VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 30.06.2003 - 24 BV 03.122 - asyl.net: M4097
https://www.asyl.net/rsdb/M4097
Leitsatz:

Zur Haftung für die Kosten einer Abschiebung.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Verpflichtungserklärung, Schengenvisum, Italien (A), Abschiebungskosten, Wiedereinreise, unerlaubter Aufenthalt, Kostenerstattung, Ermessen, Leistungsfähigkeit
Normen: AuslG § 82 Abs. 2; AuslG § 84; KostenG § 13
Auszüge:

Der Kostenbescheid des nach § 63 Abs. 6 AuslG zuständigen Polizeipräsidiums Niederbayern/Oberpfalz vom 27. Juli 2001 in Höhe von 2.304,85 Euro für die Abschiebung der moldauischen Staatsangehörigen Frau B. ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger wurde gemäß § 82 Abs. 2 AuslG zu Recht zur Kostenerstattung herangezogen, weil er sich gegenüber der Auslandsvertretung - Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Moldawien - verpflichtet hat, die Kosten für die Dauer des Aufenthalts nach § 84 AuslG und auch die Ausreisekosten nach §§ 82, 83 AuslG zu tragen. Diese Erklärung stellt keine vertragliche Vereinbarung dar, sondern ist rechtlich als einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung einzustufen, um einen entsprechenden Anspruch zu begründen (BVerwG Urteil vom 24.11.1998, BVerwGE 108, 1 = NVwZ 1999, 779).

Inhalt und Reichweite der vom Kläger eingegangenen Verpflichtungserklärung lassen sich durch Auslegung an Hand objektiver Umstände ermitteln (§§ 133, 177 BGB). Der Kläger hat sich verpflichtet, während der Dauer des Aufenthalts von Frau B. u.a. auch die Kosten für die Ausreise nach §§ 82, 83 AuslG zu tragen. Die Dauer des Aufenthalts war in der Verpflichtungserklärung nicht zeitlich begrenzt auf den tatsächlich erteilten Aufenthaltstitel mit Gültigkeit vom 22. Juli bis 30. August 2000, sondern bezog sich generell auf die tatsächliche Dauer des Aufenthalts, sei er erlaubt oder unerlaubt. Dies folgt schon daraus, dass Abschiebekosten erst dann entstehen, wenn der Ausländer nicht freiwillig ausreist und er seiner gesetzlich bestehenden Ausreisepflicht nicht nachkommt, obwohl sein Aufenthalt nicht oder nicht mehr rechtmäßig ist.

Die Verpflichtungserklärung endet, wenn sie nicht ausdrücklich befristet ist, nach Maßgabe der Auslegung im Einzelfall (BVerwG a.a.O.). Sie erstreckt sich grundsätzlich auch auf Zeiträume illegalen Aufenthalts einschließlich der Dauer einer etwaigen Abschiebung. Eine zeitliche Beschränkung der Verpflichtungserklärung auf die Dauer des erteilten Visums ist mit dem beabsichtigten Zweck der Verpflichtungserklärung - die Kosten der Abschiebung nicht der Allgemeinheit aufzubürden - nicht vereinbar. Die Kosten einer Abschiebung bzw. Vorbereitung derselben sollen von demjenigen getragen werden, der für die Einreise und für den Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet letztendlich verantwortlich ist.

Die vom Verwaltungsgericht im Zusammenhang mit dem Inhalt und der Tragweite der Verpflichtungserklärung angestellten Überlegungen teilt der Verwaltungsgerichtshof nicht. Der Gesichtspunkt, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich von § 82 Abs. 2 AuslG nicht auf das Schengen-Gebiet erweitert hat und das Schengener Durchführungsübereinkommen auch nicht den Anwendungsbereich der Verpflichtungserklärung auf das gesamte Schengen-Gebiet übernommen hat, spielt für die Kostentragungspflicht des Klägers keine Rolle. Ebenso verhält es sich mit dem Argument, dass das erteilte Visum die Ausländerin für die Dauer der Gültigkeit berechtigte, im gesamten Schengen-Gebiet erlaubt unterwegs zu sein. Abzustellen ist vielmehr auf die tatsächlichen Gegebenheiten. Frau B. hatte ein Visum für den Zeitraum 23. Juli bis 30. August 2000, ausgestellt von der Deutschen Botschaft in Moldawien. Mit diesem Visum wollte sie zu Besuchszwecken nach Deutschland. Daneben war sie berechtigt, mit dem ihr erteilten Visum innerhalb der zeitlichen Gültigkeit in Schengen-Gebiet sich aufzuhalten. Mit ihrer Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland sieben Tage nach ihrer Einreise hat sie ihrer Ausreisepflicht nicht genügen können, weil sie zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht ausreisepflichtig war. Die Ausreisepflicht besteht erst mit Ablauf der Gültigkeit des erteilten Visums. Damit ist auch die Haftung aus der Verpflichtungserklärung nicht automatisch mit Ablauf des erteilten Visums erloschen. Es steht aufgrund der eigenen Einlassung von Frau B. fest, dass sie nach Ablauf des Visums nicht nach Moldawien zurückgekehrt ist, vielmehr hielt sie sich in Italien bzw. Österreich auf. Der Niederschrift des Amtsgerichts Passau vom 28. Juni 2001 ist zu entnehmen, dass Frau B. schon seit langer Zeit nach Hause gewollt habe. Sie habe jetzt jemanden gefunden, der ihr Geld leihe und sie sei jetzt auf dem Weg nach Hause. Dort lebe ihr Kind, das sie seit einem Jahr nicht mehr gesehen habe. Sie sei von Deutschland nach Österreich und dann nach Italien gefahren. Vor ca. einem Monat sei sie von Italien nach Deutschland gekommen. Sie habe sich hier einen Monat illegal aufgehalten. Spätestens mit Ablauf des 30. August 2000 war der Aufenthalt von Frau B. im Schengen-Gebiet illegal, weil sie keinen Aufenthaltstitel für einen anderen Schengen-Staat hatte. Deshalb wurde sie auch von Österreich aus am 6. Oktober 2000 nach Italien abgeschoben.

Die Reisen von Frau B. von Deutschland nach Italien und Osterreich und ihre Abschiebung von Österreich nach Italien hatten nicht zur Folge, dass die Verpflichtungserklärung des Klägers erloschen ist. Diese Reisetätigkeit hat den zeitlichen und sachlichen Zusammenhang der Verpflichtungserklärung mit dem erteilten Visum, unerlaubtem Aufenthalt und Abschiebung mit den entstandenen Kosten nicht unterbrochen, weil nach der festgestellten Sachlage Frau B. nicht nach Moldawien zurück wollte, sondern untertauchte und illegal im April/Mai 2001 wieder in die Bundesrepublik einreiste. Erst durch die Verpflichtungserklärung des Klägers war es für Frau B. möglich, ein Visum für das Schengen-Gebiet zu erhalten. Die Erklärung des Klägers war damit ursächlich für die Einreise, den Aufenthalt und das illegale Untertauchen. Wenn die Ausländerin dann im Bundesgebiet ohne gültigen Aufenthaltstitel angetroffen wird, ist sie ausreisepflichtig im Sinne des Ausländergesetzes und die Verpflichtungserklärung kommt zum Tragen. Die Tatsache, dass Frau B. offensichtlich zehn Monate ohne gültigen Aufenthaltstitel im Schengen-Gebiet umherreiste, führt nicht zwangsläufig zu einem Erlöschen der Verpflichtungserklärung. Hiervon kann nur ausgegangen werden, wenn die Ausländerin entweder von Österreich oder Italien nach Moldawien abgeschoben worden wäre oder sie zwischenzeitlich freiwillig nach Moldawien zurückgekehrt wäre. Dies ist nachweislich nicht der Fall gewesen.

Die Frage, ob die anspruchsberechtigte öffentliche Stelle den Verpflichteten heranzuziehen hat oder unter welchen Voraussetzungen sie davon absehen kann, ist nicht in § 82 AuslG geregelt. Dies soll jedoch nicht bedeuten, dass die zuständige Stelle ausnahmslos verpflichtet wäre, einen danach gegebenen Erstattungsanspruch geltend zu machen. Da die strikte Anwendung der Gesetze Folgen haben kann, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sind und mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar sind, ist die individuelle Leistungsfähigkeit des einzelnen im Rahmen einer Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. Besonderheiten des Einzelfalles sind bereits bei der Geltendmachung der Forderung von rechtlicher Bedeutung und kommen nicht erst im vollstreckungsrechtlichen Verfahren, sei es durch Stundung, Niederschlagung oder Erlass der Forderung (vgl. BVerwG a.a.O.) zum Tragen. Der Verpflichtende ist im Regelfall zur Erstattung heranzuziehen, ohne dass es entsprechender Ermessenserwägungen bedürfte. Ein Regelfall ist gegeben, wenn die Voraussetzungen der Aufenthaltsgenehmigung einschließlich der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren voll und individuell geprüft worden sind und nichts dafür spricht, dass die Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung des Verpflichteten führen könnte. Der Kläger hat bei Abgabe der Verpflichtungserklärung angegeben, dass er über ein regelmäßiges monatliches Renteneinkommen verfüge und für keine Personen unterhaltsverpflichtet sei. Einem Aktenvermerk vom 3. August 2001 ist zu entnehmen, dass seitens des Beklagten eine Rücknahme des Kostenbescheids in Betracht gezogen wurde, falls der Kläger bis zum 24. August 2001 Nachweise vorlege, wonach Frau B. zu Weihnachten in Moldawien gewesen sei. Der Einwand der mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Klägers wurde weder im Verwaltungsverfahren noch im Klageverfahren durch dessen Bevollmächtigten zur Sprache gebracht. Die Behörde hatte somit keinerlei Anhaltspunkte an der individuellen Leistungsfähigkeit des Klägers zu zweifeln bzw. im Wege des Ermessens zu entscheiden.