OLG Bremen

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Zitieren als:
OLG Bremen, Beschluss vom 28.01.2021 - 5 WF 7/21 - asyl.net: M29382
https://www.asyl.net/rsdb/M29382
Leitsatz:

Umfassende gerichtliche Aufklärungspflicht über Minderjährigkeit unbegleitet eingereister Personen:

1. Steht die Minderjährigkeit einer unbegleitet eingereisten drittstaatsangehörigen Person in Frage, so hat das Gericht zur Aufklärung alle verfahrensrechtlich möglichen und zulässigen Aufklärungsmöglichkeiten auszuschöpfen.

2. Dabei darf sich das Gericht regelmäßig nicht auf eine streitige Altersfeststellung der Behörden stützen, sondern muss vielmehr eigene Ermittlungen durchführen.

(Leitsätze der Redaktion; Verfahrenskostenhilfe für familienrechtliches Verfahren)

Schlagwörter: unbegleitete Minderjährige, Altersfeststellung, Anhörung, elterliche Sorge, Sorgerecht, Ruhen der elterlichen Sorge, Verfahrenskostenhilfe, Erfolgsaussichten,
Normen: ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, FamFG § 76 Abs. 1, BGB § 1674 Abs. 1, FamFG § 26, FamFG § 159 Abs. 3 S. 1,
Auszüge:

[...]

Entgegen der vom Familiengericht vertretenen Ansicht kann nach Auffassung des Beschwerdegerichts eine hinreichende Erfolgsaussicht (§ 114 Abs. 1 S. 1 ZPO i.V. mit § 76 Abs. 1 FamFG) des auf die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge gerichteten Begehrens des Antragstellers nicht verneint werden. Das gilt auch in Ansehung seines sehr knappen Sachvortrags. Ob die Voraussetzungen des § 1674 Abs. 1 BGB vorliegen, ist von Amts wegen zu klären (§ 26 FamFG). Von einer persönlichen Anhörung des Kindes darf dabei nur aus schwerwiegenden Gründen abgesehen werden (§ 159 Abs. 3 S. 1 FamFG). Steht - wie hier - die Minderjährigkeit eines unbegleitet eingereisten ausländischen Betroffenen infrage, so hat sich das Gericht unter Ausschöpfung aller verfahrensrechtlich möglichen und zulässigen sowie nach den Umständen veranlassten Aufklärungsmöglichkeiten weitestmöglich Gewissheit über dessen Alter zu verschaffen (BeckOK BGB/Veit, 56. Ed., § 1674 Rn. 10.1 m.w. Nachw.). Dabei darf es sich regelmäßig (ein ggf. denkbarer Ausnahmefall ist hier nicht ersichtlich) nicht allein auf die - streitige - vom Amt für Soziale Dienste getroffene Altersfeststellung stützen, muss vielmehr eigene Ermittlungen durchführen. Dass der Antragsteller sich inhaltlich nicht mit der Begründung der Altersfeststellung durch das Amt für Soziale Dienste auseinandergesetzt hat, steht der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht entgegen, zumal er bereits mit der Antragstellung hinreichend zum Ausdruck gebracht hat, dass er die Begründung für unzutreffend hält. Verfahrenskostenhilfe ist daher dem Antragsteller - wie regelmäßig in Verfahren nach § 1674 BGB (MünchKommBGB/Hennemann, 8. Aufl., § 1674 Rn. 13) zu bewilligen. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts erscheint wegen der Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art notwendig (BeckOGK/Theile, Stand: 1.4.2020, § 1674 Rn. 25). [...]