VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.10.2020 - A 3 S 2953/20 - asyl.net: M28978
https://www.asyl.net/rsdb/M28978
Leitsatz:

Fehlende Beeidigung von Dolmetschenden nicht ohne weiteres Berufungszulassungsgrund:

"1. Die verfahrensfehlerhafte Nichtbeeidigung eines Dolmetschers führt nicht ohne weiteres zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs als Berufungszulassungsgrund. Eine beachtliche Gehörsverletzung kommt erst dann in Betracht, wenn die Sprachmittlung aufgrund von Übertragungsfehlern an erheblichen Mängel gelitten und deshalb zu einer unrichtigen, unvollständigen oder sinnentstellenden Wiedergabe der vom Asylsuchenden in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben geführt hat (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.07.1997 - A 12 S 3092/96 - juris).

2. Wird im Zulassungsantrag eine unterbliebene oder fehlerhafte Beeidigung des Dolmetschers geltend gemacht, ist mit der Rüge rechtlichen Gehörs darzulegen, was bei richtiger und vollständiger Übertragung vorgetragen worden wäre und inwieweit dies zu einer für den Kläger günstigen Entscheidung geführt hätte; die einem Asylerfahren immanenten Verständigungsprobleme entbinden den Kläger nicht davon, im Zulassungsantrag zumindest Anhaltspunkte für Übertragungsfehler aufzuzeigen."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Asylverfahren, Dolmetscher, Vereidigung, Beeidigung, mündliche Verhandlung, Verfahrensfehler, rechtliches Gehör, Berufungszulassungsantrag, Rüge, Übersetzung,
Normen: GG Art. 103 Abs. 1, AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3, AsylG § 78 Abs. 4 S. 4, VwGO § 138 Nr. 3, GVG § 185 Abs. 1 S. 1, GVG § 189 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

2. Einen Verstoß gegen seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs hat der Kläger damit nicht dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). [...]

Ist die Hinzuziehung eines Dolmetschers – wie hier – notwendig im Sinn von § 55 VwGO i.V.m. § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG, stellt es grundsätzlich einen Verfahrensfehler dar, wenn ein Dolmetscher hinzugezogen wird, der weder gemäß § 189 Abs. 2 GVG für Übertragungen der betreffenden Art nach den landesrechtlichen Vorschriften allgemein beeidigt ist und sich auf diesen Eid beruft, noch gemäß § 189 Abs. 1 Satz 1 GVG den Dolmetschereid leistet bzw. die Bekräftigung nach Satz 2 abgibt. Denn eine treue und gewissenhafte Übersetzung durch den Dolmetscher ist für die Anhörung der Betroffenen, die der deutschen Sprache nicht im Sinn von § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG mächtig sind, unverzichtbar (vgl. BayVGH, Beschl. v. 04.12.2017 - 5 ZB 17.31569 - juris Rn. 7).

Die verfahrensfehlerhafte Nichtbeeidigung eines Dolmetschers führt jedoch nicht ohne weiteres zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs als Berufungszulassungsgrund. Denn eine treue und gewissenhafte Übersetzung kann auch dann sichergestellt sein, wenn der Eid durch den Dolmetscher nicht oder nicht ordnungsgemäß geleistet wurde. Eine im Rahmen der Berufungszulassung beachtliche Gehörsverletzung kommt erst dann in Betracht, wenn die Sprachmittlung durch den zugezogenen Dolmetscher aufgrund von Übertragungsfehlern an erheblichen Mängel gelitten und deshalb zu einer unrichtigen, unvollständigen oder sinnentstellenden Wiedergabe der vom Asylsuchenden in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben geführt hat. Mit der Rüge rechtlichen Gehörs ist deshalb darzulegen, was bei richtiger und vollständiger Übertragung vorgetragen worden wäre und inwieweit dies zu einer für den Kläger günstigen Entscheidung geführt hätte (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 22.07.1997 - A 12 S 3092/96 - juris Rn. 5; BayVGH, Beschl. v. 04.12.2017 - 5 ZB 17.31569 - juris Rn. 10; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 13.02.2004 - 7 LA 194/03 - juris Rn. 4). [...]

Der Kläger trägt jedoch in der Zulassungsbegründung keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Dolmetscher in der mündlichen Verhandlung am 05.08.2020 vor dem Verwaltungsgericht nicht treu und gewissenhaft übertragen hat; solche lassen sich auch der Niederschrift nicht entnehmen. Vielmehr ist daraus abzuleiten, dass eine umfangreiche informatorische Anhörung des aus Pakistan stammenden Klägers erfolgt ist und dieser unter Einsatz des Dolmetschers nicht nur auf zahlreiche Fragen des Gerichts, sondern auch auf mehrere Nachfragen seines Prozessbevollmächtigten geantwortet hat, ohne dass Verständigungsprobleme erkennbar geworden sind. Der Senat verkennt nicht, dass es für den Kläger und dessen Prozessbevollmächtigten angesichts der einem Asylerfahren immanenten Verständigungsprobleme kein Leichtes ist, Übertragungsfehler eines Dolmetschers zu erkennen und in einem nachfolgenden Zulassungsverfahren geltend zu machen. Nichtsdestotrotz entbinden diese Schwierigkeiten den Kläger nicht davon, zumindest Anhaltspunkte für Übertragungsfehler aufzuzeigen. Vorliegend wäre es dem Kläger insbesondere möglich gewesen, eventuelle Diskrepanzen zwischen seinem tatsächlichen Vortrag in der mündlichen Verhandlung und dem mit Hilfe des Dolmetschers übersetzten Inhalt anhand der am 14.08.2020 zugestellten, detaillierten Sitzungsniederschrift des Verwaltungsgerichts festzustellen und sodann im vorliegenden Verfahren geltend zu machen. [...]