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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 04.10.2002 - 1 B 224.02 - asyl.net: M3071
https://www.asyl.net/rsdb/M3071
Leitsatz:

Zu den Anforderungen an eine Sachaufklärungsrüge gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Äthiopien, Revisionsverfahren, Nichtzulassungsbeschwerde, Revisionsgründe, Divergenzrüge, Verfahrensmangel, Rechtliches Gehör, Vereinfachtes Berufungsverfahren, Persönliche Anhörung, Glaubwürdigkeit, Wahrunterstellung, Überraschungsentscheidung, Sachaufklärungspflicht, Beweisantrag, Ablehnung, Darlegungserfordernis
Normen: VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 2; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3; VwGO § 130a; VwGO § 86 Abs. 1; VwGO § 108 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1
Auszüge:

Die auf Divergenz und Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 2, 3 VwGO ) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Die Beschwerde rügt als verfahrensfehlerhaft, das Berufungsgericht habe ohne Anhörung der Klägerin in einer mündlichen Verhandlung entschieden und damit das Gebot des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Sie legt allerdings nicht dar, inwiefern das in § 130 a VwGO ausdrücklich vorgesehene Verfahren einer Entscheidung des Berufungsgerichts ohne persönliche Anhörung der Klägerin hier fehlerhaft gewesen sein soll.

Sie zieht dabei nicht in Zweifel, dass das Berufungsgericht die Klägerin zu dem beabsichtigten Verfahren nach § 130 a VwGO angehört hat. Ob das Berufungsgericht den ihm nach § 130 a VwGO eröffneten Weg der Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Dieses ist nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar (stRspr, etwa Beschluss vom 10. April 1992 - BVerwG 9 B 142.91 - Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 5). Anhaltspunkte für derartige Ermessensfehler lassen sich der Beschwerde nicht entnehmen. Sie macht zwar geltend, das Berufungsgericht habe eine Glaubwürdigkeitsbeurteilung vorgenommen, ohne sich einen persönlichen Eindruck von der Klägerin zu machen. Die von der Beschwerde zur Erläuterung dieser Rüge herangezogenen Urteilspassagen enthalten jedoch keine Glaubwürdigkeitsbeurteilung. Vielmehr nimmt das Berufungsgericht eine Würdigung des klägerischen Vortrags zur exilpolitischen Betätigung vor. Ob dies eine zutreffende Würdigung des Vortrags darstellt, kann dahinstehen. Denn der angefochtene Beschluss unterstellt in einer selbsttragenden Begründung als wahr, dass das exilpolitische Engagement der Klägerin andauert und den Behörden ihres Heimatstaates bekannt ist. Auch auf der Grundlage dieser Wahrunterstellupg hat das Berufungsgericht eine Gefährdung der Klägerin bei einer Rückkehr nach Äthiopien nicht für wahrscheinlich gehalten. Eine solche Gefährdung ist für das Gericht unter Würdigung der Auskunftslage nur hinreichend wahrscheinlich, wenn prominente Oppositionspolitiker aus dem Exil zurückkehren. Bei der Klägerin, die nach ihrem eigenen Vortrag keine hervorgehobene Stellung innerhalb der Exilorganisation einnehme, sei dies nicht der Fall. Weshalb das Berufungsgericht ausgehend von dieser Würdigung der Sach- und Rechtslage nicht ohne mündliche Verhandlung und persönliche Anhörung der Klägerin hätte entscheiden dürfen, zeigt die Beschwerde nicht auf.

Dass die Würdigung des klägerischen Vortrags zum eigenen exilpolitischen Engagement eine Überraschungsentscheidung darstellen soll, wird nicht entsprechend den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO aufgezeigt.

Angesichts des Inhalts der Erkenntnismittelliste, insbesondere der Lageeinschätzung des Auswärtigen Amtes, musste die Klägerin mit einer Bewertung der Verfolgungsgefahr durch das Berufungsgericht rechnen, wie sie im vorliegenden Fall verfahrensfehlerfrei erfolgt ist. Im Übrigen verkennt die Beschwerde, dass das Berufungsgericht, anders etwa als in den Fällen des § 86 Abs. 2 VwGO, im Verfahren nach § 130 a VwGO nicht verpflichtet ist, die ihm obliegende abschließende Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorab den Beteiligten mitzuteilen und mit ihnen zu erörtern (stRspr, vgl. Beschluss vom 21. Januar 2000 - BVerwG 9 B 614.99 - Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 46 m.w.N.).

Ohne Erfolg rügt die Beschwerde auch einen Verstoß des Berufungsgerichts gegen die gerichtliche Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO), weil es die Konsequenzen einer Rückkehr der Klägerin nach Äthiopien nicht "durch Auskünfte" aufgeklärt habe, die über die in der Erkenntnismittelliste enthaltenen Quellen hinausgehen.

Eine den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügende Sachaufklärungsrüge verlangt die substantiierte Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Autklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist, oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (Beschluss vom 19. August l997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO n.F. Nr. 26 = NJW 1997, 3328). Diesen Anforderungen wird die Beschwerde in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Sie legt schon nicht dar, welche zusätzlichen in der Erkenntnismittelliste nicht enthaltenen Auskunftsquellen das Gericht hätte nutzen sollen und weshalb und inwieweit sich aus diesen Quellen bessere und weitergehende Erkenntnisse über die Rückkehrgefährdung der Klägerin hätten ergeben können.

Das Berufungsgericht durfte auch ohne Verfahrensverstoß davon absehen, den Ehemann der Klägerin zu deren "exilpolitischen Aktivitäten" als Zeugen zu vernehmen. Weder hat die Klägerin einen entsprechenden Beweisantrag in zweiter Instanz gestellt noch hatte sich das gerichtliche Ermessen zu einer Verpflichtung zur Beweiserhebung konkretisiert. Das Berufungsgericht hat das exilpolitische Engagement der Klägerin - soweit von ihr substantiiert dargelegt - als wahr unterstellt, ohne dass dies nach seiner Auffassung zur Bejahung einer Verfolgungsgefahr für sie führte. Es durfte daher verfahrensfehlerfrei davon ausgehen, dass sich aus den Bekundungen des Zeugen keine weiterreichenden Erkenntnisse ergeben würden.

Die weitere Rüge der Beschwerde, das angefochtene Urteil sei willkürlich und verletze das rechtliche Gehör der Klägerin (Art. 103 Abs. 1 GG), genügt auch nicht ansatzweise den gesetzlichen Anforderungen an die Darlegung der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.

Vielmehr werden Versatzstücke allgemein formulierter Verfahrensrügen aneinander gereiht, ohne konkret ihre Verletzung im vorliegenden Fall aufzuzeigen.

Die Beschwerde erhebt schließlich den Vorwurf, das Berufungsgericht habe die Gefahrenprognose für eine Rückkehr der Klägerin nach Äthiopien aufgrund einer unvollständigen Sachverhaltsfeststellung getroffen. Sie macht damit der Sache nach eine Aufklärungsrüge geltend. Der behauptete Verfahrensverstoß liegt indes nicht vor. Es stellt keine lückenhafte Sachverhaltsfeststellung dar, wenn das Berufungsurteil im vorliegenden Fall keine Aussage darüber trifft, ob nach Äthiopien zurückkehrende langjährige EPRP-Mitglieder und Asylbewerber an der staatlichen Lebensmittelversorgung oder anderen Fürsorgeleistungen teilhaben. Zu derartigen Feststellungen bestand aufgrund der von der Klägerin nicht angegriffenen Sachverhaltswürdigung, dass in Äthiopien ein soziales Sicherungssystem fehle, kein Anlass. Das Berufungsgericht hat Anhaltspunkte für eine extreme Gefahrenlage im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG für die Klägerin vielmehr im Hinblick auf ihre Möglichkeit zum Ergreifen einer Berufstätigkeit verneint. Soweit das Gericht darüber hinaus auf Unterstützungsmöglichkeiten durch die Familie der Klägerin verweist, stellt es dies nur als weitere Möglichkeit dar. Von Sachverhaltsfeststellungen oder Beweiserhebungen hierzu durfte das Gericht daher absehen.