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VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 09.10.2002 - 7 K 2494/01 - asyl.net: M3103
https://www.asyl.net/rsdb/M3103
Leitsatz:

Für die Einbürgerung ausreichende deutsche Sprachkenntnisse gem. § 86 Nr. 1 AuslG setzen nicht die Fähigkeit voraus, einen deutschsprachigen Text schreiben zu können; die Einbürgerungsbehörde muss selbst prüfen, ob ausreichende Sprachkenntnisse vorliegen, und kann sich nicht blind auf die Prüfung einer beauftragten Institution verlassen.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Afghanen, Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Sprachkenntnisse
Normen: AuslG § 85; AuslG § 86 Nr. 1; AuslG § 26 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
Auszüge:

 

Der Kläger hat einen Anspruch auf Einbürgerung in den Deutschen Staatsverband, so dass die beantragte Verpflichtung der Beklagten auszusprechen war.

Die Beklagte ist davon ausgegangen, dass einer Einbürgerung des Klägers allein der Ausschlussgrund des § 86 Nr. 1 AuslG entgegensteht. Diese Einschätzung wird vom Gericht nicht geteilt. Nach § 86 Nr. 1 AuslG ist ein Anspruch auf Einbürgerung ausgeschlossen, wenn der Einbürgerungsbewerber nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Ausreichende deutsche Sprachkenntnisse liegen stets vor, wenn der Einbürgerungsbewerber sich im täglichen Umgang sowohl mündlich als auch schriftlich ohne die Hilfe eines Dolmetschers/Übersetzers verständigen kann. Die mündliche Verständigung beinhaltet dabei das Sprechen und Verstehen der Sprache. Die Kenntnisse der Schriftsprache umfassen das Lesen, sowie das Verstehen und das Verfassen eines Textes. Die Fähigkeit, einen deutschsprachigen Text schreiben zu können, gehört jedoch nicht zu dem von § 86 Nr. 1 AuslG geforderten Mindeststandard "ausreichender" Kenntnisse der deutschen Sprache. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Der Ausschlussgrund nicht ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache in § 86 Nr. 1 AuslG ist durch das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (BGBI. I S. 1618, 1620) in die einbürgerungsrechtlichen Vorschriften des Ausländergesetzes eingefügt worden.

Zur Regelung des § 86 Nr. 1 AuslG n. F. wird in den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 14/533) aufgeführt:

"Ein Einbürgerungsanspruch ist zunächst ausgeschlossen, wenn der Einbürgerungsbewerber nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt (Abs. 1 Nr. 1). Insofern ist der zu § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 entwickelte Maßstab heranzuziehen. Eine Integration in die deutschen Lebensverhältnisse setzt Sprachkenntnisse voraus. Ohne die Fähigkeit, hiesige Medien zu verstehen und mit der deutschen Bevölkerung zu kommunizieren, ist eine Integration, wie auch die Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess, nicht möglich. Entsprechend der bisherigen Regelung in den §§ 85 ff. wird das Vorhandensein entsprechender Sprachkenntnisse grundsätzlich vermutet und nicht formell geprüft. Ist allerdings - etwa nach einem Gespräch mit dem Einbürgerungsbewerber - erkennbar, dass die zur gegenseitigen Verständigung unerlässlichen Sprachkenntnisse nicht vorliegen, wird die Einbürgerung versagt."

Soweit in den Gesetzesmaterialien hinsichtlich des Umfangs der deutschen Sprachkenntnisse auf den zu § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr.2 AuslG entwickelten Maßstab hingewiesen wird, ist festzustellen, dass sich hinsichtlich der ausländerrechtlichen Bestimmung des § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AuslG, der bei der Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis für die Fallgruppe der nachgezogenen Kinder verlangt, dass der Ausländer über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt, im Zeitpunkt des Ergehens des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung ein einheitlicher Maßstab entwickelt hatte.

Die Rechtsprechung hat sich, soweit ersichtlich, bislang noch nicht mit dem Umfang der von § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AuslG geforderten deutschen Sprachkenntnisse auseinandergesetzt.

Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 26 AuslG (Nr. 26.1.2.3 AuslG-VwV) vom 07.06.2000 (GMBI. S. 618) geht davon aus, dass ausreichende Deutschkenntnisse vorliegen, wenn anzunehmen sei, dass der Ausländer im täglichen Leben einschließlich der üblichen Kontakte mit Behörden keinen Dolmetscher benötigt. Es müssten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich der Ausländer in seiner deutschen Umgebung sprachlich ohne nennenswerte Probleme zurecht zu finden vermag und dass mit ihm ein seinem Bildungsstand entsprechendes Gespräch geführt werden kann. Schriftliche Deutschkenntnisse werden von dieser Verwaltungsvorschrift, die norminterpretierenden Charakter hat, nicht verlangt.

Die Beurteilung, ob ein Einbürgerungsbewerber über ausreichende deutsche Sprachkenntnisse verfügt, kann durch das Gericht erfolgen; der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es nicht (BVerwG, Beschluss vom 19.02.1997 - 9 B 590.96 -, zur Beurteilung deutscher Sprachkenntnisse im vertriebenenrechtlichen Verfahren).

Mit dem Kläger war, in der mündlichen Verhandlung eine ausreichende mündliche Verständigung in deutscher Sprache möglich. Der Kläger war imstande, die Fragen des Gerichts zu verstehen. Die von ihm gegebenen Antworten waren verständlich. Beim Kläger kommt hinzu, dass er mit seinen noch minderjährigen Kindern in der Familie deutsch spricht. Da er seit Jahren in Deutschland einer Arbeit nachgeht, kann auch davon ausgegangen werden, dass er im Alltag hinreichend mit der deutschen Bevölkerung kommunizieren kann. Was das Verständnis der hiesigen Medien anlangt, so ist zu berücksichtigen, dass von .einem Einbürgerungsbewerber nicht eine regelmäßige Lektüre von Zeitungen und Zeitschriften erwartet werden kann. Denn schließlich erfolgt auch bei der deutschen Bevölkerung die zur Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess in Bund und Ländern erforderliche Gewinnung von Informationen überwiegend über das Fernsehen und das Radio und nicht durch das Lesen von Zeitungen und Zeitschriften. Lediglich im kommunalen Bereich kommt der Zeitungslektüre für lokalpolitische Themen eine gewisse Bedeutung zu. Der Kläger war imstande in der mündlichen Verhandlung den ihm vorgelegten Zeitungsbericht zu lesen und auch Fragen des Gerichts zu dem Text zu beantworten.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung steht somit fest, dass der Kläger über ausreichende deutsche Sprachkenntnisse verfügt.

Soweit die Beklagte im vorliegenden Fall die Volkshochschule Stuttgart mit der Durchführung der Sprachprüfung beauftragt hat, erscheint es angezeigt, auf Folgendes hinzuweisen: Der Einbürgerungsbehörde steht es zwar frei, einen Dritten mit der Durchführung von Sprachprüfungen zu beauftragen. Dies enthebt jedoch die Einbürgerungsbehörde im Einzelfall nicht von der eigenen Prüfung, ob beim Einbürgerungsbewerber ausreichende deutsche Sprachkenntnisse vorliegen. Die bei den Behördenakten befindlichen Beurteilungsbögen "Test Deutsch" vom (...) und vom (...) enthalten bei den einzelnen Aufgaben lediglich die erreichte Punktzahl, nicht hingegen die Aufgaben, die der Kläger bei den Prüfungen jeweils zu bewältigen hatte. Dies wäre für eine sachgerechte Beurteilung durch die Einbürgerungsbehörde jedoch notwendig gewesen. Im vorliegenden Fall wäre eine eigene Beurteilung der Deutschkenntnisse des Klägers durch die Beklagte oder die Einschaltung einer anderen sachverständigen Stelle erforderlich gewesen, da die vorliegenden Beurteilungen der Deutschkenntnisse durch die Volkshochschule Stuttgart vom (...) und vom (...) erheblich voneinander abweichen.