Keine Einholung der Aufenthaltserlaubnis im Inland:
"1. Die Ausnahmevorschrift des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV setzt voraus, dass der Ausländer bereits aus anderen Gründen als der beabsichtigten Eheschließung oder der Ausübung der elterlichen Sorge wegen der Geburt eines Kindes geduldet wurde (Rn.14).
2. Ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Ableitung aus Art. 20 AEUV fällt nicht in den Anwendungsbereich des § 39 Satz 1 Nr. 2 AufenthV, da es sich bei einem solchen Rechtsanspruch aus Art. 20 AEUV um keinen nationalen Aufenthaltstitel handelt, der damit auch nicht mittelbar zum Erwerb eines solchen führen kann (Rn.20)."
(Amtliche Leitsätze)
[...]
9 [...] Dem Kläger steht – auch unter Berücksichtigung des neuen Vorbringens nach Beschlussfassung durch das Verwaltungsgericht – kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VwGO zu, da diesem, wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend ausführt, die Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegensteht und kein Ausnahmefall nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG vorliegt.
10 a. Da der Asylantrag des Klägers aufgrund Nichtbetreibens des Asylerfahrens als zurückgenommen gilt (§ 33 Abs.1 Asylgesetz), ist bei der begehrten Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die sogenannte Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen, wonach einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist oder der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden darf. Nach § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG findet die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels allerdings keine Anwendung.
11 Ein solcher Anspruch steht dem Kläger nicht zu, da ein Anspruch in diesem Sinne nur ein gesetzlicher Anspruch und kein Rechtsanspruch ist, der sich erst bei der Rechtsanwendung aus einer Ermessensreduzierung ergibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – 1 C 37.07 – juris, Rn. 23). [...]
12 Das Verwaltungsgericht hat den Kläger zu Recht auf das Nichtvorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG verwiesen, da auch Asylbewerber nach Abschluss ihres Asylverfahrens bei Beantragung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck der Visumpflicht unterliegen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 24. September 2019 – 10 C 19.1849 – juris, Rn. 7 m.w.N.). Da § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG Ausnahmen von dieser Visumspflicht in das Ermessen der Behörde stellt, fehlt es an einem strikten Rechtsanspruch im obigen Sinn. Daher greift auch in diesen Fällen die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Auf die Frage, ob hier aufgrund einer Ermessensreduktion auf Null wegen der Unzumutbarkeit der Ausreise von der Visumspflicht hätte abgesehen werden müssen, kommt es aus den oben genannten Gründen somit nicht an.
13 b. Der Kläger ist auch nicht berechtigt, die begehrte Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nach § 39 Satz 1 Nr. 5 Aufenthaltsverordnung - AufenthV - nach der Einreise aus dem Inland einzuholen. Danach kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn die Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und der Ausländer auf Grund einer Eheschließung, der Begründung einer Lebenspartnerschaft im Bundesgebiet oder der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat.
14 aa) Der Kläger ist allerdings nicht im Besitz einer Duldung, wie sie diese Regelung nach verständiger Würdigung voraussetzt. Der Kläger ist Inhaber eine Duldung nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, und Vater eines deutschen Kindes, mit dem er in einem Haushalt lebt und für das er gemeinsam mit der Mutter die elterliche Sorge wahrnimmt. Obwohl § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV nach seinem Wortlaut allgemein auf § 60a AufenthG Bezug nimmt, nimmt die obergerichtliche Rechtsprechung nahezu einhellig (vgl. BayVGH, Beschluss vom 4. Mai 2020 – 10 ZB 20.666 –, juris, Rn. 10; OVG Nds., Beschluss vom 16. Oktober 2019 – 13 ME 299/19 – juris, Rn. 16; Beschluss vom 2. Februar 2018 – 13 PA 12/18 – juris, Rn. 11; OVG Berlin- Brandenburg, Beschluss vom 12. Februar 2013 – OVG 7 N 63.13 – juris, Rn. 4; Beschluss vom 17. Januar 2011 – 11 S 51.10 – juris, Rn. 10; SaarlOVG, Beschluss vom 22. Juli 2008 – 2 B 257/08 –, juris, Rn. 12) eine Einschränkung dergestalt vor, dass ein anderes Abschiebungshindernis als das, das einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stützen soll, vorliegen müsse. Andernfalls würde die Eheschließung oder Geburt eines Kindes gewissermaßen doppelt berücksichtigt, zum einen im Rahmen der Feststellung der Abschiebungsaussetzung und zum anderen zur Begründung eines Aufenthaltsrechts. Damit entfalle jedoch die eigenständige rechtliche Bedeutung der Duldung. Privilegiert werden sollten nur Ausländer, die sich im Inland mit einer Duldung aufhielten und bei denen sodann der in § 39 Nr. 5 AufenthV genannte Fall eintrete, nicht aber diejenigen, denen eine Duldung nur aus diesen Gründen erteilt wird. Über eine solche Aussetzung der Abschiebung verfügt der Kläger nicht. Ihm wurde erstmals – nach Einstellung des Asylverfahrens im April 2016 – unter dem 30. Oktober 2017 (Blatt 151 der Beiakte) eine Duldung erteilt. Andere Duldungsgründe als eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung wegen der sich aus Art. 6 GG ergebenden Schutzwirkungen für die im Bundesgebiet geführte eheliche Lebensgemeinschaft und Ausübung der elterlichen Sorge für das deutsche Kind sind nicht ersichtlich.
15 Soweit der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Beschluss vom 5. März 2008 – 11 S 378/08 –, juris, Rn. 11), den der Kläger in seiner Beschwerdebegründung aufgreift, die Ansicht vertritt, dass der Wortlaut des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV eine Differenzierung nach unterschiedlichen Duldungsgründen nicht zulasse und es daher unerheblich sei, welcher Duldungsgrund der Aussetzung der Abschiebung zugrunde lag, folgt der Senat dieser Ansicht im Einklang mit der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung aus den oben dargelegten Gründen nicht. Dem Verwaltungsgerichtshof ist zwar zuzustimmen, dass der Wortlaut keine Differenzierung nach Duldungsgründen enthält. Dies steht jedoch einer einschränkenden Auslegung nach Sinn und Zweck der Norm nicht entgegen. So nimmt auch der Verwaltungsgerichtshof eine solche Ausnahme für den Fall der sogenannten Verfahrensduldung nach Sinn und Zweck vor und lässt damit das Wortlautargument zurücktreten. Diese Ansicht trägt zudem dem Umstand nicht ausreichend Rechnung, dass § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV als Ausnahmevorschrift ein Merkmal des in der Vorschrift vorausgesetzten (strikten) Anspruchs auf die Aufenthaltserlaubnis, nämlich das Erfordernis des § 5 Abs. 2 AufenthG, verdrängt und hierin seinen Sinn findet. Die Vorschrift bezweckt gerade, einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer, dessen Abschiebung tatsächlich oder rechtlich unmöglich ist und der deshalb geduldet wird und regelmäßig zur vorherigen Einholung eines Visums nicht ausreisen kann, die Einholung des Aufenthaltstitels im Bundesgebiet zu ermöglichen, wenn er den Anspruch unter der Duldung auf Grund der genannten Ereignisse erworben hat. Ohne die Privilegierung blieben lediglich geduldete Ausländer von dem Anspruch auf Erteilung eines ihnen infolge Verheiratung oder der Geburt eines Kindes zustehenden Aufenthaltstitels ausgeschlossen und wären von einer Ermessensentscheidung im Rahmen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abhängig (vgl. OVG Berlin- Brandenburg, Beschluss vom 12. Februar 2013 – OVG 7 N 63.13 –, juris, Rn. 5). Nach Sinn und Zweck der Ausnahmevorschrift des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV muss es sich daher um einen bereits aus anderen Gründen geduldeten Ausländer handeln, der während seines Aufenthalts einen Aufenthaltsanspruch erworben hat. Würde man den Duldungsgrund doppelt berücksichtigen, hätte dies zur Folge, dass im Rahmen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt und damit die Visumspflicht, der eine elementare Steuerungsfunktion für die Zuwanderung in das Bundesgebiet beigemessen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 2010 – 1 C 17/9 –, juris, Rn. 19), ihre Wirksamkeit in diesen Fallkonstellationen verlieren würde. [...]
18 c. Ebenfalls nicht durchdringen kann der Kläger mit dem erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Einwand, dass eine Ausnahme von der Visumspflicht nach § 39 Satz 1 Nr. 2 AufenthV i.V.m. Art. 20 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV – vorliege.
19 Entgegen der Annahme des Klägers, ist der vorliegende Fall schon dem Grunde nach nicht von § 39 Satz 1 Nr. 2 AufenthV erfasst (aa). Auch fällt ein mögliches unionsrechtliches Aufenthaltsrecht sui generis aus Art. 20 AEUV nicht in den Anwendungsbereich des § 39 Satz 1 Nr. 2 AufenthV (bb). Zuletzt liegen die Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts nach Art. 20 AEUV nicht vor (cc).
20 aa) Nach § 39 Satz 1 Nr. 2 AufenthV kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn er vom Erfordernis des Aufenthaltstitels befreit und die Befreiung u.a. nicht auf einen Aufenthalt bis zu längstens sechs Monaten beschränkt ist. Erfasst werden Personen, die ursprünglich vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit waren, während ihres rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet aber titelpflichtig wurden. Die Regelung betrifft zum Beispiel Personen, die zuvor als Familienangehörige eines Unionsbürgers oder aus anderen Gründen keines Aufenthaltstitels bedurften (Begründung zu § 39, BRDrs 731/04, S. 182).
21 Der Kläger, dessen Aufenthalt zunächst im Rahmen des Asylverfahrens gestattet wurde und der im Anschluss nach der Eheschließung und der bevorstehenden Geburt des Kindes eine Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG erhielt, ist mit dieser vom Gesetzgeber in den Blick genommenen Personengruppe nicht vergleichbar, da er nie von einer Titelpflicht in diesem Sinn befreit war, als er titelpflichtig wurde. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass Personen erfasst werden sollen, die ursprünglich von der Titelpflicht befreit waren und erst während ihres Aufenthalts in Deutschland titelpflichtig wurden. Dies trifft aber auf den Kläger nicht zu. Ein etwaiger Anspruch nach Art. 20 AEUV kann erst mit der Geburt des Kindes überhaupt entstanden sein und der Kläger macht geltend, aktuell wegen seines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts von der Titelpflicht befreit zu sein. Damit liegt jedoch genau die umgekehrte Konstellation vor, als diejenige, die § 39 Satz 1 Nr. 2 AufenthV erfassen möchte.
22 bb) Auch Sinn und Zweck des § 39 Satz 1 Nr. 2 AufenthG sprechen dagegen, ein Aufenthaltsrecht sui generis nach Art. 20 AEUV in den Anwendungsbereich einzubeziehen.
23 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann einem Drittstaatsangehörigen wie dem Kläger zwar ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht sui generis zustehen, das aus Art. 20 AEUV abgeleitet wird. Dieses setzt jedoch voraus, dass ein vom Drittstaatsangehörigen abhängiger Unionsbürger ohne den gesicherten Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen faktisch gezwungen wäre, das Unionsgebiet zu verlassen und ihm dadurch der tatsächliche Genuss des Kernbestands seiner Rechte als Unionsbürger verwehrt wird [...]. Der Anspruch ist daher gegenüber nationalen Regelungen nachrangig zu prüfen.
24 Ergänzend dazu hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass ein mögliches unionsrechtliches Aufenthaltsrecht sui generis aus Art. 20 AEUV zur Sicherung des Aufenthaltsrechts der vom Drittstaatsangehörigen abhängigen Kinder in der EU kein nationaler Rechtsanspruch ist. [...]
25 Diesen Grundsätzen widerspricht die vom Kläger angeführte – nicht rechtskräftige – Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (Beschluss vom 17. Juni 2020 – 7 L 402/20 –, juris). Sie nimmt über die Anwendung des § 39 Satz 1 Nr. 2 AufenthV bei Vorliegen der durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes aufgestellten Voraussetzungen eines unionsrechtliches Aufenthaltsrechts aus Art. 20 AEUV eine Ausnahme von der Visumspflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG an und spricht ihm damit im Ergebnis eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG als nationales Aufenthaltsrecht zu. Dies widerspricht dem eigenständigen Charakter des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts. Dies würde im Ergebnis auch die Subsidiarität des unionrechtlichen Anspruchs im Vergleich zu nationalen Aufenthaltsvorschriften beseitigen und diesen – entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – in einen nationalen Rechtsanspruch umwandeln.
26 Anzumerken ist zudem, dass es sich bei einem etwaigen Anspruch auf Ausstellung einer Bescheinigung zum Nachweis eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts nach Art. 20 AEUV um einen eigenen Streitgegenstand handelt. Ein solcher Anspruch ist bisher nicht geltend gemacht worden und damit nicht Gegenstand des Klage- und damit auch Beschwerdeverfahrens.
27 cc) Selbst wenn man jedoch § 39 Satz 1 Nr. 2 AufenthV für einschlägig erachten würde, so steht dem Kläger nach summarischer Prüfung kein Anspruch auf ein Aufenthaltsrecht nach Art. 20 AEUV zu. [...]
29 Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen schon die Voraussetzungen für ein abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV nicht vor. Es ist nicht festzustellen, dass der dreijährige Sohn des Klägers infolge der Versagung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für den Kläger faktisch gezwungen wäre, das Unionsgebiet zu verlassen, und ihm dadurch der Kernbestand seiner Unionsbürgerrechte verwehrt würde. Selbst wenn zwischen Sohn und Kläger ein (affektives) Abhängigkeitsverhältnis besteht, führt dies im vorliegenden Fall jedoch nicht dazu, dass der der Unionsbürger infolge der Versagung der Aufenthaltserlaubnis für den Kläger einem de-facto-Zwang ausgesetzt wäre, das Unionsgebiet für die Zeit der Visumseinholung zu verlassen. [...]