VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 07.11.2002 - A 12 S 907/00 - asyl.net: M3016
https://www.asyl.net/rsdb/M3016
Leitsatz:

Zur Behandelbarkeit von Hepatitis und posttraumatischer Belastungsstörung in der Türkei und zum Zugang zur Behandlung bei Bedürftigkeit (Amtlicher Leitsatz)

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Schlagwörter: Türkei, Kurden, Gruppenverfolgung, Interne Fluchtalternative, Existenzminimum, Verfolgungssicherheit, PKK, Sympathisanten, Familienangehörige, Verhör, Folter, Sippenhaft, Vorverfolgung, Glaubwürdigkeit, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Kurdischer Kulturverein, Demonstrationen, Situation bei Rückkehr, Grenzkontrollen, Wehrpflicht, Wehrdienstentziehung, Strafverfolgung, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, Hepatitis, Lebertransplantation, Psychische Erkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung, Traumatisierte Flüchtlinge, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Grüne Karte, yesil kart, Stiftung für Sozialhilfe und Solidarität, Soziale Bindungen
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

 

Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter noch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Er hat auch keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG.

Der Kläger unterlag keiner landesweiten Vorverfolgung bis zur Ausreise. Er war bis zu seiner Ausreise, die nach seinen Angaben am 09.10.1995 erfolgt ist, keiner staatlichen gruppengerichteten Verfolgung ausgesetzt. Kurden hatten und haben allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit keine politische Verfolgung zu befürchten.

Der Kläger war in der Heimat vor der Ausreise aus der Türkei auch nicht von landesweiter individueller politischer Verfolgung betroffen oder bedroht.

Allerdings hat der Kläger glaubhaft ihn persönlich betreffende Umstände geschildert, aus denen sich ergibt, dass er im Jahr seiner Ausreise an seinem Heimatort und an seinem Aufenthaltsort Adana von unmittelbar bevorstehender politischer Verfolgung bedroht war. Der Senat hält für erwiesen, dass er (...) Guerillakämpfer in ihrem Versteck in der Nähe des Heimatdorfes über mehrere Monate mit Versorgungsgütern beliefert hat, dies von einem der Kämpfer, der bei einem Feuergefecht verwundet und gefangen genommen worden war, preisgegeben worden ist, bei der Fahndung nach dem Kläger zunächst sein Vater und später seine beiden älteren Brüder festgenommen und teils schwer misshandelt worden sind, weil sie im Verhör seinen Aufenthaltsort nicht genannt hatten, und er beide Male nur durch Zufall dem Zugriff der Sicherheitskräfte entgangen ist. Diese Schilderung ist jedenfalls in ihrem Kern glaubhaft.

Jedoch war der Kläger nicht landesweit einer eine Vorverfolgung begründenden unmittelbar drohenden Verfolgung ausgesetzt. Denn ihm war eine inländische Fluchtalternative eröffnet, an der er vor politischer Verfolgung nicht nur mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, sondern im Sinne des sog. herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs sogar hinreichend sicher war und ihm auch keine sonstigen Nachteile und Gefahren drohten, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung gleichkamen und am Herkunftsort so nicht bestanden.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass kurdischen Volkszugehörigen in der westlichen Türkei, insbesondere in den dortigen Großstädten, eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht (siehe die vorab mitgeteilten Senatsurteile, insbesondere die Urteile vom 22.07.1999 - A 12 S 1891/97 - und vom 13.09.2000 - A 12 S 2112/99 -, sowie zuletzt das Urteil vom 07.05.2002 - A 12 S 196/00 -).

Konkrete Anhaltspunkte, dass dem Kläger in der Westtürkei Maßnahmen der türkischen Sicherheitskräfte drohten, sind weder vorgetragen noch sonst erkennbar. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass gegen ihn ein konkreter Verdacht bestand, der geeignet gewesen wäre, ihn nicht lediglich auf lokaler Ebene in Schwierigkeiten zu bringen, sondern zur Aufnahme in eine landesweite Fahndungsliste geführt hätte. Der Annahme einer nur lokalen Nachstellung bei hinreichender Sicherheit im Westen der Türkei steht nicht entgegen, dass nach seinem Ortswechsel nach (...) Sicherheitskräfte dort nach ihm gefahndet haben.

Schon das Verwaltungsgericht hat auf den Umstand hingewiesen, dass der Kläger von weiteren Vorfällen wie den vor dem Bundesamt geschilderten, also den unter Misshandlungen durchgeführten Verhören seines Vaters, seiner beiden Brüder und seiner Verlobten, von keinen weiteren ihn persönlich betreffenden Vorfällen in seiner Heimat gehört hat, obwohl er in telefonischem Kontakt zu seinen Familienangehörigen stand. Dieser Feststellung ist er im Berufungsverfahren nicht entgegengetreten, und er hat zudem nichts von anderen, späteren Fahndungsmaßnahmen berichtet, auch nicht im Zusammenhang mit der von ihm im Zusammenhang mit der Einrichtung einer neuen Militärwache in seinem Heimatdorf erwähnten, ganz allgemeinen "Verschärfung der Situation". Auch die besondere Aufmerksamkeit, die die Polizei in (...) nach seiner Ausreise der Gaststätte seiner Brüder gewidmet und die zum Ausbleiben der Gäste und deshalb zur Schließung im Jahre (...) geführt hat, galt nach seiner Darstellung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht ihm selbst, der Druck wurde vielmehr ausgeübt, weil die Gaststätte generell verdächtigt wurde, Treffpunkt von Staatsfeinden zu sein. Dieses baldige Ende des Fahndungsdrucks auf den Kläger und das Ausbleiben weiterer Fahndungsmaßnahmen zeigen, dass das Interesse der Sicherheitskräfte, seiner habhaft zu werden, alsbald erloschen sein muss. Denn anders ist es nicht erklärlich, dass nicht einmal die örtlichen Sicherheitskräfte bei seinen Verwandten im Heimatdorf nach ihm gefragt haben, obwohl es zum Alltag in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei gehört hat, sich nach männlichen Personen, die sich nicht mehr im Ort aufhalten, auch dann zu erkundigen, wenn gegen sie nichts vorlag (z.B. Senatsurteil vom 17.07.2001 - A 12 S 199/00 -), und dass auch die Brüder in (...) nicht nochmals seinetwegen behelligt worden sind. Wäre der Kläger mit Haftbefehl oder sonst auf Grund einer landesweiten Fahndungsliste gesucht worden, wäre es unverständlich, dass die Polizei in (...) ihren Festnahmeversuch nicht wiederholt hat, obwohl sie nach wie vor konkrete Hinweise auf seinen möglichen Aufenthaltsort besaß.

Auch im Hinblick auf das Vorliegen der wirtschaftlichen Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative bestehen für den Senat keine Zweifel. Durchgreifende Bedenken ergeben sich insoweit nicht daraus, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Ausreise erst (...) Jahre alt gewesen ist. Denn es ist auch für Minderjährige fortgeschrittenen Alters nicht von vornherein ausgeschlossen, sich ihr Existenzminimum durch eigene Erwerbstätigkeit sicherzustellen (vgl. Senatsurteile vom 22.07.1999 - A 12 S 1891/97 - und vom 17.07.2001 - A 12 S 199/00 -). Nahegelegen hätte auch die Möglichkeit der Unterstützung durch die Familie, etwa die beiden älteren, ein Restaurant mit mehreren Angestellten führenden Brüder, sowie die jedenfalls grundsätzlich nicht auszuschließende Möglichkeit der Unterstützung durch soziale Hilfseinrichtungen (Senatsurteile vom 22.07.1999 und vom 17.07.2001, a.a.O.). Vor allem hätte der Kläger die für die Schlepperhilfe aufgewendeten 12.000,-- DM auch dafür verwenden können, sich - jedenfalls vorübergehend - im Westen der Türkei eine Existenz aufzubauen.

Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vom Kläger in substantiierter Weise vorgetragen worden, dass ihm zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus derTürkeiVerfolgungsmaßnahmen im Sinne einer Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit unmittelbar bevorstanden.

Politische Verfolgung hat der sonach unverfolgt ausgereiste Kläger auch bei seiner Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu fürchten. Es liegen weder objektive noch subjektive - asylrechtlich oder im Rahmen des § 51 Abs. 1 AuslG relevante - Nachfluchtgründe vor.

Als objektiver Nachfluchtgrund kann eine unmittelbare oder mittelbare staatliche Verfolgung des Klägers allein wegen kurdischer Volkszugehörigkeit nicht festgestellt werden. Im Übrigen steht nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kurdischen Volkszugehörigen in der westlichen Türkei, insbesondere in den dortigen Großstädten, gegenwärtig und auf absehbare Zeit eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung.

Es kann nach wie vor nicht festgestellt werden, dass die Zuwanderer am Ort der Fluchtalternative ein Leben erwartet, das zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tode führt. Der Senat hat schon im Urteil vom 22.07.1999, a.a.O., bemerkt, es sei nicht anzunehmen, dass es in der

internationalen Presse keine Resonanz fände, wenn Angehörige der nach Millionen zählenden kurdisch-stämmigen Bevölkerung in der Westtürkei (vgl. dazu auch Lagebericht vom 09.10.2002, S. 11) in größerer Zahl dort nicht ihr Existenzminimum sichern könnten. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dies nunmehr der Fall sein könnte, lassen sich jedoch weder den vorliegenden Erkenntnisquellen (vgl. ai, 07.10.1999 an VG Frankfurt a.M.; Oberdiek, 23.06.1999 an VG Schleswig und 27.04.2000 an OVG Hamburg; Taylan, 13.05.2000 an OVG Hamburg; Kaya, 13.07.1999 an VG Schleswig, 29.04.2000 an OVG Hamburg; Auswärtiges Amt, 06.08.1999 an VG Schleswig und 05.06.2000 an OVG Hamburg; Rumpf, 17.01.2002 an VG Schleswig) noch den dem Senat bekannten neuesten Presseberichten entnehmen. Unabhängig davon ist auch die Annahme weiterhin nicht gerechtfertigt, dass Kurden aus der Südosttürkei nach einer Übersiedelung in die Westtürkei wirtschaftlichen Nachteilen ausgesetzt sind, die in ihrer Heimatregion so nicht bestünden.

Bei der Rückkehr in die Türkei droht dem Kläger auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit individuelle politische Verfolgung. Zurückkehrende kurdische Asylbewerber sind grundsätzlich, sofern in ihrer Person keine Besonderheiten vorliegen, bei ihrer Einreise in die Türkei sogar hinreichend sicher davor, an der Grenze oder auf dem Flughafen asylrelevanten staatlichen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein. Besonderheiten lassen sich im Falle des Klägers nicht feststellen.

Der Senat hält an seiner bisherigen Überzeugung fest, dass - unabhängig von den Problemen einer verlässlichen Feststellung der berichteten Geschehnisse und des Vorliegens der diese möglicherweise maßgeblich erst auslösenden besonderen Umstände - die Zahl der Fälle, bei denen aus Deutschland in die Türkei zurückkehrende Personen einer über die Routinebefragung hinausgehenden Behandlung durch Sicherheitskräfte unterzogen worden sind, angesichts der hohen Zahl der Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber nicht den Schluss auf eine beachtliche Rückkehrgefährdung kurdischer Asylbewerber zulässt.

 

Einer Abschiebung des Klägers steht auch § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht entgegen.

Der Kläger leidet nach den vorgelegten ärztlichen Berichten und Bescheinigungen an einer erstmals 1999 diagnostizierten (Virus-) Hepatitis D, die mit einer medikamentösen Therapie durch hochdosiertes Interferon-a wegen extremer Nebenwirkungen nicht beeinflusst werden konnte; die Erkrankung ist mittlerweile chronifiziert (zuletzt: Bericht von Prof. Dr. R. vom 23.10.2002). Er macht ferner geltend, auch an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zu leiden. Er hat dazu zuletzt eine gutachterliche Stellungnahme des ihn behandelnden Facharztes und Psychotherapeuten (...) vorgelegt, die dieser unter demselben Datum ergänzt hat, nachdem er die Übersetzung eines vom Kläger am (...) ausgefüllten standardisierten Testfragebogens (PSS nach Foa, 1993) erhalten hatte. Die genannten ärztlichen Äußerungen, die nicht als förmliche Beweismittel, sondern als schlichtes Parteivorbringen zu würdigen sind (BVerwG, Beschluss vom 21.09.1994, Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 46), ergeben indessen kein - im vorliegenden Asylverfahren allein zu berücksichtigendes - zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis.

Die viralen Hepatitiden können nach den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln in mehreren Städten der Türkei mit identischen Methoden wie in Deutschland diagnostiziert sowie medikamentös und chirurgisch behandelt werden, einschließlich Interferon-Therapie und Lebertransplantation; bei chronischer Hepatitis, die keiner Dauerbehandlung, sondern nur regelmäßiger Kontrolluntersuchungen bedarf, können diese ebenfalls durchgeführt werden (Deutsche Botschaft Ankara vom 12.03.1997, Asylis-Nr. TUROO030317, vom 18.02.1999, Asylis-Nr. TUROO030361, vom 16.03.1999, Asylis-Nr. TUROO040658, vom 18.03.1999, Asylis-Nr. TUROO033916 und vom 06.10.1999, Asylis-Nr. TUROO033880). Da die Interferon-Therapie von den Ärzten des Klägers offenbar als die einzige Erfolg versprechende medikamentöse Behandlung angesehen, aber bereits im August (...) nach nur (...) Monaten abgebrochen wurde und seither keine Therapie stattgefunden hat, weil die therapeutischen Möglichkeiten gegen die einer Therapie nur schwer zugängliche Krankheit weitgehend ausgereizt waren, befindet sich der Kläger in einem Stadium, in dem der Krankheitsverlauf lediglich zu beobachten ist (siehe zum Vorstehenden den Bericht des (...) ; zur schlechten Prognose trotz Therapie mit Interferon-a: Psychrembel, Klinisches Wörterbuch, 258. Aufl., Stichwort "Hepatitis, chronische").

Unabhängig hiervon ist eine Verschlechterung nicht alsbald nach Rückkehr und damit nicht konkret zu erwarten. Schon der genannte Bericht vom (...)

sprach von geringer Progredienz der Erkrankung. Der Kläger ist voll erwerbstätig. Der Bericht vom (...) nennt für den Übergang in eine Zirrhose und die Konsequenz, dass dann eine Lebertransplantation unausweichlich wird, einen Zeithorizont von (...) Jahren. Gegen eine Gesundheitsgefahr, die derart unbestimmt ist und sich möglicherweise erst weit in der Zukunft realisieren wird, schützt § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht. Dass demnächst ein weiterer Versuch mit einer Interferon-Therapie ansteht, der bei einer erzwungenen Ausreise des Klägers so nicht stattfinden kann, ist unter dem Gesichtspunkt, dass diese Bestimmung nur gegen eine erhebliche und konkrete Gesundheitsverschlechterung schützt, was ein Recht auf Ermöglichung eines Aufenthalts zum Zwecke der Heilung oder Linderung von Krankheiten nicht einschließt, rechtlich unerheblich.

(...) führt die PTBS des Klägers darauf zurück, dass dieser im Alter von (...) Jahren Zeuge von schweren Misshandlungen naher Angehöriger (Vater, Onkel) und anderer Personen geworden ist (zur Traumatisierung durch Beobachtung gewalttätiger Angriffe auf Andere: Behandlungszentrum für Folteropfer Ulm, 26.11.1999 an VG Sigmaringen), und erläutert, dass Traumata, die in diesem Alter erlitten werden, besonders langwierig und schwer behandelbar sind. Als einschlägige Symptome (vgl. Psychrembel, a.a.O. und Behandlungszentrum für Folteropfer Ulm, a.a.O.) nennt er (...). Nachdem er zunächst eine "sehr schwere Störung" diagnostiziert hatte (..), beurteilt er sie in der Ergänzung (...) nach Auswertung des Fragebogens wesentlich günstiger: Die Symptomatik sei "massiv zurückgegangen", wenn er auch den jetzigen Zustand als "noch bemerkenswert" bezeichnet. Diese günstige Beurteilung wird auch durch objektive Umstände mitgetragen und unterstrichen.

Aufgrund dessen liegt die Mutmaßung nicht fern, die Traumatisierungsfolgen könnten so weit behoben sein, dass der Kläger eine weitere Behandlung nicht mehr unbedingt benötigt, oder jedenfalls nicht mehr in Form der aufwändigen psychotherapeutischen Zuwendung. So könnte etwa eine medikamentöse Therapie, unter Umständen auch nur als Krisenintervention (hierzu Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs usw. <IPPNW>, 11.11.2001 an VG Stuttgart), als ausreichend anzusehen sein, um eine erhebliche Gesundheitseinbuße im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu verhindern. Eine solche Behandlungsmöglichkeit steht auch in der Türkei nach den einschlägigen Erkenntnismitteln problemlos zur Verfügung. Das bedarf freilich keiner Vertiefung, weil dem Senat die Sachkunde fehlt, um zu beurteilen, ob der Kläger noch therapiebedürftig ist und welcher Therapie er gegebenenfalls noch bedarf. Denn jedenfalls ist auch eine psychotherapeutische Behandlung zumindest in der extensiven Form, die er in Deutschland gegenwärtig nur noch erfährt und offenbar auch nur noch benötigt, in der Türkei in Anbetracht der dortigen Verhältnisse ebenfalls - und sogar kostenlos - möglich. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts können alle großen Krankenhäuser in der Türkei mit einer psychiatrischen Abteilung grundsätzlich die Behandlung der PTBS durchführen. Auch wenn es bei der therapeutischen Weiterbehandlung von aus Westeuropa zurückkehrenden Patienten aufgrund unterschiedlicher Behandlungskonzepte Probleme, auch gravierende, geben kann, zählen doch zu den Behandlungskonzepten, wie in Westeuropa üblich, u.a. die Psychotherapie mit Relaxationstraining, Atemtraining, Förderung des positiven Denkens und Selbstgespräche, kognitive Therapie und Spieltherapie sowie daneben Medikationen wie Antidepressiva und Benzodiazepine (= Tranquilizer; Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 09.10.2002, Anlage, S. 3 f.). Darüber hinaus bietet die türkische Menschenrechtsstiftung TIHV in ihren fünf Behandlungs- und Rehabilitationszentren in Istanbul, Ankara, Izmir, Adana und Diyarbakir Folteropfern und ihren Verwandten medizinische und psychologische Behandlung durch Ärzte, Psychiater und Sozialarbeiter; die Behandlung ist kostenlos, weil die Zentren sich aus Spenden finanzieren, u.a. von der Europäischen Union, den Vereinten Nationen und dem Schwedischen Roten Kreuz (Lagebericht vom 09.10.2002, S. 13; IPPNW, 11.11.2001 an VG Stuttgart; Internet-Seite des International Rehabilitation Council for Torture Victims - IRCT -, Länderseite Türkei, Stand 06.11.2002, in englischer Sprache). Trotz der Probleme, die den Behandlungszentren von staatlicher Seite bereitet wurden (Lagebericht vom 09.10.2002, S. 24; IPPNW a.a.O.), haben sie eine beachtliche Zahl von Patienten behandelt.

Im vorliegenden Verfahren besteht auch kein Anspruch nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG im Hinblick auf die von Dr. S. diagnostizierte, auch durch die Hepatitiserkrankung und die Furcht davor, dass sie in der Türkei nicht behandelt würde, mitbewirkte Depression und die von ihm angedeutete Suizidalität. Denn in der Stellungnahme stellt er eine Belastung durch die "Drohung einer erzwungenen Abschiebung" und eine "massive Angst vor einer erzwungenen Rückkehr" fest, die für den Kläger eine "große Katastrophe" wäre, deren Folgen der Arzt sich nicht ausmalen mag. Ob diese Aussagen, die noch ohne Berücksichtigung des günstigen Ergebnisses des Fragebogentests gemacht wurden, weiterhin berechtigt sind und ob sie überhaupt auf das erforderliche Maß der Gefährdung hinauslaufen, kann auf sich beruhen. Denn die angesprochene Gesundheits- und Lebensgefährdung würde bereits auf Grund der Abschiebung als solcher und nicht erst wegen der spezifischen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung eintreten. Daher macht der Kläger insoweit kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis geltend, das allein das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu prüfen hat, sondern ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, über dessen Vorliegen ausschließlich die Ausländerbehörde zu befinden hat (zur Unterscheidung und zur gespaltenen Behördenzuständigkeit siehe BVerwG, Urteil vom 11.11.1997, BVerwGE 105, 322, 324 ff., Urteil vom 25.11.1997, BVerwGE 105, 383, 384 ff. und Urteil vom 21.09.1999, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 21; speziell zur PTBS als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.05.2001 - 11 S 389/01 -, InfAuslR 2001, 384).

Ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG liegt auch nicht im Hinblick auf den Vortrag des Klägers vor, mangels ausreichender Eigenmittel keine Aussicht auf Zugang zur Behandlung seiner Krankheiten in der Türkei zu haben. Die Frage, ob das Fehlen von Mitteln zur Aufbringung von Behandlungskosten nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu beurteilen ist, wird kontrovers beantwortet und ist höchstrichterlich noch nicht entschieden, sie kann aber auf sich beruhen. Denn die Gefahr, aus diesem Grund, unbehandelt zu bleiben, besteht für den Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Entsprechend dem Schutzbereich des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG sind allein diejenigen Kosten in Betracht zu ziehen, die für die Kontrolle der Hepatitis und für die Therapie der PTBS anfallen, und die letzteren nur, soweit sie von der kostenlosen Behandlung in einem der Behandlungszentren für Folteropfer nicht umfasst wären oder die Behandlung aus sonstigen Gründen, etwa zur schnellen Krisenintervention, durch andere Stellen erforderlich werden sollte.

Erwerbstätige und ihre Familienangehörigen sind in der Türkei bei der staatlichen Krankenversicherung versichert und werden in den staatlichen Krankenhäusern unentgeltlich behandelt. Nicht erwerbstätige Bedürftige haben Anspruch auf Ausstellung einer Grünen Karte ("yesil kart"), die zu kostenloser medizinischer Versorgung im staatlichen Gesundheitssystem berechtigt (Lagebericht vom 09.10.2002, S. 49). Die Grüne Karte wird von der für den Wohnort des Antragstellers zuständigen Behörde ausgestellt, nachdem zuvor die Anspruchsvoraussetzungen geprüft worden sind (Art. 6 - 8 des Gesetzes 3816 vom 18.06.1992, wiedergegeben in: Auswärtiges Amt, 01.12.2000 an VG Mainz). Zu den Anspruchsvoraussetzungen gehört auch ein Wohnsitz am jeweiligen Ort (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 09.10.2002, S. 49) und möglicherweise die Vorlage einer Wohnsitzbescheinigung (vgl. Auswärtiges Amt, 21.04.1998 an VG Gelsenkirchen). Jedoch bedarf es zur förmlichen Begründung eines neuen Wohnsitzes keiner persönlichen Abmeldung am Ort eines früheren Wohnsitzes. Eine Ummeldung wird vielmehr bei der für den neuen Wohnsitz zuständigen Behörde beantragt, die ihrerseits erforderlichenfalls mit der Behörde des alten Wohnsitzes Verbindung aufnimmt (Auswärtiges Amt, 27.06.1997 an VG Regensburg, 21.04.1998 an VG Gelsenkirchen, 16.03.2000 an VG Würzburg). Der Betroffene ist daher nicht genötigt, allein zur Erlangung der Grünen Karte den Heimatort, an dem ihm möglicherweise Verfolgung droht, aufzusuchen und Kontakt zu den dortigen Behörden aufzunehmen (so auch bereits Senatsurteil vom 09.04.2001 - A 12 S 769/99 -). Ist der Betroffene akut erkrankt, ist auch in der Zeit zwischen Antragstellung und Erteilung der Grünen Karte eine Sofortbehandlung möglich (Lagebericht vom 09.10.2002, S. 49). Auch wenn von Problemen bei Erteilung der Grünen Karte und der Gewährung kostenloser Behandlung berichtet wird (Oberdiek, 27.04.2000, Kaya, 29.04.2000 und Taylan, 13.05.2000, jeweils an OVG Hamburg; IPPNW, 11.11.2001 an VG Stuttgart), ist die damit einhergehende Gefährdung nicht beachtlich wahrscheinlich. Zu berücksichtigen ist, dass in Notlagen auch der Förderfonds für Sozialhilfe und Solidarität (Sosyal Yardimlasma ve Dayanismayi Tesvik Fonu) vorübergehende Hilfe leistet, der auch Kosten von Medikamenten für chronisch Kranke übernimmt (Auswärtiges Amt, 05.06.2000 an OVG Hamburg; Lagebericht vom 09.10.2002, S. 48). Unterstützung kann auch von religiösen Stiftungen erbeten werden (Lagebericht, a.a.O.). Eine wichtige und wirksame Quelle für Hilfe in Notlagen finden türkische Staatsangehörige schließlich im Allgemeinen in ihren Familien. Die familiären Bande in der türkischen Bevölkerung, auch unter den Kurden, sind stark, was auf die islamische Tradition zurückgeht. Dieser Zusammenhalt und ggf. auch der im Stammesverband bewirkt, dass besser gestellte Mitglieder sich stets bemühen, den schlechter gestellten zu helfen, sofern diese nicht selbst ihre Existenz sichern können (Auswärtiges Amt, 07.04.1996 an VG Wiesbaden; Senatsurteile vom 04.11.1996 - A 12 S 3220/95 - und vom 10.12.1998 - A 12 S 2011/96 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27.06.2002 - 8 A 4782/99.A - S. 108; diese Entscheidungen sind in das Verfahren eingeführt worden). Auch der Kläger wird, falls er sie benötigen sollte, auf die Hilfe seiner Familienangehörigen zurückgreifen können, die in der Türkei leben, darunter seine beiden erwerbstätigen Brüder.