VGH Hessen

Merkliste
Zitieren als:
VGH Hessen, Urteil vom 10.12.2002 - 10 UE 2497/02.A - asyl.net: M3578
https://www.asyl.net/rsdb/M3578
Leitsatz:

1. Der Widerruf einer Asylanerkennung oder der Zuerkennung von Abschiebungsschutz gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG kann nur erfolgen, wenn neben dem (rechtmäßigen oder rechtswidrigen) Anerkennungsbescheid ein Widerrufsgrund vorliegt.

2. Für die Bejahung eines Widerrufsgrundes ist es notwendig, dass sich die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich geändert haben.

3. Eine bloße Änderung der Erkenntnislage oder deren abweichende Würdigung reicht für die Annahme einer erheblichen Änderung der Verhältnisse nicht aus.

4. Im Falle einer ursprünglich falschen Einschätzung der Verhältnisse im Verfolgerstaat durch das Bundesamt kann ein Widerruf ergänzend auf § 48 VwVfG gestützt werden; allerdings ist insofern eine den individuellen Gegebenheiten Rechnung tragende Ermessensentscheidung zu treffen (wie BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 - 9 C 12.00 -; BVerwGE 112, 80).

Schlagwörter: Irak, Kurden, Konventionsflüchtlinge, Flüchtlingsanerkennung, Widerruf, Unverzüglichkeit, Änderung der Sachlage, Änderung der Rechtslage, Verfolgungssicherheit, Nordirak, Besuchsreisen, Ursprüngliche Rechtswidrigkeit, Rücknahme, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 1; VwVfG § 48; Irak. Dekret Nr. 110 v. 28.6.99
Auszüge:

Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 14. Juni 1999, mit dem die Zuerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 51 Abs. 1 AuslG widerrufen wurde, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Zutreffend konnte das Bundesamt allerdings für den beabsichtigten Widerruf § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zu Grunde legen, weil für die Anwendung dieser Vorschrift der Umstand, ob die ursprüngliche Zuerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 51 Abs. 1 AuslG rechtmäßig oder rechtswidrig war, nicht von Bedeutung ist.

Diese Linie wird auch in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. September 2000 - 9 C 12.00 - (BVerwGE 112, 80 85>) fortgesetzt mit Hinweis darauf, dass auch nach der Rechtslage im allgemeinen Verwaltungsrecht ein rechtswidriger Verwaltungsakt in entsprechender Anwendung des § 49 VwVfG widerrufen werden könne, wenn die Widerrufsvoraussetzungen vorliegen.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass grundsätzlich die Zuerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 73 Abs. 1 AsylVfG widerrufen werden konnte, selbst wenn man auf Grund der Argumentation der Beteiligten davon ausgeht, dass der Bescheid des Bundesamtes vom 30. Januar 1996 bereits ursprünglich rechtswidrig war, weil er nach der seinerzeitigen Erkenntnislage bereits nicht hätte ergehen dürfen. Dies erscheint auch sinnvoll, denn wenn man eine von Anfang an rechtswidrige Asylanerkennung, die nicht unter die Rücknahmevorschriften des § 73 Abs. 2 AsylVfG fällt, vom Widerruf ausschließen würde, wenn sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse nachträglich geändert haben, so stünde der zu Unrecht Begünstigte besser da als der zu Recht Begünstigte (vgl. so Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand: Juli 2000, § 73, Rdnr. 10).

Voraussetzung für die Bejahung eines Widerrufsgrundes nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist aber neben der Existenz eines Anerkennungsbescheides auch das Vorliegen eines Widerrufsgrundes. Ein solcher liegt insbesondere dann vor, wenn die Gefahr politischer Verfolgung im Herkunftsstaat nicht mehr besteht. Dies ist allerdings nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann der Fall, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich geändert haben. Eine solche entscheidungserhebliche Änderung der Sachlage liegt nicht bei einer bloßen Änderung der Erkenntnislage oder deren abweichender Würdigung vor, selbst wenn die neue Beurteilung der Sachlage erst auf nachträglich bekannt gewordenen oder neu erstellten Erkenntnismitteln beruht (vgl. so BVerwGE 112, 80 82>). Für die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Würdigung wird zum einen auf den Wortlaut des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG Bezug genommen ("wenn die Voraussetzungen ... nicht mehr vorliegen"), zum anderen wird auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift und auf gesetzessystematische Erwägungen Bezug genommen.

Daraus folgt, dass von § 73 Abs. 1 AsylVfG diejenigen Fälle nicht umfasst sind, bei denen in unzutreffender Würdigung der Sachlage zu Unrecht von einer politischen Verfolgung des Ausländers ausgegangen wurde und bei denen deshalb die positiven Bescheide von vornherein rechtswidrig waren (vgl. für eine ähnliche Konstellation bereits BVerwG, NVwZ 1990, 774; wie hier ebenfalls VG Ansbach, Urteil vom 08.11.1995 in: InfAuslR 1996, 372; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10.05.1999 in: InfAuslR 2000, 39; VG Hannover, Urteil vom 17.09.1999 in: InfAuslR 2000, 43). Die Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG kann nicht dazu dienen, bestandskräftig gewordene Entscheidungen, deren Unrichtigkeit sich im nachhinein herausstellt, zu korrigieren (vgl. bereits VGH Kassel, Urteil vom 2. April 1993 - 10 UE 1413/93- Leitsatz in NVwZ-RR 1994, 234; so auch Hailbronner, a.a.O., Rdnr. 13; VG Ansbach in: InfAuslR 1996, 372; VG Gelsenkirchen in: InfAuslR 2000, 39).

Der darüber hinausgehenden Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach die Rücknahme eines rechtswidrigen Anerkennungsbescheides, der nicht unter § 73 Abs. 2 AsylVfG falle, sich auch dann auf § 73 Abs. 1 AsylVfG stützen lasse, wenn sich im Vergleich zum Zeitpunkt des Erlasses der begünstigenden Entscheidung die Verhältnisse nicht geändert hätten (vgl. Bay. VGH, Urteil vom 01.12.1998 - 24 B 98.31324 -, EZAR 214, Nr. 9), kann dagegen nicht gefolgt werden.

Selbst wenn man es im Sinne der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs für wünschenswert hielte, dass auch die Fälle erfasst werden, bei denen die Asylanerkennung bzw. die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG von Anfang an rechtswidrig war und bei denen keine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten ist, so ist für dieses Ergebnis nach dem Gesetzeszweck eine erweiternde Auslegung der Widerrufsregelung für den Fall der nachträglich besseren Erkenntnis nicht erforderlich. Aus der Entstehungsgeschichte des § 73 Abs. 1 AsylVfG ergibt sich, dass dieser die Pflicht zum Widerruf für die Fälle festschreiben will, in denen sich die Sachlage - insbesondere im Verfolgerstaat - so geändert hat, dass nun keine politische Verfolgung mehr zu befürchten ist (vgl. dazu im Einzelnen BVerWGE 112, 80 83, 84>). Hat das Bundesamt die Verfolgungsgefahr hingegen ursprünglich - wenn auch möglicherweise auf Grund der seinerzeit vorliegenden Erkenntnislage nachvollziehbar - falsch eingeschätzt, kann dieser Fallvariante nur über die Rücknahmevorschriften (§ 73 Abs. 2 AsylVfG und in ergänzender Anwendung § 48 VwVfG) Rechnung getragen werden (so BVerwG, a.a.O.).

Während das Bundesverwaltungsgericht es in der Vergangenheit offen gelassen hatte, ob bei ursprünglicher Rechtswidrigkeit der Asylanerkennung § 48 VwVfG subsidiär neben § 73 Abs. 1 und Abs. 2 AsylVfG anwendbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.06.1997 - 9 B 280.97 - bei juris), ist in der bereits mehrfach zitierten Entscheidung vom 19. September 2000 (BVerwGE 112, 80 88>) ausdrücklich klargestellt worden, dass der Senat diese Frage entgegen der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum nunmehr dahingehend entscheidet, dass § 73 AsylVfG die Rücknahme von Anerkennungsbescheiden nicht abschließend regele. Vielmehr gebe es weder nach den Gesetzesmaterialien noch aus dem systematischen Zusammenhang und dem Sinn und Zweck der Vorschriften über die Aufhebung und das Erlöschen einer Asylanerkennung einen Hinweis auf einen abschließenden Charakter der asylrechtlichen Rücknahmevorschrift. § 48 I VwVfG könne daher ergänzend angewendet werden, wobei dies gerade für die Fälle bedeutsam ist, in denen die Anerkennung aus nicht dem Asylsuchenden zuzurechnenden Gründen - etwa wegen einer falschen Einschätzung der Gefährdungslage oder rechtsirriger Annahme der Anerkennungsvoraussetzungen seitens des Bundesamtes - von Anfang an rechtswidrig ist. Allerdings ist bei der Anwendung des § 48 VwVfG zu beachten, dass in diesem Rahmen eine Ermessensentscheidung zu treffen ist.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Widerruf in rechtmäßiger Weise weder auf § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch auf § 48 VwVfG gestützt werden konnte, weil die Voraussetzungen beider Normen hier nicht vorliegen.

Im Hinblick auf § 73 Abs. 1 AsylVfG fehlt es an einem Widerrufsgrund, da sich der Widerruf jedenfalls nicht auf eine grundlegende Veränderung der Verhältnisse im Nordirak stützen lässt.

Zu Recht hat der Kläger insofern eingewandt, eine entscheidend andere Ausgangslage als zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Abschiebungsverbots sei nicht ersichtlich.

Eine weitgehend der heutigen Situation im Nordirak entsprechende Lage war bezüglich der Grundlagen bereits im Januar 1996 erreicht (vgl. AA, Lagebericht 1996), also zu dem Zeitpunkt, zu dem zugunsten des Klägers das Vorliegen der Voraussetzungen des Abschiebungsverbots nach § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt wurde.

Die vom Verwaltungsgericht Ansbach geäußerte Auffassung (vgl. VG Ansbach in: InfAuslR 2000, 43 45>), erst nach dem Rückzug der irakischen Truppen nach ihrem Angriff auf die Stadt Arbil im August 1996 könne davon ausgegangen werden, dass die überwiegend von den Kurden im Nordirak besiedelten Gebiete vor dem Zugriff des irakischen Staates sicher seien, vermag den Senat demgegenüber nicht zu überzeugen. Der Vorstoß der irakischen Regierung ist vielmehr als vereinzelte militärische Aktion anzusehen, die schnell niedergeschlagen wurde und vorübergehend andauerte.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass nach der zuvor zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch weder ein einzelnes Ereignis ausreichen würde, um eine erhebliche Änderung der Sachlage zu begründen, noch könnte ein Widerruf auf eine nachträglich geänderte Beurteilung auf Grund besserer Erkenntnis gestützt werden (vgl. BVerwG a.a.O.).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der am Tag vor der mündlichen Verhandlung vorgelegten neuen Begründung der Beklagten, wonach auf Grund des Erlasses des Dekrets Nr. 110 die gefahrfreie Rückkehr nunmehr in den Gesamtirak möglich sei. Zum einen ist dazu festzustellen, dass das genannte Dekret - wie die Beklagte auch ausdrücklich selbst vorträgt - sich ausschließlich auf die Fälle unbelasteter irakischer Staatsangehöriger, die allein auf Grund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten ihr Heimatland verließen und hierzu keine legalen Ausreisedokumente benutzten, bezieht. Damit werden jedenfalls nicht die Fälle umfasst, bei denen die Ausreise - wie vorliegend - wegen behaupteter politischer oppositioneller Tätigkeit erfolgte. Im Übrigen sei auch angemerkt, dass die Verlässlichkeit des genannten Dekrets jedenfalls umstritten ist. Ungeachtet der Einordnung des Dekrets Nr. 110 kann dieses aber auch deshalb hier nicht herangezogen werden, da es erst am 28. Juni 1999 und damit nach dem Widerrufsbescheid vom 14. Juni 1999 erlassen wurde. Als Prüfungszeitpunkt für die Anfechtungsklage ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zu Grunde zu legen. Dem gemäß kann ein neuer Vortrag nicht einen rechtswidrigen Bescheid nachträglich rechtmäßig machen. In diesem Sinne hat auch das Bundesverwaltungsgericht dargelegt, ein Widerruf sei selbst dann nicht gerechtfertigt, wenn die neue Beurteilung auf erst nachträglich bekannt gewordenen Erkenntnismitteln beruhe (vgl. BVerwG, a.a.O.).

Der Widerrufsgrund des nachträglichen Wegfalls der Verfolgungsgefahr kann allerdings außer auf einer Veränderung der Verhältnisse im Herkunftsstaat auch auf Ursachen beruhen, die in der Person des Betroffenen liegen. So kann z.B. die freiwillige Rückkehr des Asylberechtigten in den Verfolgerstaat den Schluss auf einen Wegfall der Verfolgungsgefahr rechtfertigen, sofern nicht bereits nach § 72 AsylVfG die Anerkennung erloschen ist (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 73 AsylVfG, Rdnr. 15). Allerdings reicht die Rückkehr für sich genommen nicht aus, vielmehr bestimmt Art. 1 c Nr. 4 GK, der hier ergänzend heranzuziehen ist, dass die Flüchtlingseigenschaft erst entfällt, wenn der Flüchtling freiwillig in das Land, das er aus Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder außerhalb dessen er sich befindet, zurückgekehrt ist und sich dort niedergelassen hat. Ein solches Verhalten des Flüchtlings dokumentiert den Wegfall von Verfolgungsfurcht und gleichzeitig der Verfolgungsgefahr selbst (vgl. Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 7. Aufl., § 73, Rdnr. 6). Allerdings besteht Einigkeit darüber, dass das Merkmal eines dauernden Aufenthalts des Verfolgten im Heimatstaat gegeben sein muss. Einer nur vorübergehenden kurzzeitigen Rückkehr, insbesondere aus schwerwiegenden familiären Gründen (z.B. Besuch des todkranken Vaters) oder zur Erfüllung einer sittlichen Pflicht, kann die Bedeutung einer freiwilligen Rückkehr nicht ohne Weiteres zugemessen werden (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 73 AsylVfG, Rdnr. 16), dies gilt insbesondere bei regional begrenzter Verfolgung (vgl. Renner, a.a.O., § 73 AsylVfG, Rdnr. 6). Zu den Gründen, die eine kurzfristige Rückkehr in den Heimatstaat rechtfertigen können, zählt auch eine Reise in das Herkunftsland, um Verwandten oder Freunden bei der Flucht zu helfen (vgl. BVerwGE 89, 231 237>).

Für den vorliegenden Einzelfall hat die Anhörung des Klägers ergeben, dass das Verwaltungsgericht hier im Ergebnis zu Recht das Merkmal der Freiwilligkeit verneint hat. Der Kläger hat geschildert, dass er sich nach Anerkennung der für ihn vorliegenden Abschiebungshindernisse sofort darum bemüht habe, seine Frau und seine drei 1980, 1981 und 1982 geborenen Kinder im Wege der Familienzusammenführung ebenfalls nach Deutschland zu holen.

Die lebensnahe und in sich widerspruchsfreie Schilderung des Klägers zeigt, dass von einer freiwilligen Rückkehr keine Rede sein kann, vielmehr sah sich der Kläger zu der Reise zum einen wegen der damals für ihn bedrohlich erscheinenden Verhältnisse im Nordirak, zum anderen wegen der traditionellen Vorschriften für Reisen von Frauen gezwungen, die Familienzusammenführung selbst in die Hand zu nehmen. Dabei ist auch offensichtlich geworden, dass der Kläger im Nordirak im Wesentlichen von offizieller Seite unerkannt bleiben wollte und deshalb aus Angst vor möglicherweise sich im Land befindenden Agenten der irakischen Zentralregierung auf informellen Wegen nach dem Verbleib seiner Familie geforscht hat.

Zwar ist der Senat der Auffassung, dass wegen der Vielzahl der Reisen von irakischen Staatsangehörigen in den Nordirak (vgl. dazu Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Niederlande, ambtsbericht Noord-lrak vom 11.04.2001, 4.1), strenge Maßstäbe anzulegen sind und grundsätzlich die - insbesondere mehrfache - Rückkehr in das Heimatland, ohne dass dies Verfolgungsmaßnahmen nach sich zieht, zu einem Wegfall der Asylanerkennungsvoraussetzungen bzw. der Voraussetzungen für die Annahme von Abschiebungshindernissen führen muss. Wie die Verhältnisse sich im Einzelnen gestalten, ist jedoch in jedem Fall auf Grund der konkreten Situation gesondert individuell zu betrachten.

Der Widerruf kann auch nicht ergänzend auf § 48 VwVfG gestützt werden.

Nach dem eindeutigen, insofern nicht interpretationsfähigen Bescheid vom 14. Juni 1999 ist nur der Widerruf der Feststellung eines Abschiebungsverbots im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG von Abschiebungshindernissen nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG geprüft und insofern eine gebundene Entscheidung angenommen worden. Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass auch die für die Anwendung des § 48 VwVfG notwendigen Ermessenserwägungen angestellt wurden, sind aus dem Bescheid nicht ersichtlich. Diesbezüglich wurde in der mündlichen Verhandlung auch eingeräumt, dass man eine Ermessensentscheidung nicht als notwendig angesehen und insofern entsprechende Erwägungen auch nicht vorgenommen habe.

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die fehlende Ermessensausübung unschädlich wäre, weil das in § 48 VwVfG eröffnete Rücknahmeermessen im Falle des Klägers auf Null reduziert gewesen wäre.

Insofern verweist das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 19. September 2000 zu Recht darauf, dass ein Vergleich mit der Rücknahmepflicht gemäß § 73 Abs. 1 AsylVfG bereits zeige, dass der Gesetzgeber die anfängliche Rechtswidrigkeit in anderen Fällen als nicht so gewichtig angesehen habe, dass generell kein Rücknahmeermessen eingeräumt werde. Für die Fälle, in denen das Bundesamt die Rechtswidrigkeit einer Asylgewährung oder einer Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG nachträglich erkennt, steht ihm vielmehr ein weites, auch etwaige Erwägungen zur Verfahrensökonomie einschließendes Ermessen bei der Frage zu, ob es überhaupt ein Rücknahmeverfahren einleitet (vgl. BVerwGE, a.a.O., S. 92). In eine solche Ermessensentscheidung hätten neben den zuvor dargestellten individuellen Umständen auch die Tatsache einfließen müssen, dass der Kläger mit seiner Familie in der Bundesrepublik Deutschland bereits einen mehrjährigen, gesicherten Aufenthalt innehatte, dass er selbst hier berufstätig ist, die Söhne fließend Deutsch sprechen und hier zur Schule gehen bzw. studieren. Alle diese Erwägungen haben ersichtlich in die Entscheidung des Bundesamts keinen Eingang gefunden.

Da der Widerruf somit bereits aus den genannten Gründen rechtswidrig ist, kommt es vorliegend auf die Frage, ob der Widerruf unverzüglich erfolgt ist, nicht mehr an. Es sei jedoch erwähnt, dass insofern die Divergenzrüge des Bundesbeauftragten berechtigt ist, denn bei dem Merkmal "unverzüglich" handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausschließlich um einen im öffentlichen Interesse liegenden Verfahrensgrundsatz, der bezwecken soll, dass eine dem anerkannten Asylberechtigten nicht mehr zustehende Rechtsposition alsbald beseitigt wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.06.1997 - 9 B 280.97 -). Der einzelne Ausländer als Adressat des Widerrufsbescheides kann dagegen aus dem Merkmal "unverzüglich" keine Rechte für sich herleiten, wenn das Bundesamt einen ansonsten berechtigten Widerruf nicht unverzüglich ausspricht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.02.1998 - 9 B 654/97 -). Diese Auffassung wird auch ansonsten einhellig geteilt (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 73 AsylVfG, Rdnr. 46 m.W.N.).