VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Beschluss vom 18.09.2020 - 8 L 764/20 - asyl.net: M28957
https://www.asyl.net/rsdb/M28957
Leitsatz:

Identitätsklärung bei Ausbildungsduldung kann in drei Stufen erfolgen:

1. Die Erteilung einer Ausbildungsduldung setzt nach § 60c Abs. 2 Nr. 3 AufenthG im Regelfall die vorherige Identitätsklärung voraus.

2. Geklärt ist die Identität bei Vorlage eines anerkannten Passes oder Passersatzes oder eines anderen Identitätsdokuments mit Lichtbild. Fehlt es hieran, so kann die Klärung auf zweiter Stufe auch durch andere geeignete Dokumente erfolgen, die biometrische Merkmale und Angaben zur Person enthalten. Sind auch solche Dokumente nicht verfügbar, so können auf dritter Stufe (amtliche) Dokumente aus dem Herkunftsstaat ohne biometrische Merkmale zum Nachweis in Betracht kommen.

3. Dokumente ohne biometrische Merkmale kommen jedoch nur dann zur Klärung in Frage, wenn auf ihrer Basis Pass- oder Passersatzpapiere beschafft werden können. Das ist regelmäßig dann zu verneinen, wenn die Dokumente in ungeklärtem Widerspruch zu weiteren Angaben der Person stehen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Identitätsklärung, Pass, Passersatz, Identitätsfeststellung, biometrische Merkmale, Geburtsurkunde, Altersfeststellung, Ausschlussgrund, Beschäftigungsduldung,
Normen: AufenthG § 60c Abs. 2 Nr. 3 Bst. a,
Auszüge:

[...]

7 aa. Ihr steht kein Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG zu. [...]

10 bb. Im Fall der Antragstellerin liegt der Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 3 lit. a) AufenthG vor.

11 (1) Nach § 60c Abs. 2 Nr. 3 lit. a) AufenthG wird die Ausbildungsduldung nicht erteilt, wenn die Identität des Ausländers bei Einreise in das Bundesgebiet bis zum 31. Dezember 2016 bis zur Beantragung der Ausbildungsduldung nicht geklärt ist.

12 Die Klärung der Identität setzt die Gewissheit voraus, dass ein Ausländer die Person ist, für die er sich ausgibt, mithin eine Verwechslungsgefahr nicht besteht. Ohne weiteres geklärt ist die Identität in der Regel bei Vorlage eines anerkannten Passes oder Passersatzes oder eines anderen Identitätsdokuments mit Lichtbild (vgl. VGH München, Beschluss vom 2. Juni 2020 - 10 CE 20.931 -, juris Rn. 14; Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 60c AufenthG Rn. 32). Auf zweiter Stufe kann aber die Identitätsklärung dann, wenn kein Pass oder anderes Identitätsdokument mit Lichtbild vorliegt, auch durch andere geeignete Mittel erfolgen. Geeignet sind hierzu amtliche Dokumente aus dem Herkunftsstaat, die biometrische Merkmale und Angaben zur Person enthalten (beispielsweise Führerschein, Dienstausweis oder eine Personenstandsurkunde mit Lichtbild). Erst wenn solche Dokumente ebenfalls nicht verfügbar sind, können (auf dritter Stufe) amtliche Dokumente aus dem Herkunftsstaat ohne biometrische Merkmale zum Nachweis in Betracht kommen, wie beispielsweise eine Geburtsurkunde, Heiratsurkunde, Meldebescheinigung, Schulzeugnisse oder Schulbescheinigungen. Dies gilt jedoch nur dann, wenn sie geeignet sind, auf ihrer Basis Pass- oder Passersatzpapiere zu beschaffen. Diese Rangfolge hinsichtlich der Geeignetheit möglicher zur Identifizierung heranziehbarer Dokumente stand auch dem Gesetzgeber bei Erlass des § 60c Abs. 2 Nr. 3 lit. a) AufenthG vor Augen (vgl. hierzu BT-Drs. 19/8286, S. 15). Entscheidend ist mithin, dass eine Zuordnung des vorgelegten Dokuments zu der sich ausweisenden Person hinreichend verlässlich möglich ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Dokument biometrische Merkmale enthält. Anderenfalls muss es zwingend dafür geeignet sein, dass sich der Ausländer auf Basis dieses Dokuments einen Pass oder Passersatzpapiere beschaffen kann. Ist die Identität nicht zweifelsfrei feststellbar oder ist es nicht erwiesen, dass das in Frage stehende Dokument geeignet ist, bei der Auslandsvertretung des Herkunftsstaates einen Pass oder ein Passersatzpapier zu erlangen, so wirkt sich dies nach den allgemeinen verwaltungsprozessualen Grundsätzen zu Lasten des Ausländers aus.

13 (2) Eine solche Identitätsklärung war im Falle der am 13. März 2011 in die Bundesrepublik Deutschland eingereisten Antragstellerin zu dem in § 60c Abs. 2 Nr. 3 lit. a) AufenthG genannten Zeitpunkt noch nicht erfolgt. Zwar stellte die Antragstellerin am 7. August 2018 bei der kamerunischen Botschaft in Berlin einen Antrag auf Ausstellung eines Passes unter Angabe des Namens "..." und des Geburtsdatums "... 1994". Auch legte sie zeitgleich mit ihrem Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung vom 4. Mai 2020 eine Geburtsurkunde, ausgestellt in der Republik Kamerun, vor, ausweislich derer eine Frau ... am ... 1994 in ... geboren wurde. Zudem gab sie an, das Original ihrer Geburtsurkunde am 3. Dezember 2019 bei der kamerunischen Botschaft in Berlin abgegeben zu haben.

14 Bei diesem Dokument handelt es sich jedoch um ein Schriftstück, welches keine biometrischen Merkmale aufweist. Es ist zudem nicht erwiesen, dass die vorgelegte Geburtsurkunde geeignet ist, bei der Auslandsvertretung des Herkunftsstaates einen Pass oder ein Passersatzpapier zu erlangen. Eine solche Eignung ist im vorliegenden Fall erheblichen Zweifeln ausgesetzt, da eine eindeutige Identifizierung der Antragstellerin aufgrund sich widersprechender Angaben nicht möglich ist: [...]

16 (3) Der Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 3 lit. a) AufenthG scheidet auch nicht nach § 60c Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 AufenthG aus. [...]

18 Vorliegend hat die Antragstellerin weder innerhalb der Frist des § 60c Abs. 2 Nr. 3 lit. a) AufenthG alle erforderlichen und ihr zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen noch konnte ihre Identität nach Ablauf dieser Frist geklärt werden. Zum einen ist es nicht erwiesen, dass die Antragstellerin mit Vorlage der Geburtsurkunde alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat. Das Ergreifen "erforderlicher" Maßnahmen setzt voraus, dass diese auch geeignet sind, eine Klärung der Identität des Ausländers zu erreichen. Dies bedingt bei Vorlage von Dokumenten, die keine biometrischen Angaben enthalten, dass diese grundsätzlich zur Erlangung eines Passes oder Passersatzes geeignet sind. Gerade diese Eignung ist jedoch im vorliegenden Fall – wie bereits ausgeführt – nicht erwiesen. Zum anderen ist in Anbetracht der widersprüchlichen Angaben der Antragstellerin und der nicht eindeutigen Zuordnung der Geburtsurkunde eine Klärung ihrer Identität bis zum heutigen Zeitpunkt nicht erfolgt. [...]