VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.01.2003 - A 9 S 397/00 - asyl.net: M3329
https://www.asyl.net/rsdb/M3329
Leitsatz:

1. Eritreische Volkszugehörige, die von einem Elternteil "eritreischer Abstammung" abstammen, sind gemäß Nr. 2 Abs. 1 und 2 der Eritrean Nationality Proclamation Nr. 21/1992 (Eritreische Staatsangehörigkeitsverordnung Nr. 21/1992) eritreische Staatsangehörige durch Geburt. Dies gilt auch dann, wenn sie im Zeitpunkt ihrer Ausreise - gegebenenfalls sogar seit Geburt - im heutigen Gebiet Äthiopiens gelebt haben.

2. Der von eritreischen Behörden geforderte Nachweis der eritreischen Abstammung steht dem Innehaben der Kraft Gesetzes erworbenen Staatsangehörigkeit nicht entgegen. Der auf Antrag erteilten Staatsangehörigkeitsbescheinigung gemäß Nr. 2 Abs. 4 der Verordnung kommt nur deklaratorische Bedeutung zu.

3. Die Teilnahme am Referendum und/oder der Besitz einer eritreischen ID-Card sind geeignet, den Nachweis der eritreischen Abstammung und damit der eritreischen Staatsangehörigkeit zu führen. Voraussetzung der eritreischen Staatsangehörigkeit sind sie nicht.(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Äthiopien, Eritrea, Eritreer, Staatsangehörigkeit, Abstammungsnachweis, Referendum, Flüchtlingsbegriff, Verfolgerstaat, Heimatstaat, Verfolgungssicherheit, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Extreme Gefahrenlage, Versorgungslage, Existenzminimum
Normen: AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG i.V.m. § 1 Abs. 1 AsylVfG noch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG oder des Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG.

Bei der Prüfung der Frage, auf welchen Staat als (potentiellen) Verfolgerstaat abzustellen ist, ist davon auszugehen, dass politische Verfolgung Missbrauch hoheitlicher Herrschaftsmacht durch Ausgrenzung Einzelner aus der übergreifenden Friedensordnung wegen unverfügbarer persönlicher Merkmale wie Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung ist. Da der Einzelne ohne den Schutz einer staatlichen Ordnung nicht menschenwürdig existieren kann, bietet ihm das Asylrecht im Falle seiner Verfolgung durch den Heimatstaat eine subsidiäre Zuflucht. Diese Sichtweise begrenzt zugleich den Schutzbereich des Asylgrundrechts aus Art. 16a Abs. 1 GG; sie gilt gleichermaßen für den asylrechtlichen Abschiebungsschutz nach § 51 AuslG und für den Begriff des Flüchtlings im Sinne des Art. 1 A und 33 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention). Schutzlos ist ein politisch Verfolgter aber nur, solange er anderweitig keinen wirksamen Schutz genießt. Ist sein Heimatstaat der Verfolger, beseitigt die Schutzgewährung durch einen Drittstaat die Schutzlosigkeit (vgl. § 27 AsylVfG). Verfolgt ihn sein - mit dem Staat seiner Staatsangehörigkeit nicht identischer - Aufenthaltsstaat, beseitigt die Schutzgewährung durch den Heimatstaat seine Schutzlosigkeit. Ein Asylanspruch besteht deshalb nicht, wenn ein Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Asylsuchende besitzt, bereit und fähig ist, diesen gegen Verfolgungsmaßnahmen eines anderen Staates zu schützen. Dieser für das Asylrecht nach dem Grundgesetz geltende Grundsatz der Subsidiarität liegt auch Art. 1 A Nr. 2 Abs. 1 Genfer Konvention zugrunde. Danach sind Personen, die eine Staatsangehörigkeit besitzen nur dann Flüchtlinge, wenn sie des Schutzes desjenigen Staates entbehren, dem sie angehören (vgl. BVerwG, Urteil vom 06.08.1996 - 9 C 172/95 -, BVerwGE 101, 328).

Bei Anlegung dieser Maßstäbe scheitert die Asylanerkennung daran, dass der Kläger die Staatsangehörigkeit Eritreas innehat und er dort vor politischer Verfolgung sicher ist.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Kläger angesichts seiner Abstammung von eritreischstämmigen Eltern aufgrund der Nr. 2 Abs. 1 bis 4 der Verordnung kraft Gesetzes die eritreische Staatsangehörigkeit erworben hat. Der Umstand, dass die eritreischen Behörden einen Nachweis der eritreischen Abstammung verlangen, steht dem Innehaben der Staatsangehörigkeit nicht entgegen. Insoweit ist zu unterscheiden zwischen dem Bestehen der eritreischen Staatsangehörigkeit und dessen Nachweis. Sollte dem Kläger dieser Nachweis nicht gelingen oder sollte er sich weigern, die Nachweise zu erbringen oder an deren Erbringung mitzuwirken, hätte dies allenfalls das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses (§ 55 Abs. 2 AuslG) zur Folge, wäre jedoch für einen Asylanspruch irrelevant. Anhaltspunkte dafür, dass die eritreischen Behörden an den Nachweis überzogene Anforderungen stellen würden, um so faktisch die Anerkennung der Staatsangehörigkeit zu vereiteln, bestehen nicht.

Der Kläger ist danach eritreischer Staatsangehöriger. Anhaltspunkte für eine vom eritreischen Staat ausgehende Verfolgung sind nicht ersichtlich. Offenbleiben kann, ob dem Kläger in Eritrea eine Einberufung zum Militärdienst drohen würde. Weder die Einberufung noch die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung stellen schlechthin eine politische Verfolgung dar.

Anhaltspunkte, dass in Eritrea bei einer Einberufung an asylerhebliche Merkmale angeknüpft würde, bestehen nicht.

Soweit der Kläger insbesondere unter Hinweis auf die Auskunft von amnesty international vom 28.02.2000 an das VG Köln in der Sache geltend macht, die eritreische Regierung dulde keinesfalls die Zugehörigkeit zu oppositionellen Gruppen bedarf dies ebenfalls keiner weiteren Überprüfung und Erörterung, da der Kläger nicht geltend macht, einer solchen eritreischen Oppositionsgruppe anzugehören. Vielmehr hat er im Klageverfahren Furcht vor einer Beobachtung durch den äthiopischen Geheimdienst wegen unterstellter exiloppositioneller Aktivitäten gegen Äthiopien geltend gemacht. Dies wie auch die befürchtete Deportation nach Eritrea wäre jedoch allein dem äthiopischen Staat zuzurechnen. Der Kläger kann mithin in Eritrea Sicherheit vor Verfolgung erlangen und ist daher auf die Gewährung politischen Asyls nicht angewiesen. Ihm ist die Rückkehr nach Eritrea möglich und zumutbar. Der von den eritreischen Behörden geforderte Nachweis der Abstammung lässt, wie bereits ausgeführt, nicht den Schluss auf eine fehlende Aufnahmebereitschaft Eritreas zu.

Schließlich kann sich der Kläger auch nicht auf § 53 Abs. 6 AuslG berufen.

Eine extreme Gefahrenlage kann im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (vgl. § 77 AsylVfG) nicht angenommen werden. Zwar hat der Konflikt mit Äthiopien im Jahr 2000 die Wirtschaft zum Erliegen gebracht. In Folge des Krieges gibt es noch weiträumig verminte Gebiete, deren Säuberung noch Jahre in Anspruch werden wird. Die Nahrungsmittelproduktion, die auch in Friedenszeiten nicht vollständig zur Ernährung der Bevölkerung ausreicht, ist durch eine Dürreperiode im Jahr 2000 fast völlig ausgefallen. Die internationale Gebergemeinschaft hat etwa 60 % der Bevölkerung als für Nahrungsmittelhilfe bezugsberechtigt identifiziert und entsprechend versorgt. Dadurch ist die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 15.10.2002, Stand September 2002). Allerdings berichten jüngste Meldungen - primär bezogen auf Äthiopien, jedoch auch Eritrea betreffend - von einer neuerlichen Dürre in der Region, die zusätzliche Hilfsmaßnahmen der internationalen Gebergemeinschaft erforderlich machen würden (vgl. etwa Frankfurter Rundschau v. 13.11.2002 "Auf den Albtraum folgt der Horror" und vom 14.11.2002 und Nürnberger Nachrichten vom 12.11.2002 "Nur Haut und Knochen"). Auch dem kann jedoch nicht entnommen werden, dass es derzeit derart gravierende Versorgungsmängel geben würde, die die Rückkehrer der Gefahr des Verhungerns aussetzen würde. Eine flächendeckende lebensbedrohliche Unterversorgung ist nicht ersichtlich, so dass eine Abschiebung gegenwärtig nicht "sehenden Auges in den sicheren Tod" erfolgen würde.