VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.06.2003 - 11 S 2537/02 - asyl.net: M4116
https://www.asyl.net/rsdb/M4116
Leitsatz:

Das Rechtsschutzinteresse für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO gegen einen sofort vollziehbaren aufenthaltsbeendenden Verwaltungsakt nach § 42 Abs. 2 S. 2 AuslG und die mit ihm verbundene Abschiebungsandrohung ist ungeachtet dessen gegeben, dass die Abschiebungsandrohung keine vollziehbare Ausreisepflicht voraussetzt (Ergänzung zum Senatsurteil vom 29.04.2003 11 S 1188/02 -).(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltsbewilligung, Verlängerung, Ablehnung, Aufenthaltszweck, Studium, Abschiebungsandrohung, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Ausreisefrist, Ausreisepflicht, Vollziehbarkeit, Rechtsschutzbedürfnis
Normen: VwGO § 80 Abs. 5 S. 1; AuslG § 28 Abs. 2; AuslG § 42 Abs. 1; AuslG § 42 Abs. 2; AuslG § 49; AuslG § 50 Abs. 1; AuslG § 50 Abs. 4; AuslG § 72
Auszüge:

Der Antragstellerin steht für ihren Aussetzungsantrag gegen die - ihre Ausreisepflicht nach §§ 42 Abs. 1, 3 Abs. 1, 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG begründende - Ablehnungsentscheidung das erforderliche Rechtsschutzinteresse zur Seite. Denn ein Erfolg dieses Antrags würde ihr dadurch einen rechtlichen Vorteil bringen, dass die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht im Wege der Verwaltungsvollstreckung gesperrt würde.

Allerdings macht eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegenüber der Ablehnungentscheidung nicht bereits die mit dieser Entscheidung nach § 50 Abs. 1 AuslG verbundene - und die erste Stufe der Verwaltungsvollstreckung bildende - Androhung der Abschiebung rechtswidrig. Denn Voraussetzung für eine derartige Abschiebungsandrohung ist, wie der Senat entschieden hat, nur, dass der Ausländer - kraft Gesetzes oder (wie hier) durch eine aufenthaltsbeendende Verfügung - wirksam zur Ausreise verpflichtet ist (§ 42 Abs. 1 AuslG, hier i.V.m. §§ 3 Abs. 1, 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG); hingegen muss die Ausreisepflicht nicht nach § 42 Abs. 2 (hier: Satz 2) AuslG vollziehbar sein (vgl. Urteil vom 29.4.2003 - 11 S 1188/02 -).

Jedoch ist die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht (§§ 42 Abs. 2 Satz 2, 72 Abs. 1 AuslG) nach der gesetzlichen Regelung in § 49 Abs. 1 AuslG rechtlich zwingende Grundvoraussetzung für die - die zweite und entcheidende Stufe der Verwaltungsvollstreckung bildende - Abschiebung. Über diese Vollziehbarkeit kann, wenn die Ausreisepflicht auf einem aufenthaltsbeendenden Verwaltungsakt nach § 42 Abs. 2 Satz 2 AuslG beruht, nur im gerichtlichen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bzw. § 80 Abs. 7 VwGO und nicht inzident in einem nachfolgenden Verfahren nach § 123 VwGO gegen eine drohende Abschiebung entschieden werden. Darüber hinaus würde sich ein Erfolg der Antragstellerin im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Ablehnungsentscheidung auch auf die nach § 50 Abs. 1 AuslG mit der Abschiebungsandrohung zu bestimmende Ausreisefrist - günstig - auswirken. Diese Ausreisefrist legt den zeitlichen Rahmen fest, innerhalb dessen ein Ausländer das Bundesgebiet (spätestens) freiwillig zu verlassen hat (§ 42 Abs. 3 AuslG). Erst nach ihrem fruchtlosen Ablauf ist die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht im Wege der Abschiebung zulässig (vgl. § 49 Abs. 1 i.V.m. § 42 Abs. 3 AuslG sowie § 49 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AuslG sowie § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AuslG; zu all dem vgl. auch GK-AuslR, § 50 Rdnr. 46). Nach § 50 Abs. 4 Satz 1 AuslG wird diese Ausreisefrist aber unterbrochen, wenn und solange die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht - durch ein erfolgreiches Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gegenüber dem aufenthaltsbeendenden Verwaltungsakt - entfällt. Diese Unterbrechungswirkung entbindet den Ausländer zwar nicht von seiner Ausreiseverpflichtung nach § 42 Abs. 1 AuslG und befreit wohl auch nicht von der Strafbarkeit des unerlaubten Aufenthalts nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG. Sie hindert jedoch, dass die zur Abschiebung berechtigenden und verpflichtenden Wirkungen des § 42 Abs. 3 i.V.m. § 49 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AuslG eintreten. Zudem eröffnet sie für den Betroffenen den weiteren Vorteil, dass die Ausreisefrist nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht erneut zu laufen beginnt (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 2.9.1996 - 1 B 143.96 -, Buchholz 402.26 § 12 AufenthG/EWG Nr. 11; Urteil des Senats vom 29.4.2003 a.a.O.). Dem Eintritt der Unterbrechung stünde mit Blick auf das Rechtsschutzinteresse auch nicht entgegen, dass das Verwaltungsgericht erst lange nach Ablauf der Ausreisefrist (am 20.7.2002) entschieden hat. Denn mangels einer anderweitigen Regelung käme seinem Aussetzungsbeschluss Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Wirksamkeit des Ablehnungsbescheids vom 14.6.2002 zu; auf diesen Fall ist § 50 Abs. 4 Satz 1 entsprechend anwendbar (vgl. Urteil vom 29.4.2003 m. w. N.).

Auch gegenüber der - mit der Ablehnung nach § 50 Abs. 1 AuslG verbundenen - "unselbstständigen" Abschiebungsandrohung kann der Antragstellerin das Rechtsschutzinteresse nicht abgesprochen werden. Dies folgt schon aus § 50 Abs. 4 Satz 1 AuslG, wonach die Ausreisefrist auch unterbrochen wird, wenn die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung entfällt. Das rechtlich relevante Prüfprogramm reduziert sich, da es einer vollziehbaren Ausreisepflicht nicht bedarf, dabei allerdings im Wesentlichen auf die Problematik des Zielstaats (§ 50 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. §§ 51 und 53 Abs. 1 bis 4 AuslG sowie § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG in verfassungskonformer Auslegung) und auf die Frage der angemessenen Ausreisefrist nach § 50 Abs. 1, § 42 Abs. 3 AuslG.

Der Antrag der Antragstellerin ist jedoch insgesamt nicht begründet. Anders als das Verwaltungsgericht räumt der Senat - entsprechend dem gesetzlichen Regelfall - dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ablehnungsentscheidung und der Abschiebungsandrohung (samt Setzung der Ausreisefrist) Vorrang vor dem gegenläufigen Interesse der Antragstellerin ein, vorerst im Bundesgebiet verbleiben zu können. Denn schon bei der hier gebotenen summarischen Beurteilung nach Aktenlage lässt sich feststellen, dass die Klage mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird.

Nach § 28 Abs. 2 S. 2 AuslG kann eine Aufenthaltsbewilligung nur verlängert werden, wenn als Rechtsvoraussetzung der mit ihr verbundene Aufenthaltszweck noch nicht erreicht ist und in einem angemessenen Zeitraum noch erreicht werden kann. Eine Gesamtschau der Umstände, insbesondere die Würdigung der Vorgänge im Jahre 2002 bis zur Flucht aus der Liebfrauenschule lässt die für eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung erforderliche positive Prognose nicht zu. Vielmehr war schon im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts davon auszugehen, dass die Antragstellerin ihre Ausbildung - Pädagogin nach vorhergehendem erfolgreichen Deutschkurs - jedenfalls nicht in angemessener Zeit zu Ende bringen werde. Zum einen waren die Deutschkenntnisse nach deutlich mehr als zwei Jahren ersichtlich noch nicht ausreichend und über das Niveau eines Grundkurses noch nicht hinausgekommen. Zum anderen ließ das Verhalten der Antragstellerin (Flucht aus einem mit Stipendium geförderten Ausbildungsverhältnis, Nichtantritt bereits zugesagter weiterführender Deutschkurse) darauf schließen, dass sie nach Lage der Dinge an einer gezielten effektiven Weiterführung ihres Studiums wohl überhaupt nicht mehr interessiert war bzw. sie nicht die Kraft zum Weiterstudium hatte. Bestätigt wird diese Einschätzung durch die von der Bevollmächtigten der Antragstellerin geschilderte nachfolgende Entwicklung. Danach hält sich die Antragstellerin außerhalb Baden-Württembergs auf und hat telefonisch mitgeteilt, es gehe ihr wieder besser und sie werde bald einen deutschen Staatsangehörigen heiraten, der ihr Schutz gebe, um dann weiter Deutsch lernen zu können. Die Mutter der Antragstellerin habe in einem mittels Dolmetscher geführten Telefonat aus China erklärt, die Antragstellerin werde "nicht mehr zur Akademie kommen, sie nehme einen anderen Weg".

Insgesamt spricht alles dafür, dass die Antragstellerin - möglicherweise mitverursacht durch tragische persönliche Erlebnisse und ohne persönliches Verschulden - ihr ehemaliges Studienziel aufgegeben hat, gleichwohl aus - möglicherweise nachvollziehbaren Gründen - jedoch nicht nach China zurückkehren will.