BlueSky

OVG Sachsen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Sachsen, Urteil vom 05.06.2002 - A 2 B 117/01 - asyl.net: M4075
https://www.asyl.net/rsdb/M4075
Leitsatz:

Die Annahme einer Verfolgungsgefahr iranischer Staatsangehöriger wegen exilpolitischer Aktivitäten ist nur dann gerechtfertigt, wenn davon ausgegangen werden muss, dass den Staatssicherheitsbehörden Irans die exilpolitischen Tätigkeiten des Betroffenen bekannt geworden sind und anzunehmen ist, dass die iranischen Behörden diese als erhebliche, den Bestand des Staates gefährdende oppositionelle Aktivitäten bewerten (Fortsetzung der Rspr. des. 4. Senats, vgl. Urteil v. 22.9.2000 - A 4 B 4313/98 -).

Zu exilpolitischen Aktivitäten für den Iranischen Verein für Politik und Kultur e. V. und die Organisation der Volksmudjaheddin.

Durch die Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung vom 7. bis 9.4.2000 in Berlin hat sich das Verhältnis des iranischen Staates zu politisch tätigen Iranern im Exil nicht geändert. (amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Iran, Volksmudjaheddin, Sympathisanten, Demonstrationen, Flugblätter, Haft, Glaubwürdigkeit, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Iranischer Verein für Politik und Kultur, Demonstrationen, Medienberichterstattung, Überwachung im Aufnahmeland, Antragstellung als Asylgrund
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; IranStGB Art. 498; IranStGB Art. 499; IranStGB Art. 500
Auszüge:

 

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zu der Feststellung, das in seinem Fall die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG vorliegen.

Dass der Kläger vor seiner Ausreise aus dem Iran von individueller politischer Verfolgung bedroht war, hat er nicht glaubhaft gemacht.

Es kann dahinstehen, ob der Kläger an der Demonstration in (...) vom (...) (vgl. hierzu näher Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an das VG Aachen vom 22.10.1996 und Auskunft von amnesty international an das VG Aachen vom 19.12.1996) teilgenommen hat und anschließend etwa sieben Monate inhaftiert wurde. Denn auch bei Zugrundelegung dieser Angaben des Klägers ist ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staates zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers nicht erkennbar. Sollte der Kläger wegen seiner Teilnahme an der Demonstration inhaftiert worden sein, hätte es mit der Entlassung aus der Haft sein Bewenden; eine weitere Verfolgung wäre nicht zu befürchten (vgl. auch Auskunft des Deutschen Orient- Instituts an das VG Aachen vom 22.10.1996, wonach es eine nachwirkende Verfolgung nicht gegeben zu haben scheint). Durch die Freilassung des Klägers aus der Haft am (...) haben die iranischen Behörden ihr mangelndes Verfolgungsinteresse zum Ausdruck gebracht. Nicht gefolgt zu werden vermag der Vermutung des Klägers, er sei freigelassen worden, damit die iranischen Behörden an die Hintermänner der von ihm bei der Demonstration verteilten Flugblätter gelangen könnten. Da der Kläger seinem Vortrag gemäß erst fünf Tage nach den Protesten festgenommen wurde, hätte er nachträglich identifiziert werden müssen. Dies ist nach der Auskunft des Orient-Instituts vom 22.10.1996 eher unwahrscheinlich. Nicht nachvollziehbar ist, wie den iranischen Behörden bekannt geworden sein soll, dass der Kläger während der Demonstration Flugblätter der Volksmudjaheddin verteilt hat. Sollte der Kläger dennoch wegen Unterstützung der Volksmudjaheddin inhaftiert worden sein, ist es sehr unwahrscheinlich, dass er bereits nach etwa sieben Monaten entlassen wurde. Eine Möglichkeit könnte sein, dass sich ein zunächst gehegter Verdacht nicht bestätigt hat; auch in diesem Falle hätte der Kläger nichts mehr zu befürchten.

Auch die Nachfluchtaktivitäten des Klägers vermögen einen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht zu begründen. Denn dem Kläger droht bei Rückkehr in den Iran aufgrund seiner exilpolitischen Tätigkeiten nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer Verfolgung.

Nach der Rechtsprechung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (Urteile vom 22.9.2000 - A 4 B 4313/98 -, - A. 4 B 4316/98 -, A 4 B 43.19/98 - und - A 4 B 4320/98 -) ist die Annahme einer Verfolgungsgefahr wegen exilpolitischer Aktivitäten nur dann gerechtfertigt, wenn davon ausgegangen werden muss, dass den Staatssicherheitsbehörden Irans die exilpolitischen Tätigkeiten des Betroffenen bekannt geworden sind und anzunehmen ist, dass die iranischen Behörden diese als erhebliche, den Bestand des Staates gefährdende oppositionelle Aktivitäten bewerten. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Auskunftslage reicht eine einfache Mitgliedschaft in einer exilpolitischen Organisation verbunden mit den hierfür typischen Aktivitäten wie der wiederholten einfachen Demonstrationsteilnahme, der Betreuung von Büchertischen oder dem Verteilen von Flugblättern grundsätzlich nicht aus. Der Betroffene muss aufgrund seiner Aktivitäten aus der Vielzahl der exilpolitisch aktiven Iraner hervortreten. Seine Aktivitäten müssen in quantitativer und qualitativer Weise einen persönlichen Einsatz erkennen lassen, der auf eine ernsthafte Regimegegnerschaft schließen lässt. Wann dies im Einzelnen der Fall ist, hängt von den konkret-individuellen Umständen des jeweiligen Sachverhalts ab.

An dieser Einschätzung hält der Senat auch unter Berücksichtigung der aktuellen Auskunftslage fest.

Im Zusammenhang mit der Mitgliedschaft in einer oppositionellen Organisation und der Teilnahme an einer regimefeindlichen Demonstration (auch) im Ausland können die Art. 498 bis 500 iranStGB einschlägig sein. Diese Vorschriften lauten (zitiert nach der Auskunft des Deutschen Orient-Institutes an das VG Leipzig vom 8.7.1997):

Art. 498: Jeder, der, aus welchen Beweggründen auch immer, eine Gruppe, eine Gemeinschaft (Verein) oder eine Untergruppe (Abteilung, Zweigstelle) einer solchen Gruppe, die aus mehr als zwei Personen besteht, innerhalb oder außerhalb des Landes unter welcher Bezeichnung auch immer mit dem Ziel bildet (gründet) oder führt, die Sicherheit des Landes zu gefährden und nicht als Mohareb zu bezeichnen ist, wird mit Freiheitsstrafe von zwei bis zehn Jahren bestraft.

Art. 499: Wer in den in Art. 498 angeführten Gruppen, Gemeinschaften (Vereinen) oder Untergruppen (Abteilungen, Zweigstellen) Mitglied wird, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren bestraft, es sei denn, die Mitglieder weisen nach, dass sie keine Kenntnisse von den Zielen der Organisation hatten.

Art. 500: Wer gegen die Islamische Republik Iran oder zugunsten von Gruppen und Organisationen, die gegen die staatliche Ordnung sind, in welcher Weise auch immer propagandistische Aktivitäten entfaltet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu einem Jahr bestraft.

Die iranischen Stellen beobachten die im Ausland tätigen Oppositionsgruppen genau. Sie schenken dabei grundsätzlich allen oppositionellen Gruppen und regimekritischen Einzelpersonen im Exil im Rahmen ihrer Aufklärungsaktivitäten Beachtung. Dass dem iranischen Nachrichtendienst Aktivitäten bekannt sind, bedeutet jedoch noch nicht eine erhöhte Gefahr. Ob die iranischen Behörden einen exilpolitisch tätigen Flüchtling als Regimegegner einstufen, hängt maßgeblich davon ab, welches Gefahrenpotential für das Regime der jeweiligen Organisation, für die sich der Asylsuchende betätigt, beigemessen wird, und in welchem Umfang sich dieser für die Organisation engagiert (vgl. etwa Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Schleswig-Holsteinische VG vom 19.1.2000 und Mitteilungen des Bundesamtes fur Verfassungsschutz an das VG Potsdam vom 23.8.2000 und an das VG Köln vom 11.12.2000).

Anhaltspunkte dafür, dass nach den Studentenunruhen im Sommer des Jahres 1999 im Iran gegen Rückkehrer aus dem Exil bei der Einreise schärfer vorgegangen wird, liegen nicht vor (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Schleswig-Holsteinische VG vom 19.1.2000, Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an das Schleswig-Holsteinische VG vom 29.2.2000 und Auskunft von amnesty international an das Schleswig Holsteinische VG vom 2.2.2000). Durch die Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung vom 7. bis 9.4.2000 in Berlin hat sich das Verhältnis des iranischen Staates zu politisch tätigen Iranern im Exil nicht geändert (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 27.10.2000, Mitteilung des Bundesamtes für Verfassungsschutz an das VG Potsdam vom 23.8.2000 und Auskunft von amnesty international an das VG Potsdam vom 29 .8.2000).

Aktivitäten des Iranischen Vereins für Politik und Kultur (IVPK) innerhalb Irans sind nicht bekannt geworden. Die Tätigkeit in einem oppositionellen Verein wie dem IVPK, der im Iran offensichtlich keine Bedeutung hat, und eine kritische Einstellung zur Regierung reichen jedenfalls heutzutage im Iran für eine politische Verfolgung nicht aus (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Schleswig-Holsteinische VG vom 19.1.2000).

Der Gruppe der Volksmudjaheddin gilt ausweislich der Erkenntnisquellen das besondere Interesse des iranischen Nachrichtendienstes, was auf die Gewaltbereitschaft der Organisation, die einen gewaltsamen Umsturz im Iran propagiert, und ihre Guerillaaktivitäten zurückzuführen ist. Die Volksmudjaheddin gehören zu den Hauptfeinden der Islamischen Regierung und sind die am meisten verfolgte Oppositionsgruppe (vgl. näher SächsOVG, Urt. v. 22.9.2000 - A 4 B 4313/98 -). Mitglieder derVolksmudjaheddin haben Strafen auch wegen bloßer Mitgliedschaft zu der Organisation zu befürchten. Die Teilnahme an einer von den Volksmudjaheddin organisierten Demonstration reicht jedoch nach Auffassung des Auswärtigen Amtes (Auskunft an das VG Trier vom 8.2.2000) heutzutage für eine drohende Verfolgung im Falle der Rückkehr in den Iran auch dann nicht aus, wenn der Asylbewerber ein Schild mit dem Namen Rajavi getragen hat und ein Bild dieser Demonstration, das ihn inmitten anderer Demonstrationsteilnehmer zeigt, in der Zeitschrift Modjahid veröffentlicht wurde, da es sich bei ihm offensichtlich nur um einen Sympathisanten handele.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (vgl. Auskunft an das VG Köln vom 21.2.2001) wertet die mehrfache Teilnahme an Demonstrationen einschließlich des Haltens eines Transparents, die Verteilung von Informationsmaterial an einem Informationsstand der Volksmudjaheddin, die Veröffentlichung eines Fotos, auf dem die Klägerin als Demonstrationsteilnehmerin zu erkennen ist, in einer deutschen überregionalen Zeitung sowie die Erledigung von Arbeiten im Stützpunkt der Volksmudjaheddin einschließlich der Vorbereitung von Demonstrationen an etwa drei Tagen pro Woche als reine Unterstützungshandlungen, die keine exponierte Stellung und damit keine Verfolgungsgefahr begründen. Nach der Einschätzung des Deutschen Orient-Instituts (vgl. Auskunft an das Schleswig-Holsteinische OVG vom 8.1.1998) spielt der Umstand, dass exilpolitische Aktivitäten auch im Zusammenhang mit der Durchführung des Asylverfahrens gesehen werden können, nach der iranischen Rechtspraxis dann keine Rolle, wenn dort tatsächlich davon ausgegangen wird, dass der betreffende Anhänger der Volksmudjaheddin ist, und zwar ein echter, dauernd oder doch mehr als im Zusammenhang lediglich mit einzelnen Demonstrationen, Veranstaltungen oder sonstigen Aktionen aktiver Anhänger. Ob die Entschuldigung im Hinblick auf das in Deutschland geführte Asylverfahren letztlich bei einer etwaigen Rückkehr in den Iran "abgekauft" werde oder ob dies dann aus dortiger Sicht nur als Schutzbehauptung erscheine, dürfte davon abhängen, was die iranischen Behörden tatsächlich von ihm wissen und was sie von ihm halten.

Der Kläger hat seit (...) an (...) exilpolitischen Demonstrationen teilgenommen. Er ist Mitglied des IVPK. In exponierter Weise ist er dort nicht hervorgetreten. Er hat als Mitglied der Kommission für Flugblätter und Werbung dreimal an Plakatierungsaktionen teilgenommen. Auch war er an der Verbreitung von Reden durch das Abschreiben vom Tonband beteiligt. Diese Aktivitäten stellen bloße Untersützungstätigkeiten dar. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der IVPK als reine Exilorganisation für den iranischen Staat keine Gefahr darstellt.

Seit dem Jahre (...) besucht der Kläger eigenen Angaben gemäß Veranstaltungen der Volksmudjaheddin, betreute einen Büchertisch der Volksmudjaheddin in der Innenstadt gemeinsam mit einem Hauptverantwortlichen der Volksmudjaheddin, (...). Mit Ausnahme einer zweimaligen Teilnahme am Büchertisch der Volksmudjaheddin hat der Kläger diese Aktivitäten nicht nachgewiesen. Ob der Kläger diese Aktivitäten tatsächlich entfaltet hat, kann jedoch dahinstehen, da ihm auch im Falle der Wahrunterstellung bei einer Rückkehr in den Iran nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer Verfolgung droht. Der Kläger ist nicht Mitglied der Volksmudjaheddin. Der Verkauf von Büchern und Zeitschriften sowie die Mitverantwortung für den Auf- und Abbau des Büchertisches stellen ebenso wie das anonyme Versenden und Verteilen kopierter Zeitungsartikel untergeordnete Unterstützungstätigkeiten dar.