VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Beschluss vom 26.09.2003 - 5 A 349/03 - asyl.net: M4300
https://www.asyl.net/rsdb/M4300
Leitsatz:

Eine Gefährdung wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung und mangelnder Behandlungsmöglichkeit ist für albanische Volkszugehörige im Kosovo eine allgemeine Gefahr i.S.d. § 53 Abs. 6 S. 2, § 54 AuslG.(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Kosovo, Albaner, Wiederaufgreifen des Verfahrens, Posttraumatische Belastungsstörung, Traumatisierte Flüchtlinge, Psychische Erkrankung, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, allgemeine Gefahr, Extreme Gefahrenlage, Beweisbeschluss, Sachverständigengutachten
Normen: AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

Bei den von dem Kläger geltend gemachten nicht bzw. unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten einer posttraumatishen Belastungsstörung im Kosovo bzw. im übrigen Serbien und Montenegro handelt es sich nach Ansicht des Einzelrichters der Kammer um eine allgemeine Gefahr im Sinne von § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG (vgl. ebenso VG Berlin v. 26.09.2002 - 37 X 56.01 - sowie VG München v. 9.1.2003 - 17 E 02.60647 -). Nach einer Studie des amerikanischen Centre for Disease Control, CDC, vom September 1999, die u.a. auf Seite neun des von dem Kläger selbst eingereichten Monatsbericht Oktober und November 2002 des Informationsbüros der Deutschen Caritas und Diakonie in Pristina zitiert wird, litten bereits im September 1999 18, 5 (7)% an entsprechenden Symptomen, im Mai 2000 25 %. Die Gesamtzahl der an psychischen Erkrankungen im Kosovo leidenden Personen wird nach dieser Studie mit 67 % beziffert (vgl. d. Bericht v. Lama, für IWPR in BCR 423 vom 15. April 2003). Trotz zeitlichen Abständen zu den Ereignissen bis zum Jahr 1999 wird die zunehmende Zahl entsprechender Fälle darauf zurückgeführt, dass die Betroffenen zuvor andere Sorgen, etwa um ihre unmittelbare Existenzgrundlage wie die Wiedererrichtung ihrer Häuser sowie die Familienzusammenführung, hatten. In dem Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe v. 06.12.2002 zur Situation der intern Vertriebenen in Serbien/Montenegro wird unter Ziffer 3.6.4.2 ausgeführt, dass Vertriebene, die besonders belastenden Ereignissen ausgesetzt gewesen sind (dieses wird mit 66 % der untersuchten Vertriebenen angeführt), einen extrem hohen Grad an posttraumatischer Belastungsstörung, psychopathologischen Symptomen, besonders Angstpsychose und paranoiden Ideen aufwiesen. Nach dem Kosova Rehabilitation Centre for Torture Victims (KRCT), hier zitiert nach www.bannet.org - regionale Mitglieder -, bedürfte beinahe die gesamte Bevölkerung des Kosovos hochprofessioneller Behandlung und Rehabilitation. Daraus wird deutlich, dass es sich bei der von dem Kläger geltend gemachten Gefährdung wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung hinsichtlich der albanischstämmigen Bevölkerung aus dem Kosovo selbst unter Berücksichtigung, dass ggf. nicht alle psychisch erkrankten Personen einer konkreten erheblichen Gefahr bei Nichtbehandlung ausgesetzt sind (vgl. dazu BVerwG v. 12.7.2001 -1 C 5/01 - BVerwGE 115, 1 ff), um eine allgemeine Gefahrenlage handelt, die grundsätzlich nur im Rahmen einer allgemeinen Leitentscheidung nach § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG zu berücksichtigen ist (vgl. die BVerwG-Entscheidungen für den Fall einer Aidserkrankung v. 27.04.1998 - 9 C 13/97 - NVwZ 1998, 973 f. sowie für den Kosovo (allgemein sowie zu Diabetes mellitus) vom 29.07.1999 - 9 C 2/99 - hier zitiert nach Juris). In der letztgenannten Entscheidung ist unter Bezugnahme auf das Urteil des BVerwG vom 25.11.1997 - 9 C 58/96 - BVerwGE 105, 383 ff) auch zutreffend ausgeführt worden, dass es für den entsprechenden Begriff der "Gefahr" unerheblich ist, aus welchen Ursachen sie sich ergibt. Daher kann insoweit nicht der Ansicht des OVG Münster (v. 19.11. 1999 - 19 B 1599/98 - für Bosnien-Herzegowina) gefolgt werden, dass Personen, die als Folge individueller Kriegserlebnisse traumatisiert sind, keine Gruppe i.S.d. § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG darstellen (vgl. OVG Saarlouis v. 20.9.1999 - 9 Q 286/98 -).

Ob zusätzlich allgemein die fehlende Leistungsfähigkeit des Krankenversicherungssystems im Heimatland des Klägers für die Annahme einer allgemeinen Gefahr spricht (vgl. dazu BVerwG v. 29.4.2002 -1 B 59/02 - Buchholz 402,240 § 53 AuslG Nr. 60 u.a. unter Bezugnahme auf den Beschluss des VGH München v. 10.10.2000 - 25 B 99.32077-; die nachfolgende Entscheidung des BVerwG v. 29.10.2002 -1 C 1/02 - DVBl. 2003,106 ff steht dem nicht entgegen, weil es um einen einzelfallbezogenen Mangel des Zugangs zur an sich verfügbaren Behandlung ging) kann deshalb dahinstehen.

Gleiches gilt für die Frage, ob für die Bildung der "Gruppe" i.S.v. § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG lediglich auf die albanischen Volkszugehörigen im Kosovo oder in ganz Serbien und Montenegro abzustellen ist, da nach den o.a. Angaben auch unter den Binnenvertriebenen in (Rest-) Serbien und Montenegro, zu denen albanische Volkszugehörige im Übrigen angesichts der für sie günstigen gegenwärtigen politischen Lage im Kosovo kaum gehören dürften, die Zahl der Traumatisierten hoch ist und im Übrigen auch unter der sonstigen dortigen Bevölkerung sich der psychische Gesundheitszustand so verschlechtert hat, dass nach Schätzungen auf Grund von Medikamentenverbrauch jede zweite Person in Serbien von Beruhigungsmitteln abhängig ist (vgl. Ziffer 5.36 des UK home office Berichts zu Serbien v. 4/03 u.a. unter Bezugnahme auf "DFID Health Systems Resource Centre: Health Briefing Paper - Serbia June 2001" sowie das WHO Mental Health Country Profile Yugoslavia 2002).

Schließlich ist schon angesichts des Wortlauts der Bestimmung, die - vorrangig - auf die Lage der Bevölkerung (allgemein) in dem Heimatland des Betroffenen abstellt, nicht erkennbar, warum es insoweit auf die Lage der nach Deutschland gelangten Personengruppe aus dem Kosovo bzw. Serbien und Montenegro ankommen soll (so ohne nähere Begründung das von dem Kläger in Bezugnahme Urteil des Einzelrichters des VG Göttingen v. 5.9.2003 - 3 A 3238/01 - S. 6 des Entscheidungsabdrucks).

Dem Kläger kann daher nur unter Durchbrechung dieser Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG Abschiebungsschutz gewährt werden, wenn er also bei einer Rückkehr in sein Heimatland gleichsam "sehenden Auges" dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde, was sich aus den bislang vorgelegten Gutachten nicht ergibt und durch das einzuholende Gutachten geklärt werden soll.