Kein Abschiebungsverbot für junge, gesunde und arbeitsfähige Männer nach Afghanistan:
1. Die derzeit in Afghanistan festzustellende Ausbreitung des Corona-Virus und die damit einhergehenden staatlichen Beschränkungen des öffentliche Lebens stellen keine dauerhafte Beeinträchtigung dar.
2. Vor diesem Hintergrund ist trotz Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation in Afghanistan für leistungsfähige, erwachsene Männer ohne Unterhaltsverpflichtungen auch ohne familiäre und soziale Unterstützungsnetzwerke kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK festzustellen.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung liegen die Voraussetzungen für eine Weitergewährung nationalen Abschiebungsschutzes auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht weiter vor.
Ein derartiges Abschiebungsverbot liegt vor, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene durch eine Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden und hängt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) von den Gesamtumständen des jeweiligen Einzelfalls ab, wie etwa der Art und dem Kontext der Fehlbehandlung, der Dauer, den körperlichen und geistigen Auswirkungen sowie ggf. vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Betroffenen (vgl. dazu nur Nds. OVG, Urteil vom 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris, Rn. 25, m.w.N.); insofern sind die Verhältnisse im Abschiebungszielstaat landesweit in den Blick zu nehmen (vgl. VG Lüneburg, Urteil vom 14.08.2017 - 3 A 146/15 -, juris, Rn. 46, m.w.N.). Nach der Rechtsprechung der Kammer ist die Situation weder in der Zentralregion mit Kabul noch sonst in Afghanistan derart, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK und somit ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG darstellen würde (vgl. nur Urteil der Kammer vom 30.05.2018 - 5 K 2720/16 -; vgl. auch Bayerischer VGH, Beschluss vom 31.08.2017 - 13a ZB 17.30756 -, juris; VG München, Urteil vom 05.12.2017 - M 26 K 17.33766 -, juris). Auch nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR ist die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernst anzusehen, dass eine Abschiebung dorthin ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellt (Urteile vom 20.01.2009 - 32621/06, F.H./Sweden - HUDOC Rn. 90; vom 28.6.2011 - 8319/07 und 11449/07, Sufi and Elmi/United Kingdom - HUDOC Rn. 218 und 241; vom 29.01.2013 - 60367/10, S.H.H./United Kingdom - HUDOC Rn. 73 und 79; vom 09.04.2013 - 70073/10 und 44539/11, H. and B./United Kingdom - HUDOC Rn. 91 f.; vom 04.06.2015 - 59166/12, J.K. u.a./Sweden - HUDOC Rn. 53; vgl. auch EGMR, Urteile vom 12.01.2016 - 25077/06, A.W.Q. and D.H./The Netherlands - HUDOC Rn. 67; - 8161/07, S.D.M. and others/The Netherlands - HUDOC Rn. 74; - 39575/06, S.S./The Netherlands - HUDOC Rn. 62; - 46856/07, M.R.A. and others/The Netherlands - HUDOC Rn. 106; - 13442/08, A.G.R./The Netherlands - HUDOC Rn. 54). Ebenso hat der VGH Baden-Württemberg mit Urteil vom 05.12.2017 - A 11 S 1144/17 (Juris; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.04.2018 - A 11 S 924/17 -, juris, Rn. 336 sowie Urteil vom 12.12.2018 - A 11 S 1923/17) festgestellt, dass selbst im Falle eines langjährigen Aufenthalts im benachbarten Ausland Afghanistans (dort: im Iran) für einen leistungsfähigen, erwachsenen, afghanischen Mann ohne Unterhaltsverpflichtung, der keine familiären oder sozialen Unterstützungsnetzwerke hat, im Allgemeinen - wenn nicht besondere, individuell erschwerende Umstände hinzukommen - in Afghanistan, insbesondere auch in Kabul, trotz der schlechten humanitären Bedingungen und Sicherheitslage keine Gefahrenlage besteht, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK und infolgedessen zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG führt.
Die aktuelle Lage in Afghanistan stellt sich wie folgt dar:
Das Auswärtige Amt führt in seinem Lagebericht vom 16.07.2020 (Stand: Juni 2020) aus, dass Afghanistan weiterhin eines der ärmsten Länder der Welt sei. Auf dem Weg zu einem voll funktions- und fiskalisch lebensfähigen Staat habe Afghanistan verstärkt eigene Anstrengungen unternommen, sei aber weiterhin auf umfangreiche internationale Unterstützung angewiesen. Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in der ersten Jahreshälfte 2020 auf das Gesundheitssystem, den Arbeitsmarkt und die Nahrungsmittelversorgung hätten den humanitären Bedarf weiter erhöht (laut UN-OCHA: 2020 bis zu 14 Mio. Menschen). Die wirtschaftliche Entwicklung bleibe geprägt von der schwierigen Sicherheitslage sowie schwacher Investitionstätigkeit. Das Wirtschaftswachstum habe sich zuletzt erholen können und habe 2019 bei 2,9 % gelegen. Für 2020 gehe die Weltbank bedingt durch Covid-19 von einer Rezession (bis zu - 8 % BIP) aus. Die Grundversorgung sei für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, was in besonderem Maße für Rückkehrer gelte. Die bereits prekäre Lage habe sich seit März 2020 durch die Covid-19-Pandemie weiter verschärft. [...]
Zu berücksichtigen ist aber auch, dass die derzeit in Afghanistan festzustellende Ausbreitung des Cörona-Virus und die damit einhergehenden staatlichen Beschränkungen des öffentlichen Lebens keine dauerhafte Beeinträchtigung darstellen. Der durch die Regierung zur Eindämmung der Pandemie verfügte landesweite "Lockdown", durch welchen unter anderem tägliche Aktivitäten, das Geschäftsleben und das gesellschaftliche Leben eingeschränkt und begrenzt wurden (vgl. Republik Österreich, BFA, Kurzinformation der Staatendokumentation - COVID-19 Afghanistan, 21.7.2020, S. 3), besteht derzeit jedenfalls in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif nicht fort (vgl. Republik Österreich, BFA, Länderinformation zur Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung vom 16.12.2020 - Version 2). Berichten zufolge wurden die Beschränkungen allerdings nicht immer konsequent durchgesetzt; so sind in vielen Städten etwa Ladengeschäfte und Restaurants geöffnet (vgl. OCHA, Afghanistan - Stratetic Situation Report: COVID-19, Nr. 65, 26.07.2020, S. 2). [...]
Dies zugrunde gelegt vermag das Gericht ein fortgeltendes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG für den Kläger nicht zu erkennen.
Ausweislich des Bescheides vom 30.07.2014 hat die Beklagte dem Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zuerkannt, da es ihm aufgrund seiner besonderen Lebenssituation als unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling ohne tragfähige verwandtschaftliche Bindungen in Afghanistan nicht möglich sei, eine Existenzgrundlage zu finden.
Die Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid vom 06.05.2019, mit dem das zuerkannte Abschiebungsverbot widerrufen wurde, ausgeführt, dass der Kläger nunmehr volljährig und arbeitsfähig sei. Zugleich habe der Kläger einen Hauptschulabschluss erlangen und als Helfer im Bau- und Kunststoffbereich arbeiten können. Eine Niederlassung beispielsweise im Großraum Kabul sei ihm daher zuzumuten. Aus den vorgelegten Attesten werde nicht ersichtlich, dass beim Kläger eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliege, die ein Abschiebungsverbot begründe. Aus den Ausführungen seines Bevollmächtigten sei auch nicht zwangsläufig zu schlussfolgern, dass er jeglichen Kontakt zu seiner Familie endgültig verloren habe. Ferner bestehe nicht für jeden Rückkehrer die (konkrete) Gefahr einer Entführung o.ä. aufgrund des Aufenthalts im europäischen Ausland.
Diesen Ausführungen schließt sich die erkennende Einzelrichterin an. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts des Saarlandes (vgl. Urteil vom 30.10.2019, - 5 K 111/19 -, n.v.) sowie verschiedener Oberverwaltungsgerichte ([...]), dass im Falle leistungsfähiger, erwachsener Männer ohne Unterhaltsverpflichtung und ohne bestehendes familiäres oder soziales Netzwerk bei der Rückkehr aus dem westlichen Ausland in Kabul die hohen Anforderungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK nicht erfüllt sind,.sofern nicht besondere, individuell erschwerende Umstände festgestellt werden können.
Trotz der geschilderten schwierigen Bedingungen ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger bei Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der dortigen allgemeinen Verhältnisse sowie der derzeitigen Covid-19-Pandemie nicht in eine Art. 3 EMRK verletzende besondere Ausnahmesituation, wie sie Art. 60 Abs. 5 AufenthG entsprechend obiger Ausführungen erfordert, geraten würde. [...]