VG Berlin

Merkliste
Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 14.01.2021 - 8 K 81/20 - asyl.net: M29312
https://www.asyl.net/rsdb/M29312
Leitsatz:

Wohnberechtigungsschein bei Ausbildungsduldung:

1. Die Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins an Drittstaatsangehörige setzt voraus, dass diese einen rechtlich verfestigten Aufenthaltsstatus besitzen.

2. Personen, die eine Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG besitzen, gehören zum antragsberechtigten Personenkreis, da der durch die Ausbildungsduldung rechtlich gebilligte Aufenthalt auf Dauer angelegt ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Wohnberechtigungsschein, Aufenthaltsgestattung, Duldung,
Normen: WoBindG § 5, WoFG § 27 Abs. 2 S. 1, AufenthG § 60a Abs. 2 S. 3, AufenthG § 60c,
Auszüge:

[...]

18 Die Verpflichtungsklage ist auch begründet. Die Versagung der Erteilung des Wohnberechtigungsscheins ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins. [...]

20 Die Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins an einen Ausländer setzt demnach nicht nur die Prognose voraus, dass dieser faktisch über längere Zeit im Bundesgebiet verbleiben wird, sondern auch, dass er einen rechtlich verfestigten Aufenthaltsstatus besitzt (vgl. VG Berlin, Urteil vom 15. Juli 2016 – VG 8 K 57.16 – juris, Rn. 15). Die Dauerhaftigkeit des Aufenthalts eines Ausländers und seine rechtliche Möglichkeit der Wohnsitzaufnahme im Bundesgebiet sind danach jedenfalls zu bejahen, wenn dieser über einen Aufenthaltstitel für einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt verfügt oder ein sonstiges dauerhaftes Aufenthaltsrecht besitzt (Otte, in: Fischer-Dieskau/Pergande/Schwender, WoBauR, Stand: Januar 2015, § 27 WoFG, Anm. 3.2). Dies ist jedenfalls der Fall bei Besitz eines Aufenthaltstitels im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4 und Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), wenn dieser zum Aufenthalt von mindestens einem Jahr berechtigt, oder für Inhaber eines Aufenthaltsrechts nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU).

21 Die Dauerhaftigkeit des Aufenthalts eines Ausländers und die rechtliche Möglichkeit der Wohnsitzaufnahme im Bundesgebiet sind darüber hinaus auch dann zu bejahen, wenn der Ausländer Inhaber einer sogenannte Ausbildungsduldung im Sinne des § 60c AufenthG (vormals § 60a Abs. 2 Satz 4 bzw. AufenthG a.F.) ist. Inhaber einer Ausbildungsduldung gehören zu denjenigen Ausländern, die nicht nur faktisch über längere Zeit im Bundesgebiet verbleiben, sondern auch rechtlich einen verfestigten Aufenthaltsstatus besitzen (VG Berlin, Urteile vom 25. Juni 20 – VG 8 K 202.18 – juris, Rn. 33 ff. und 1. August 2019 – VG 8 K 163.19 – juris). [...]

24 Eine Erstreckung des Kreises der antragsberechtigten Ausländer auf die Inhaber einer Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Asylgesetz (AsylG) hat die Kammer verneint (vgl. Urteil vom 15. Juli 2016 – VG 8 K 57.16 – juris, Rn. 17 ff.). Bei der Aufenthaltsgestattung handelt es sich nicht um einen Aufenthaltstitel. Sie vermittelt kein auf Dauer gesichertes Bleiberecht, sondern nur ein vorübergehendes gesetzliches Aufenthaltsrecht besonderer Art für die Dauer des Asylverfahrens. Die Aufenthaltsgestattung erlischt spätestens mit der unanfechtbaren Entscheidung über den Asylantrag (§ 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AsylG). Ob und wie lange Asylbewerber im Bundesgebiet verbleiben (dürfen), ist bei einem noch nicht abgeschlossenen Asylverfahren nicht abzusehen.

25 Auch die Duldung vermittelt grundsätzlich kein auf Dauer gesichertes Bleiberecht. Bei der Duldung handelt es sich nicht um einen Aufenthaltstitel im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. [...]

26 Anders verhält es sich mit der auf § 60a Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 60c AufenthG (bzw. § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG a.F.) beruhenden Duldung. Nach § 60c Abs. 1 AufenthG ist eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 3 u.a. dann zu erteilen, wenn der Ausländer im Besitz einer Duldung nach § 60a AufenthG ist und eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt (Ausbildungsduldung). Die Ausbildungsduldung ist ein Sonderfall der Duldung, weil sie eine rechtliche, nämlich gesetzliche Billigung des Aufenthalts bewirkt, ohne den Aufenthalt, dem Aufenthaltsgesetz zugrunde liegenden Regelungssystem entsprechend, zu erlauben.

27 Die Ausbildungsduldung verwischt den aufenthaltsrechtlichen Unterschied zwischen Duldung und Aufenthaltserlaubnis (vgl. Dollinger in: Bergmann/Dienelt AuslR, 13. Auflage 2020, § 60c AufenthG, Rn. 5). Wie die Aufenthaltserlaubnis, die grundsätzlich zu einem bestimmten Aufenthaltszweck erteilt wird (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), wird auch die Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 1 AufenthG zu einem bestimmten Zweck (Berufsausbildung) und für die Dauer der beabsichtigten oder aufgenommenen Ausbildung erteilt (§ 60c Abs. 3 Satz 4 AufenthG). Sie soll dem Ausländer und dem Ausbildungsbetrieb Rechtssicherheit für die Zeit der Ausbildung (vgl. BT-Drs. 18/8615, S. 26, 48; BT-Drs. 19/8286 S. 26) und damit eine verlässliche Perspektive verschaffen. Anders als die schlichte Duldung erlischt die Ausbildungsduldung auch nicht ohne Weiteres bei Wegfall des Duldungszwecks. Im Falle der vorzeitigen Beendigung oder des Abbruchs der Ausbildung wird sie einmalig zum Zwecke der erneuten Suche einer Ausbildungsstelle erteilt (§ 60c Abs. 6 Satz 1 AufenthG); nach Abschluss der Berufsausbildung wird sie zum Zweck der Suche einer der erworbenen beruflichen Qualifikation entsprechenden Beschäftigung verlängert (§ 60c Abs. 6 Satz 2 AufenthG). Nach Abschluss der Berufsausbildung ist ein Hineinwachsen in einen erlaubten Aufenthalt vorgesehen. Gemäß § 19d Abs. 1a AufenthG ist dem Ausländer, der seine Ausbildung auf Grundlage einer nach § 60a Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 60c AufenthG erteilten Duldung erfolgreich abschließt, für eine der erworbenen Qualifikation entsprechende Beschäftigung, unter den weiteren Voraussetzungen von § 19d Abs. 1a i. V. m. Abs. 1 Nr. 2 bis 3 und 6 bis 7 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis für die Dauer von zwei Jahren zu erteilen. Eine Aufenthaltserlaubnis kann gemäß § 19d Abs. 1 AufenthG auch erteilt werden, wenn dem Ausländer nach Abschluss der Berufsausbildung zunächst eine Duldung gemäß § 60c Abs. 6 Satz 2 AufenthG zur Arbeitsplatzsuche erteilt wurde und er ein der erworbenen Qualifikation entsprechendes Beschäftigungsverhältnis findet.

28 Für die Beurteilung der rechtlichen Möglichkeit der Wohnsitzaufnahme im Sinne von § 27 Abs. 2 Satz 2 WoFG kommt es auf die aufenthaltsrechtliche Differenzierung von Ausbildungsduldung und Aufenthaltserlaubnis nicht an. Da die Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 60c Abs. 3 Satz 4 AufenthG für die Dauer der Ausbildung erteilt wird, sich an den Abschluss der Berufsausbildung eine Verlängerung gemäß § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG zur Arbeitssuche bzw. die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung (§ 19d Abs. 1a AufenthG) anschließt, ist der durch sie rechtlich gebilligte Aufenthalt auch auf längerer Dauer angelegt. Insofern sieht die Ausbildungsduldung den von der Rechtsordnung im Übrigen missbilligten "Spurwechsel" ausdrücklich vor (vgl. z.B. Röder/Wittmann, Aktuelle Rechtsfragen der Ausbildungsduldung, ZAR 2017, 345, 351, ZAR 2019, 412). [...]