OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Beschluss vom 13.09.2002 - 3 R 3/02 (3 Q 81/01) - asyl.net: M3657
https://www.asyl.net/rsdb/M3657
Leitsatz:

Staatenlose Kurdinnen und Kurden mit

ungenehmigter Ausreise aus Syrien haben zwar keinen Asylanspruch

nach Art. 16 a I GG und keinen Anspruch auf Abschiebungsschutz

nach § 51 I AuslG, wohl aber hinreichenden Schutz in

Deutschland in erster Linie durch Art. 31 des StaatenlosenÜbereinkommens

und ergänzend durch einen Duldungsanspruch nach

§ 55 II AuslG. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Syrien, Kurden, Staatenlose, Illegale Ausreise, Einreiseverweigerung, Verfolgungsbegriff, Gewöhnlicher Aufenthalt, Abschiebungshindernis, Duldung, Rechtliche Unmöglichkeit, Abschiebungsandrohung, Staatenlosenübereinkommen, Reiseausweis
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 55 Abs. 2; AuslG § 50 Abs. 3
Auszüge:

Die allein auf Asyl- und Abschiebungsschutz gerichtete Klage bleibt deshalb erfolglos, weil Syrien für den Kläger keinen Verfolgerstaat darstellt. Nach der zutreffenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts löst Syrien seine Beziehungen zu staatenlosen Kurden nach unerlaubter Ausreise durch generelle Verweigerung der Wiedereinreise auf. Diese Auflösung ist entgegen der Meinung des Klägers auch nicht ihrerseits ein asylerheblicher Akt, denn sie knüpft an statusrechtliche und wirtschaftliche Gründe an. Da es an einem Verfolgerstaat für den Kläger mithin fehlt, steht ihm der Schutz des Art. 31 Staatenlosen-Abkommens vom 28.9.1954 (BGBl. 11 1976, 473) zu. Die vom Kläger einzelfallbezogen vorgetragene politische Betätigung einschließlich der exilpolitischen Tätigkeit ändert an dieser generellen Rückkehrsperre für staatenlose Kurden nichts und kann deshalb entgegen der Meinung des Klägers keinen Asylanspruch begründen.

Bei Staatenlosen kommt es auf die Verhältnisse im Land des gewöhnlichen Aufenthalts an; löst ein Staat durch Verweigerung der Wiedereinreise aus nicht asylrechtlichen Gründen seine Beziehung zu Staatenlosen auf, hört er dagegen auf, für sie das Land des gewöhnlichen Aufenthalts zu sein und steht ihnen in gleicher Weise gegenüber wie jeder andere beliebige auswärtige Staat (BVerwG, Urteil vom 24.10.1995 - 9 C 3/95 -, dort für den Libanon).

Der Asylanspruch und der Anspruch auf Abschiebungsschutz werden gegenstandslos. Die vom Kläger vorgetragenen Verfolgungsgründe sind nicht mehr zu prüfen. Nunmehr wird die Bundesrepublik Deutschland zum Land des gewöhnlichen Aufenthalts, und für die Staatenlosen gilt nach dem zutreffenden Rechtsstandpunkt des Beklagten ein besonderer Status mit einem Ausweisungs-und Abschiebungsschutz im Staatenlosen-Übereinkommen vom 28.9.1954, BGBl. 1976 II S.473 (BVerwG, Urteil vom 24.10.1995 - 9 C 3/95 -).

Im praktischen Ergebnis steht den staatenlosen Kurden ohne Wiedereinreisemöglichkeit nach Syrien ungeachtet des negativen Tenors im Asylverfahren im humanitär positiven Sinn hinreichender Schutz in Deutschland zur Verfügung. Sie können ohne Verfolgungsfurcht leben. In erster Linie richtet sich der Schutz hier nach dem besonderen Ausweisungs- und Abschiebungsschutz des Art. 31 Staatenlosen-Übereinkommen. BVerwG, Urteil vom 24.10.1995 - 9C3/95 -).

Art. 31 Staatenlosen-Übereinkommen setzt die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts der Staatenlosen im Hoheitsgebiet voraus, die vom Bundesverwaltungsgericht als inhaltsgleiche Voraussetzung für die Reiseausweisausstellung nach Art. 28 Staatenlosen- Übereinkommen näher geklärt ist. Für den rechtmäßigen Aufenthalt der Staatenlosen genügt danach nicht die faktische Anwesenheit, sondern eine gewisse Aufenthaltsverfestigung ist dafür erforderlich; maßgebend ist letztlich, ob ein Daueraufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet hingenommen werden soll (Allgemein ohne Bezug zu Syrien BVerwG, Urteil vom 16.7.1996 -1 C 30.93 -, DVB1. 1997, 177; 179; speziell zu syrischen Staatenlosen OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 27.6.2001 - A 3 S 461/98 -, S. 16 des amtl. Umdrucks).

Ergänzend kommt den Staatenlosen gegenüber einer Abschiebung nach Syrien in jedem Fall der Duldungsgrund des § 55 11 AuslG zugute, da die Abschiebung nach dem eindeutigen Erkenntnismaterial aus rechtlichen Gründen unmöglich ist (vgl. zu diesem Schutz OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 27.6.2001 - A 3 S 461/98 -, S. 15/16 des amtl. Umdrucks).

Greift aber zumindest ergänzend die Duldungsvorschrift des § 55 11 AuslG ein, muß es nach dem gesetzlichen Zusammenhang der §§ 50 III AuslG und § 55 II AuslG auch bei der rein formalen Aufrechterhaltung der Abschiebungsandrohung verbleiben (OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 27.6.2001 - A 3 S 461/98 -, S.15/16 des amtl. Umdrucks; ebenso im grundsätzlichen Ergebnis VGH, Baden-Württemberg, Beschluß vom 13.9.2001 - A 2 S 26/98 - , S. 5 des amtl. Umdrucks).

Im Ergebnis haben aufgrund der neueren Erkenntnislage zur Überzeugung des Senats staatenlose Kurdinnen und Kurden mit ungenehmigter Ausreise aus Syrien zwar keinen Asylanspruch nach Art. 16 a I GG und keinen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 51 I AuslG, wohl aber hinreichenden Schutz in Deutschland in erster Linie durch Art. 31 des Staatenlosen-Übereinkommens und ergänzend durch einen Duldungsanspruch nach § 55 11 AuslG.

Nach der Wertung des Senats ist die neuere Rechtsprechung und Erkenntnislage für staatenlose Kurden aus Syrien insgesamt betrachtet günstiger.