschriften (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Auflage, § 73 Rn. 3).

Das Land Nordrhein-Westfalen hat mit dem Gesetz zur Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AG AsylbLG) vom 29. November 1994, GV NRW S. 1780, das den bundesrechtlichen Auftrag nach § 10 Satz 1 AsylbLG zur Bestimmung der für die Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes zuständigen Behörden erfüllen soll, im Einklang mit höherrangigem Recht die Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes mit den Ausnahmen in § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AG AsylbLG den Gemeinden übertragen. Sie ist ihnen als (pflichtige) Selbstverwaltungsaufgabe zugewiesen worden, nicht hingegen als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung (vgl. Deibel, Die Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes in Nordrhein-Westfalen, Städte- und Gemeinderat 8/1995, S. 306 (309); im Ergebnis bejahend Schoch/Wieland, Gutachten vom 12. Dezember 1995 u.a. zur verfassungsrechtlichen Überprüfung des Gesetzes zur Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes, S 53; a.A. Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen, Schnellbrief an die Mitgliedsstädte und -gemeinden vom 20. Dezember 1994 unter Bezugnahme auf ein Schreiben an den Innenminister Schnoor vom 19. Dezember 1994). [...]