VG Köln

Merkliste
Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 16.09.2020 - 24 K 11342/17.A - asyl.net: M29188
https://www.asyl.net/rsdb/M29188
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für einen Mann aus Tadschikistan:

Der Kläger ist vor seiner Ausreise durch die tadschikischen Sicherheitsbehörden misshandelt worden, da diese ihm eine regimekritische Haltung zuschreiben. Ihm ist die Flüchtlingsanerkennung zuzusprechen, da er im Falle einer Rückkehr damit rechnen muss, erneut Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu sein.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Tadschikistan, politische Verfolgung, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3a,
Auszüge:

[...]

1. Der Ablehnungsbescheid des Bundesamtes vom 4. August 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Asylgesetz (AsylG) nicht zuerkannt, die Abschiebung nach Tadschikistan angedroht und das gesetzliche. Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, § 77 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG), hat der Kläger Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG. [...]

Das Gericht ist davon überzeugt, dass dem Kläger in Tadschikistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung wegen einer ihm seitens des tadschikischen Staates zugeschriebenen politischen Überzeugung droht.

Diese Überzeugung hat das Gericht durch die Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der Auswertung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel über Tadschikistan gewonnen.

Das Gericht hält die Schilderungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass er insgesamt dreimal jeweils von denselben Polizisten zum Verhör mitgenommen und misshandelt worden sei, da man ihn verdächtigt habe, einer regimekritischen Gruppe um einen Bekannten des Klägers anzugehören, für glaubhaft. Dabei stützt sich das Gericht auf den persönlichen Eindruck, den es sich in der mündlichen Verhandlung vom Kläger verschaffen konnte. Der Kläger hat die Geschehnisse jeweils plausibel und detailliert geschildert, er konnte Nachfragen stets ohne langes Nachdenken nachvollziehbar und plausibel beantworten und seine Angaben im Einzelnen vertiefen und erläutern. Die Schilderungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung erschöpften sich nicht in einer Nacherzählung dessen, was er bereits beim Bundesamt bzw. in seinem Schreiben erwähnt hatte, sondern enthielten zahlreiche weitere Details (etwa zu Äußerungen der Polizisten und zur Art, zum Ablauf und zur Dauer der Misshandlungen). Die Schilderungen fügten sich zu einem stimmigen Gesamtbild und schlossen nahtlos an die Darstellung des Klägers in seinem persönlich verfassten Schreiben an. [...]

Die Angaben des Klägers stehen auch mit der aktuellen Auskunftslage zu Tadschikistan in Einklang: Staatliche Repressionen gegen Bürger, denen regimekritische Positionen unterstellt werden, sind nicht selten. Die Repressionen dienen primär dazu, präventiv möglichen Gefahren für den Machterhalt entgegenzuwirken (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tadschikistan, Stand: 26. Juli 2019, S, 7; Freedom House, Freedom in the World 2019, S. 8) Folterungen von Verdächtigen durch Polizisten während der Vernehmungen kommen regelmäßig vor, ebenso willkürliche Verhaftungen durch Polizisten, vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tadschikistan, Stand: 26. Juli 2019, S. 14, Country Report on Human Rights Practices 2018 - Tajikistan, US Department of State, S. 3 ff.). [...]

Angesichts der dem Kläger durch den tadschikischen Staat zugeschrieben regimekritischen Haltung, die bereits in Tadschikistan zu staatlicher Verfolgung und Folter geführt hat, droht dem Kläger bei einer Rückkehr nach Tadschikistan erneut Verfolgung im Sinne von § 3a AsylG.

Nach alledem war die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. [...]