VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Urteil vom 24.06.2003 - 7 UE 3606/99.A - asyl.net: M4340
https://www.asyl.net/rsdb/M4340
Leitsatz:

Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 53 Absatz 6 Satz 1 AuslG kann sich im Einzelfall auch daraus ergeben, dass ein Ausländer wegen einer schweren Erkrankung eines Medikaments bedarf, das im Zielstaat nicht im Rahmen des öffentlichen Gesundheitswesens in Apotheken erhältlich ist, sondern aus dem Ausland mit hohem Kostenaufwand beschafft werden muss, wenn der Betroffene aus persönlichen Gründen nicht in der Lage ist, den damit verbundenen finanziellen und organisatorischen Aufwand zu leisten. (Anschluss an Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29. Oktober 2002 - 1 C 1.02 -, DVBl. 2003, 463).(Amtlicher Leitsatz)

 

Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Kosovo, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit
Normen: AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

Den Klägern ist jedoch ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zuzuerkennen, weil die Klägerin im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland wegen ihrer im vorliegenden Verfahren nachgewiesenen schwerwiegenden und ständig behandlungsbedürftigen Erkrankung im Falle einer Rückkehr nach Serbien und Montenegro, insbesondere in ihr Heimatgebiet im Kosovo einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt wäre, so dass ihre Abschiebung dorthin nicht in Betracht kommt. Das Gericht sieht es durch die vorliegenden Urkunden und Auskünfte und die auf einem Teil dieser Urkunden beruhenden glaubhaften Erläuterungen der Kläger als erwiesen an, dass die Klägerin unter einer - so die Darstellung des Klinikums der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main vom 22. April 2002 (Band II Blatt 317 GA) - "schweren, seltenen und erblich bedingten Hauterkrankung" (Cornel-Netherton-Syndrom) leidet, die in Deutschland bereits zu einer stationären Behandlung der Klägerin geführt hat und die jetzt ständiger ambulanter Behandlung mit dem Medikament Neotigason 25 bedarf. Dieses Medikament bzw. gleichwertige andere Medikamente sind nach übereinstimmenden Auskünften des Vertrauensarztes der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Belgrad vom 21. März 2003 (Band II Blatt 261 GA) und des Komitees CAP ANANMUR vom 2. März 2003 (Band II Blatt 259 GA) im Kosovo derzeit nicht im Rahmen des offiziellen Gesundheitssystems bzw. in öffentlich zugänglichen Apotheken erhältlich. Zwar hat der Vertrauensarzt der Deutschen Botschaft in Belgrad in seiner Auskunft darauf hingewiesen, dass über private Apotheken das Medikament aus dem Ausland zum Preis von 112 Euro pro Packung zu 100 Kapseln à 10 mg zu beschaffen sei. Wegen der hohen Anforderungen, die in der Rechtsprechung insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29. Oktober 2002 - 1 C 1.02 -, DVBl. 2003, 463) an die Medikationssicherheit im Zielstaat zur Abwendung einer Gefahr für Leib und Leben des betroffenen Ausländers gestellt werden, reicht dies indessen nicht aus, um die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG im vorliegenden Einzelfall verneinen zu können. Denn wegen der schwerwiegenden Erkrankungen sowohl des Klägers (Blindheit) als auch der Klägerin (Netherton-Syndrom), die über keinen nennenswerten familiären Hintergrund im Zielstaat verfügen, kann nicht als wahrscheinlich angesehen werden, dass sie sich dort die finanziellen Mittel für eine Beschaffung der von der Klägerin benötigten Medikamente aus dem Ausland erwerben können. Zudem dürften sie krankheitsbedingt auch kaum in der Lage sein, unter erschwerten örtlichen Verhältnissen die organisatorischen Voraussetzungen für eine sichere Medikation aus dem Ausland zu schaffen.