Aufenthaltsrecht eines drittstaatsangehörigen Elternteils eines Unionsbürgerkindes aus Art. 21 AEUV:
"1. Beruft sich ein Drittstaatsangehöriger auf ein aus der Freizügigkeitsgarantie für Unionsbürger nach Art. 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht zur Führung eines normalen Familienlebens in einem anderen EU-Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt, muss die Referenzperson, von der er das Recht ableitet, im Aufnahmemitgliedstaat aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigt sein; ein lediglich vom anderen Elternteil abgeleitetes Freizügigkeitsrecht eines Unionsbürgerkindes reicht hierfür nicht.
2. Ein unmittelbar aus Art. 21 Abs. 1 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht eines drittstaatsangehörigen Familienangehörigen ist ein unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG und § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, dem die Möglichkeit der Erteilung eines nationalen Aufenthaltstitels nicht entgegensteht.
3. Dem drittstaatsangehörigen Elternteil, der sich auf ein von seinem Kind abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht aus Art. 21 AEUV beruft, kann ein fehlendes Erwerbseinkommen zur Sicherung der Existenzmittel der Referenzperson (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b RL 2003/38/EG) jedenfalls dann nicht entgegengehalten werden, wenn er sich tatsächlich und nachhaltig um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherung der Existenzmittel für das Unionsbürgerkind bemüht hat, ihm die Ausübung einer Erwerbstätigkeit von der Ausländerbehörde aber verwehrt worden ist."
(Amtliche Leitsätze)
[...]
14 a. Ein Aufenthaltsrecht aus Art. 21 Abs. 1 AEUV vermittelt eine Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des § 2 Abs. 1 FreizügG/EU (vgl. unten unter 2.b.), dem durch Ausstellung einer Aufenthaltskarte nach § 5 FreizügG/EU Rechnung zu tragen ist. Die Aufenthaltskarte stellt lediglich deklaratorisch das Bestehen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts fest (vgl. BT-Drs. 17/10746, S. 11). Es handelt sich dabei - wie bei der Bescheinigung über das Bestehen eines Daueraufenthaltsrechts nach § 5 Abs. 5 FreizügG/EU (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 31. Mai 2012 - 10 C 8.12 - Buchholz 402.261 § 4a FreizügG/EU Nr. 3 Rn. 12) - nicht um einen feststellenden Verwaltungsakt im Sinne des § 35 VwVfG, sondern um schlicht hoheitliches Handeln (vgl. Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 5 FreizügG/EU Rn. 20 und 28), das mit der allgemeinen Leistungsklage zu verfolgen ist. [...]
16 2. Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, die Möglichkeit der Erteilung eines nationalen Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG stehe einem abgeleiteten Freizügigkeitsrecht aus Art. 21 Abs. 1 AEUV entgegen, verstößt gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat zwar kein Aufenthaltsrecht in unmittelbarer Anwendung des Freizügigkeitsgesetzes/EU (a.). Für den Kläger als drittstaatsangehörigem Familienangehörigen eines Unionsbürgers kam im maßgeblichen Feststellungszeitpunkt aber ein aus Art. 21 Abs. 1 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht in Betracht (b.), bei dem es sich um ein eigenständiges Freizügigkeitsrecht handelt und dem die Möglichkeit der Erteilung eines nationalen Aufenthaltstitels nicht entgegensteht (c.).
17 a. Der Kläger hatte zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht keinen Anspruch auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte in unmittelbarer Anwendung von § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU, weil er kein Familienangehöriger der Unionsbürgerin und Kindesmutter im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU war. Als Vater des Kindes und damit dessen Verwandter in gerader aufsteigender Linie (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU) erhielt er von dem Kind keinen Unterhalt.
18 b. Mit den Vorinstanzen ist aber davon auszugehen, dass der Anwendungsbereich des Art. 21 Abs. 1 AEUV für das vom Kläger als drittstaatsangehöriger Familienangehöriger eines Unionsbürgers beanspruchte Aufenthaltsrecht eröffnet ist.
19 [...] Ein unmittelbar aus Art. 21 Abs. 1 AEUV hergeleitetes Aufenthaltsrecht für Familienangehörige eines Unionsbürgers vermittelt nicht nur ein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Wohnsitznahme, sondern ein Freizügigkeitsrecht im Sinne des § 2 Abs. 1 FreizügG/EU. In Art. 21 Abs. 1 AEUV ist die Freizügigkeit der Unionsbürger primärrechtlich verankert, die auch das Recht umfasst, im Aufnahmemitgliedstaat ein normales Familienleben zu führen. [...]
26 3. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs ist die Ableitung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts aus Art. 21 Abs. 1 AEUV für den drittstaatsangehörigen Elternteil eines Unionsbürgerkindes nicht möglich, wenn das Kind selbst (nur) ein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht im Aufnahmemitgliedstaat hat (UA S. 12 f.) (a.). Der Senat kann über das Bestehen des Rechts für den Kläger im maßgeblichen Feststellungszeitpunkt nicht abschließend entscheiden, weil es an den bei unionsrechtskonformer Betrachtung der Voraussetzungen des Aufenthaltsrechts erforderlichen tatsächlichen Feststellungen fehlt (b.).
27 a. Nach obigen Ausführungen kommt ein unmittelbar aus Art. 21 Abs. 1 AEUV resultierendes Aufenthaltsrecht des Klägers nur in Betracht, wenn er im maßgeblichen Zeitpunkt tatsächlich für das Kind gesorgt und dieses über die erforderlichen Existenzmittel im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/38/EG verfügt hat. Beruft sich ein Drittstaatsangehöriger (hier der Kläger) auf ein aus der Freizügigkeitsgarantie für Unionsbürger nach Art. 21 Abs. 1 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht zur Führung eines normalen Familienlebens in einem anderen EU-Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt, muss die Referenzperson, von der er das Recht ableitet (hier das Kind), im Aufnahmemitgliedstaat aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigt sein; ein lediglich vom anderen Elternteil (hier der Mutter) abgeleitetes Freizügigkeitsrecht des Kindes reicht hierfür nicht. Denn nach Art. 7 Abs. 2 RL 2004/38/EG ist für ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht eines drittstaatsangehörigen Familienangehörigen erforderlich, dass die Referenzperson ihrerseits aus eigenem Recht (also nach Art. 7 Abs. 1 Buchst a bis c RL 2004/38/EG) und nicht lediglich aus abgeleitetem Recht (nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/38/EG) freizügigkeitsberechtigt ist. Die Referenzperson muss insbesondere die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/38/EG in eigener Person erfüllen (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 - C-86/12, Alokpa - Rn. 29). Auf diese Voraussetzung kann hier nicht deshalb verzichtet werden, weil das Kind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts jedenfalls in dem für seine Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt - unabhängig von der Voraussetzung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/38/EG - abgeleitet von seiner Mutter als Arbeitnehmerin freizügigkeitsberechtigt war. [...]
29 aa. Der Rechtsprechung des EuGH lagen zwar nur Fälle zugrunde, in denen der drittstaatsangehörige Elternteil allein oder zumindest vorrangig gegenüber dem anderen Elternteil für das Kind sorgte (EuGH, Urteile vom 10. Oktober 2013 - C-86/12, Alokpa - Rn. 29, vom 8. November 2012 - C-40/11, Iida - Rn. 68 f. und vom 19. Oktober 2004 - C-200/02, Zhu und Chen - Rn. 45). Daraus kann aber nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass ein Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Elternteils schon dann entfällt, wenn dieser die elterliche Sorge zusammen mit einem anderen (freizügigkeitsberechtigten) Elternteil wahrnimmt. Vielmehr genügt für ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht eines die Sorge tatsächlich ausübenden drittstaatsangehörigen Elternteils, wenn "die Eltern" die Personensorge wahrnehmen (vgl. zu Art. 12 VO (EWG) Nr. 1612/68: EuGH, Urteil vom 17. September 2002 - C-413/99 [ECLI:EU:C:2002:493], Baumbast und R. - Rn. 71 ff.). [...]
32 Da das Recht auf Freizügigkeit als ein grundlegendes Prinzip des Unionsrechts die Grundregel darstellt, sind die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/38 festgelegten Voraussetzungen unter Einhaltung der vom Unionsrecht gezogenen Grenzen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auszulegen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. September 2013 - C-140/12 [ECLI:EU:C:2013:565], Brey - Rn. 70 m.w.N.). Deshalb muss es einem drittstaatsangehörigen Elternteil, der sich auf ein Aufenthaltsrecht aus Art. 21 Abs. 1 AEUV beruft, tatsächlich möglich sein, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, um die Existenzmittel für das Unionsbürgerkind, von dem er sein Aufenthaltsrecht ableiten will, zu sichern. Dabei kommt es nicht auf die Herkunft der Existenzmittel an (EuGH, Urteile vom 19. Oktober 2004 - C-200/02, Zhu und Chen - Rn. 30, sowie vom 10. Oktober 2013 - C-86/12, Alokpa - Rn. 27); die Mittel können auch aus einer illegalen Beschäftigung stammen (EuGH, Urteil vom 2. Oktober 2019 - C-93/18 [ECLI:EU: C:2019:809] - Rn. 48). Dem drittstaatsangehörigen Elternteil, der sich auf ein abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht beruft, kann ein fehlendes Erwerbseinkommen aber jedenfalls dann nicht entgegengehalten werden, wenn er sich tatsächlich und nachhaltig um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherung der Existenzmittel für das Unionsbürgerkind bemüht hat, ihm die Ausübung einer Erwerbstätigkeit aber von der Ausländerbehörde verwehrt worden ist.
33 Deshalb kann das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/38/EU für das Kind des Klägers nicht allein deshalb verneint werden, weil er im maßgeblichen Feststellungszeitpunkt tatsächlich kein Erwerbseinkommen erzielt hat. Denn dies beruhte nach Aktenlage darauf, dass die Ausländerbehörde dem Kläger die (weitere) Ausübung einer Erwerbstätigkeit mit der rückwirkenden Verkürzung der Geltungsdauer der dazu berechtigenden Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte einer deutschen Staatsangehörigen und der Erteilung einer Duldung ohne Gestattung der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit trotz der Sorge für sein hier lebendes Unionsbürgerkind verwehrte. [...]