VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 11.06.2003 - 12 TG 1238/03 - asyl.net: M4088
https://www.asyl.net/rsdb/M4088
Leitsatz:

Wenn kein Teil einer familiären Lebensgemeinschaft mit unterschiedlichen Staatsangehörigkeiten ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland hat, ist grundsätzlich darauf zu verweisen, die Lebensgemeinschaft in einem der Herkunftsstaaten zu führen. Ausnahmsweise kann etwas Anderes dann gelten, wenn dies von vornherein ausgeschlossen oder ganz unverhältnismäßig erscheint.(Amtlicher Leitsatz)

 

Schlagwörter: D (A), Türken, Aufenthaltsbefugnis, Verlängerung, Regelversagungsgründe, Straftäter, Betrug, Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Diskriminierungsverbot, Schutz von Ehe und Familie, Gemischt-nationale Ehen, Familienangehörige, Ausreisepflicht, Atypischer Ausnahmefall, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AuslG § 46 Nr. 2; AuslG § 7 Abs. 2; AuslG § 30; AuslG § 45 Abs. 2; EMRK Art. 8; GG Art. 6; ARB Nr. 1/80 Art. 10 Abs. 1
Auszüge:

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 146 Abs. 1 und 4, 147 VwGO), aber nicht begründet.

Die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis und der Abschiebungsandrohung sind nämlich offensichtlich rechtmäßig.

Zunächst kann die Antragstellerin keinen Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsgenehmigung aus Art. 37 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation herleiten.

Soweit die Antragstellerin geltend macht, primäres Assoziationsrecht dürfte nicht durch sekundäres Assoziationsrecht in seiner Reichweite beschränkt werden, so greift dieser Einwand nicht durch, weil - wie ausgeführt - durch das sekundäre Assoziationsrecht in Art. 10 ARB 1/80 die primär assoziationsrechtliche Regelung des Art. 37 Zusatzprotokoll gerade umgesetzt wird. Mithin ist die Bedeutung und Auslegung von Art. 37 Zusatzprotokoll jedenfalls mit der für das Eilverfahren erforderlichen Gewissheit hinreichend geklärt, neue Gesichtspunkte in Auseinandersetzung mit der bisherigen Rechtsprechung des Senats werden von der Beschwerde nicht aufgezeigt, und daher ist entgegen dem Beschwerdebegehren auch eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nicht geboten.

Ferner erweist sich der angegriffene Beschluss auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK nicht als rechtlich fehlerhaft. Die Antragsgegnerin hat die Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung auf der Grundlage von § 7 Abs. 2 Nr. 1 AuslG abgelehnt. Ein Regelversagungsgrund hiernach liegt vor, weil die Antragstellerin wegen Sozialhilfebetrugs rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt worden ist (§ 46 Nr. 2 AuslG). Die an die Feststellung des Vorliegens eines Regelversagungsgrundes sich anknüpfende Frage, ob im Einzelfall ein atypischer Sachverhalt vorliegt, der das grundsätzliche Verbot der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung unvertretbar erscheinen lässt, hat auf der Grundlage einer gerichtlich voll nachprüfbaren umfassenden Interessenabwägung zu erfolgen (siehe ausführlich Hess. VGH, 14.03.1996 - 12 TG 360/96 -, EZAR 030 Nr. 5; Renner, Ausländerrecht in Deutschland, § 30 Rdnr. 454).

Hiernach ergeben sich aus den in tatsächlicher Hinsicht vorgebrachten Beschwerdegründen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), keine Anhaltspunkte dafür, dass das Vorliegen eines Ausnahmefalles in Betracht kommt. Den schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen der Antragstellerin im Bundesgebiet (§ 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG) kommt im vorliegenden Fall deshalb nur geringeres Gewicht zu, weil nach der angegriffenen behördlichen Verfügung vom 18. April 2002 auch der Ehemann und die Kinder der Antragstellerin ausreisepflichtig sind (siehe hierzu das Verfahren Hess. VGH - 9 TG 901/03). Wenn kein Teil einer familiären Lebensgemeinschaft ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland hat, ist grundsätzlich kein hinreichender Anknüpfungspunkt dafür vorhanden, eine familiäre Lebensgemeinschaft gerade in Deutschland zu leben (Hess. VGH, 16.01.2003 - 12 TG 3314/02 -). Regelmäßig ist in solchen Fällen darauf zu verweisen, die familiäre Lebensgemeinschaft im gemeinsamen Herkunftsstaat oder - wenn die Familienangehörigen unterschiedliche Staatsangehörigkeiten haben - in einem der Herkunftsstaaten zu führen (s. BVerwG, 20.09.1978 - 1 CB 26.78 EZAR 123 Nr. 1 0 Buchholz 402.24 § 10 Nr. 53). Ausnahmsweise kann etwas Anderes dann gelten - und ist bei der Prüfung des atypischen Sachverhalts nach § 7 Abs. 2 AuslG zu berücksichtigen -, wenn die Führung der Lebensgemeinschaft anderswo von vornherein ausgeschlossen oder ganz unverhältnismäßig erscheint (siehe Renner, Ausländerrecht in Deutschland, § 40 Rn. 169).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die Antragstellerin bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung darauf zu verweisen, die familiäre Lebensgemeinschaft entweder in Syrien oder in der Türkei herzustellen. Auch aus dem Beschwerdevorbringen lässt sich nicht entnehmen, dass eine dieser beiden Möglichkeiten von vornherein ausscheidet. In der angegriffenen Verfügung wird die Führung der Lebensgemeinschaft in Syrien oder in der Türkei zu Grunde gelegt, ohne dass hiergegen im Beschwerdeverfahren substantiierte Einwände, die über die bloße Rüge einer behördlichen Spekulation hinausgehen, geltend gemacht worden sind.