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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 21.11.2002 - V ZB 49/02 - asyl.net: M3240
https://www.asyl.net/rsdb/M3240
Leitsatz:

a) Die Aufenthaltsgestattung des unerlaubt aus einem sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereisten Ausländers setzt einen förmlichen Asylantrag voraus.

b) Ein Asylgesuch setzt mehr als die bloße Verwendung des Wortes "Asyl" voraus; hinzutreten müssen Erklärungen des Betroffenen oder sonstige tatsächliche Umstände, die erkennen lassen, daß er Schutz vor einer aus seiner Sicht gegebenen politischen Verfolgung sucht.(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Zurückschiebungshaft, Abschiebungshaft, Beschwerde, Sofortige Beschwerde, sofortige weitere Beschwerde, Feststellungsinteresse, Rechtsschutzinteresse, Rehabilitierungsinteresse, unerlaubte Einreise, Ausreisepflicht, Vollziehbarkeit, Aufenthaltsgestattung, Asylantrag, Asylgesuch, Drittstaatenregelung, Auslegung
Normen: AuslG § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; AuslG § 61 Abs. 1; AuslG § 61 Abs. 3; AsylVfG § 55 Abs. 1; AsylVfG § 13 Abs. 1; AsylVfG § 26a Abs. 2; AsylVfG § 55 Abs. 1 S. 3; AsylVfG § 14
Auszüge:

 

[...]

Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

1. Soweit das Landgericht die sofortige Beschwerde des Betroffenen mit Beschluß vom 25. Juni 2002 zurückgewiesen hat, ist die sofortige weitere Beschwerde gemäß §§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 2 FGG i. V. mit § 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG, § 3 Satz 2 FEVG statthaft. Sie wurde vom Betroffenen form- und fristgerecht eingelegt (§§ 29 Abs. 4, 21 Abs. 2, 22 Abs. 1 FGG). Zwar hat der Senat ein Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme verneint, wenn sich in einer Abschiebungshaftsache die Hauptsache durch Entlassung des Betroffenen aus der Haft erledigt hat (Senat, BGHZ 139, 254). Zwischenzeitlich hat jedoch das Bundesverfassungsgericht in diesen Fällen ein Feststellungsinteresse im Hinblick auf das bei Freiheitsentziehungen bestehende Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen anerkannt (BVerfG, Beschl. v. 5. Dezember 2001, NJW 2002, 2456). Dem ist das Landgericht in dem angefochtenen Beschluß zu Recht gefolgt.

2. In der Sache selbst hat die sofortige weitere Beschwerde keinen Erfolg, da die Anordnung der Sicherungshaft durch das Amtsgericht rechtmäßig war.

a) Nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V. mit § 61 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 AuslG ist ein Ausländer zur Sicherung der Zurückschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn er aufgrund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist. Ausweislich der Antragsschrift vom 23. April 2002 beabsichtigte die Ausländerbehörde der Antragstellerin, den Betroffenen nach Italien zurückzuschieben. Von dort aus war der Betroffene ohne die erforderliche Aufenthaltsgenehmigung (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AuslG) und ohne Paß und damit unerlaubt eingereist (§ 58 Abs. 1 AuslG). Er war deshalb gemäß § 42 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AuslG vollziehbar zur Ausreise verpflichtet. Durch die gegenüber der Polizei erfolgte Berufung auf "Asyl" hat der Betroffene keine Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erworben. Dabei kommt es entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht darauf an, ob die Erklärung des Betroffenen als Asylgesuch im Sinne von § 13 Abs. 1 AsylVfG zu verstehen ist. Da der Betroffene aus einem sicheren Drittstaat (§ 26 a Abs. 2 AsylVfG) unerlaubt eingereist war, setzte die Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG einen förmlichen Asylantrag im Sinne von § 14 AsylVfG voraus, den der Betroffene jedoch erst nach der Haftanordnung gestellt hat. Soweit das vorlegende Gericht annimmt, bereits das – formlose – Asylgesuch könne eine Aufenthaltsgestattung begründen, wenn die Stelle, der gegenüber es geäußert wird, zu seiner Aufnahme und Weiterleitung an die Bundesanstalt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge verpflichtet sei, findet dies in § 55 Abs. 1 AsylVfG keine Stütze. Die an das Asylgesuch anknüpfende Aufenthaltsgestattung nach Satz 1 dieser Vorschrift ist der wirksamen Asylantragstellung zeitlich vorgelagert, um den durch die verfassungsrechtliche Asylgarantie geforderten Abschiebungs- und Verfolgungsschutz effektiv zu gewährleisten (Marx, AsylVfG, 3. Aufl., § 55 Rdn. 4). Der aus einem sicheren Drittstaat unerlaubt eingereiste Ausländer genießt aber nach Art. 16 a Abs. 2 GG kein Asylrecht, so daß in diesen Fällen für eine Vorverlagerung des Aufenthaltsrechts keine Veranlassung besteht. Darüber hinaus schreibt das Asylverfahrensgesetz eine Weiterleitung nur für schriftliche Asylanträge vor, die bei der Ausländerbehörde eingereicht werden (§ 14 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG). Die Aufnahme eines mündlichen Antrags zur Niederschrift und dessen Weiterleitung, zumal durch die Polizei oder den Haftrichter, ist weder im Verwaltungsverfahrensgesetz noch im Asylverfahrensgesetz vorgesehen. Mündliche Anträge sind danach nur bei der Bundesanstalt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge möglich (Renner, a.a.O., § 14 Rdn. 5, 14; Marx, a.a.O., § 14 Rdn. 10). War dem Betroffenen damit der Aufenthalt im Bundesgebiet im Zeitpunkt der Haftanordnung – noch – nicht gestattet, dann bestehen an deren Rechtmäßigkeit keine Zweifel.

b) Unabhängig hiervon ist dem vorlegenden Gericht allerdings darin zuzustimmen, daß die Erklärung des Betroffenen gegenüber der Polizei nicht als Asylgesuch verstanden werden kann. Die vom Oberlandesgericht Köln vertretene Auffassung, allein die Verwendung des Wortes "Asyl" lasse darauf schließen, daß sich der Betroffene auf politische Gründe berufen wolle, verkennt, daß der Asylbegriff keinen vorgegebenen allgemeingültigen Inhalt hat, sondern als Rechtsbegriff der näheren Ausgestaltung durch den Gesetzgeber und die Rechtsprechung unterliegt. Es kann deshalb nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß derjenige, der diesen Begriff verwendet, ihn gerade in dem durch § 13 Abs. 1 AsylVfG festgelegten Sinn versteht. Denkbar ist weiterhin, daß dem jeweils Betroffenen die Bedeutung des Wortes "Asyl" überhaupt nicht bekannt ist (vgl. den der Entscheidung OVG Münster, NVwZ-RR 1989, 390 zugrundeliegenden Sachverhalt). Ein Asylgesuch setzt daher mehr als die bloße Verwendung des Wortes "Asyl" voraus (OVG Münster, a.a.O; Marx, a.a.O, § 13 Rdn. 3). Hiervon ist auch der Gesetzgeber ausgegangen (BT-Drucks. 9/875, S. 15). Hinzutreten müssen Erklärungen des Betroffenen, insbesondere eine kurze Begründung seines Asylbegehrens, oder sonstige tatsächliche Umstände, die erkennen lassen, daß der Betroffene Schutz vor einer aus seiner Sicht gegebenen politischen Verfolgung sucht (KG, FGPrax 1997, 116; Renner, a. a. O., § 13 AsylVfG, Rdn. 4 f; GK-AsylVfG, Stand: Juli 1998, § 13 Rdn. 38 f). Derartige Anhaltspunkte sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. [...]